Verbindung? bringet jene diese, oder diese jene, wie eine Ursache ihre Wirkung, hervor? Oder ist nichts mehr als eine harmonische Gesellschaft zwischen ihnen? Nichts als ein beständiges Zusammentreffen der Einen mit der andern, wie zwischen zwo Uhren, oder zwischen zwo Personen, die alle Markttage in Einer Stadt, in Einem Gasthofe und in Einem Zimmer, zu Einer Ta- gesstunde, ohne vorhergenommene Abrede, zusammen kommen?
Und wenn es sich also verhält, ist es denn so, wie Leibnitz es sich vorstellte? bringet die Seele ihre eige- nen, und das organisirte Gehirn auch die seinigen, durch seine eignen Kräfte hervor?
Oder wirket Gott unmittelbar in beiden alles, wie Malebranche es meinte, nach dem System der durch- gängigen Assistenz.
Oder wirket Gott nur einige Seelenbeschaffenheiten unmittelbar, ihre passiven Modifikationen nämlich, oder ihre Gefühle; und nur einige in dem Körper, die- jenigen Bewegungen nämlich, welche sonsten der Thä- tigkeit der Seele zugeschrieben werden? So ist es nach dem System der gelegentlichen Ursachen oder der gelegentlichen Assistenz. Gott wirket nämlich so viel, als zur Erhaltung der allgemeinen Harmonie erfodert wird. Malebranche entzog der Seele alle Kraft, alle Selbstthätigkeit, und dem Körper gleichfalls. Dieß System war von der Leibnitzischen Harmonie nur allein darinn unterschieden, daß es die wirkende Ursache in Gott, Leibnitz aber in der Seele und in dem Körper selbst, setzte. Aber dieß war die Meinung des Des Car- tes und der Vertheidiger der gelegentlichen Assistenz nicht; welche letztere Hypothese ganz andere Folgen hat, als jene, ob sie gleich von einigen Philosophen mit jener verwechselt worden ist. Denn nach der letztern waren es nur die passiven Veränderungen, die Gott unmittel-
bar
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
Verbindung? bringet jene dieſe, oder dieſe jene, wie eine Urſache ihre Wirkung, hervor? Oder iſt nichts mehr als eine harmoniſche Geſellſchaft zwiſchen ihnen? Nichts als ein beſtaͤndiges Zuſammentreffen der Einen mit der andern, wie zwiſchen zwo Uhren, oder zwiſchen zwo Perſonen, die alle Markttage in Einer Stadt, in Einem Gaſthofe und in Einem Zimmer, zu Einer Ta- gesſtunde, ohne vorhergenommene Abrede, zuſammen kommen?
Und wenn es ſich alſo verhaͤlt, iſt es denn ſo, wie Leibnitz es ſich vorſtellte? bringet die Seele ihre eige- nen, und das organiſirte Gehirn auch die ſeinigen, durch ſeine eignen Kraͤfte hervor?
Oder wirket Gott unmittelbar in beiden alles, wie Malebranche es meinte, nach dem Syſtem der durch- gaͤngigen Aſſiſtenz.
Oder wirket Gott nur einige Seelenbeſchaffenheiten unmittelbar, ihre paſſiven Modifikationen naͤmlich, oder ihre Gefuͤhle; und nur einige in dem Koͤrper, die- jenigen Bewegungen naͤmlich, welche ſonſten der Thaͤ- tigkeit der Seele zugeſchrieben werden? So iſt es nach dem Syſtem der gelegentlichen Urſachen oder der gelegentlichen Aſſiſtenz. Gott wirket naͤmlich ſo viel, als zur Erhaltung der allgemeinen Harmonie erfodert wird. Malebranche entzog der Seele alle Kraft, alle Selbſtthaͤtigkeit, und dem Koͤrper gleichfalls. Dieß Syſtem war von der Leibnitziſchen Harmonie nur allein darinn unterſchieden, daß es die wirkende Urſache in Gott, Leibnitz aber in der Seele und in dem Koͤrper ſelbſt, ſetzte. Aber dieß war die Meinung des Des Car- tes und der Vertheidiger der gelegentlichen Aſſiſtenz nicht; welche letztere Hypotheſe ganz andere Folgen hat, als jene, ob ſie gleich von einigen Philoſophen mit jener verwechſelt worden iſt. Denn nach der letztern waren es nur die paſſiven Veraͤnderungen, die Gott unmittel-
bar
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0244"n="214"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XIII.</hi> Verſuch. Ueber das Seelenweſen</hi></fw><lb/>
Verbindung? bringet jene dieſe, oder dieſe jene, wie<lb/>
eine Urſache ihre Wirkung, hervor? Oder iſt nichts<lb/>
mehr als eine <hirendition="#fr">harmoniſche</hi> Geſellſchaft zwiſchen ihnen?<lb/>
Nichts als ein beſtaͤndiges Zuſammentreffen der Einen<lb/>
mit der andern, wie zwiſchen zwo Uhren, oder zwiſchen<lb/>
zwo Perſonen, die alle Markttage in Einer Stadt, in<lb/>
Einem Gaſthofe und in Einem Zimmer, zu Einer Ta-<lb/>
gesſtunde, ohne vorhergenommene Abrede, zuſammen<lb/>
kommen?</p><lb/><p>Und wenn es ſich alſo verhaͤlt, iſt es denn ſo, wie<lb/>
Leibnitz es ſich vorſtellte? bringet die Seele ihre eige-<lb/>
nen, und das organiſirte Gehirn auch die ſeinigen, durch<lb/>ſeine eignen Kraͤfte hervor?</p><lb/><p>Oder wirket Gott unmittelbar in beiden alles, wie<lb/>
Malebranche es meinte, nach dem Syſtem der durch-<lb/>
gaͤngigen Aſſiſtenz.</p><lb/><p>Oder wirket Gott nur <hirendition="#fr">einige</hi> Seelenbeſchaffenheiten<lb/>
unmittelbar, ihre <hirendition="#fr">paſſiven</hi> Modifikationen naͤmlich,<lb/>
oder ihre Gefuͤhle; und nur <hirendition="#fr">einige</hi> in dem Koͤrper, die-<lb/>
jenigen Bewegungen naͤmlich, welche ſonſten der Thaͤ-<lb/>
tigkeit der Seele zugeſchrieben werden? So iſt es nach<lb/>
dem <hirendition="#fr">Syſtem der gelegentlichen Urſachen</hi> oder<lb/>
der <hirendition="#fr">gelegentlichen Aſſiſtenz.</hi> Gott wirket naͤmlich<lb/>ſo viel, als zur Erhaltung der allgemeinen Harmonie<lb/>
erfodert wird. Malebranche entzog der Seele alle<lb/>
Kraft, alle Selbſtthaͤtigkeit, und dem Koͤrper gleichfalls.<lb/>
Dieß Syſtem war von der Leibnitziſchen Harmonie nur<lb/>
allein darinn unterſchieden, daß es die wirkende Urſache<lb/>
in Gott, Leibnitz aber in der Seele und in dem Koͤrper<lb/>ſelbſt, ſetzte. Aber dieß war die Meinung des Des Car-<lb/>
tes und der Vertheidiger der gelegentlichen Aſſiſtenz<lb/>
nicht; welche letztere Hypotheſe ganz andere Folgen hat,<lb/>
als jene, ob ſie gleich von einigen Philoſophen mit jener<lb/>
verwechſelt worden iſt. Denn nach der letztern waren<lb/>
es nur die paſſiven Veraͤnderungen, die Gott unmittel-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">bar</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[214/0244]
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
Verbindung? bringet jene dieſe, oder dieſe jene, wie
eine Urſache ihre Wirkung, hervor? Oder iſt nichts
mehr als eine harmoniſche Geſellſchaft zwiſchen ihnen?
Nichts als ein beſtaͤndiges Zuſammentreffen der Einen
mit der andern, wie zwiſchen zwo Uhren, oder zwiſchen
zwo Perſonen, die alle Markttage in Einer Stadt, in
Einem Gaſthofe und in Einem Zimmer, zu Einer Ta-
gesſtunde, ohne vorhergenommene Abrede, zuſammen
kommen?
Und wenn es ſich alſo verhaͤlt, iſt es denn ſo, wie
Leibnitz es ſich vorſtellte? bringet die Seele ihre eige-
nen, und das organiſirte Gehirn auch die ſeinigen, durch
ſeine eignen Kraͤfte hervor?
Oder wirket Gott unmittelbar in beiden alles, wie
Malebranche es meinte, nach dem Syſtem der durch-
gaͤngigen Aſſiſtenz.
Oder wirket Gott nur einige Seelenbeſchaffenheiten
unmittelbar, ihre paſſiven Modifikationen naͤmlich,
oder ihre Gefuͤhle; und nur einige in dem Koͤrper, die-
jenigen Bewegungen naͤmlich, welche ſonſten der Thaͤ-
tigkeit der Seele zugeſchrieben werden? So iſt es nach
dem Syſtem der gelegentlichen Urſachen oder
der gelegentlichen Aſſiſtenz. Gott wirket naͤmlich
ſo viel, als zur Erhaltung der allgemeinen Harmonie
erfodert wird. Malebranche entzog der Seele alle
Kraft, alle Selbſtthaͤtigkeit, und dem Koͤrper gleichfalls.
Dieß Syſtem war von der Leibnitziſchen Harmonie nur
allein darinn unterſchieden, daß es die wirkende Urſache
in Gott, Leibnitz aber in der Seele und in dem Koͤrper
ſelbſt, ſetzte. Aber dieß war die Meinung des Des Car-
tes und der Vertheidiger der gelegentlichen Aſſiſtenz
nicht; welche letztere Hypotheſe ganz andere Folgen hat,
als jene, ob ſie gleich von einigen Philoſophen mit jener
verwechſelt worden iſt. Denn nach der letztern waren
es nur die paſſiven Veraͤnderungen, die Gott unmittel-
bar
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/244>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.