Seele sie vorhält: so scheinet diese Reproduktion so gut erklärt zu seyn, als die Empfindungen, denen sie von dieser Seite so sehr ähnlich sind. Laßt uns die Re- produktionskraft, so viel nämlich zu den passiven Vor- stellungen erfodert wird, dem Gehirne beylegen, und also auch in diesem die rührenden materiellen Jdeen an- nehmen: so haben wir eine Erklärung dieser Phänome- ne, die viel natürlicher und leichter ist, als die gemeine Hypothese sie geben kann.
Aber daß die letztere nun schlechthin damit nicht be- stehen könne: dieß würde ich nicht zugeben, wenn ich ihr Vertheidiger seyn wollte. Kann die Seele nicht aufgelegt seyn, durch ihre natürliche Wirksamkeit eine Menge von Vorstellungen in sich zu unterhalten, wo- fern nur das Gehirn nicht ungeschickt ist, seine Dienste zu thun, ohne daß sie doch diese ihre eigenen Bestrebun- gen besonders fühlen und gewahrnehmen dürfe? Wenn sie einmal durch Empfindungen in den Stand reger Wirksamkeit gebracht ist, so mag sie so leicht und so unmerklich Jdeen reproduciren, als ein Virtuos auf seinem Jnstrument phantasiren kann. Dieser Effekt kostet zwar Kraft und Thätigkeit, daher sie auch endlich darüber ermüdet; aber doch keine sich ausneh- mende Anstrengung, die sie als eine eigene Kraftäuße- rung und als ein besonderes Bestreben in ihrer ganzen Thätigkeit unterscheiden müßte. Wenn aber das Ge- hirn seine Receptivität dazu verloren hat, dann ist es nicht zu verwundern, daß seine sinnlichen Bewegungen nicht erfolgen, und daß es alsdenn an dem Gefühl der Vorstellungen und der Thätigkeit fehle, oder auch, daß dieß Gefühl so schmerzhaft werde, als die Anstrengung des Kopfes, wenn das Gehirn durch eine hitzige Krank- heit gelitten hat.
Kann die Seele diese oder jene Vorstellung nicht unterdrücken, wie sie will, so kann dieß darinn seinen
Grund
im Menſchen.
Seele ſie vorhaͤlt: ſo ſcheinet dieſe Reproduktion ſo gut erklaͤrt zu ſeyn, als die Empfindungen, denen ſie von dieſer Seite ſo ſehr aͤhnlich ſind. Laßt uns die Re- produktionskraft, ſo viel naͤmlich zu den paſſiven Vor- ſtellungen erfodert wird, dem Gehirne beylegen, und alſo auch in dieſem die ruͤhrenden materiellen Jdeen an- nehmen: ſo haben wir eine Erklaͤrung dieſer Phaͤnome- ne, die viel natuͤrlicher und leichter iſt, als die gemeine Hypotheſe ſie geben kann.
Aber daß die letztere nun ſchlechthin damit nicht be- ſtehen koͤnne: dieß wuͤrde ich nicht zugeben, wenn ich ihr Vertheidiger ſeyn wollte. Kann die Seele nicht aufgelegt ſeyn, durch ihre natuͤrliche Wirkſamkeit eine Menge von Vorſtellungen in ſich zu unterhalten, wo- fern nur das Gehirn nicht ungeſchickt iſt, ſeine Dienſte zu thun, ohne daß ſie doch dieſe ihre eigenen Beſtrebun- gen beſonders fuͤhlen und gewahrnehmen duͤrfe? Wenn ſie einmal durch Empfindungen in den Stand reger Wirkſamkeit gebracht iſt, ſo mag ſie ſo leicht und ſo unmerklich Jdeen reproduciren, als ein Virtuos auf ſeinem Jnſtrument phantaſiren kann. Dieſer Effekt koſtet zwar Kraft und Thaͤtigkeit, daher ſie auch endlich daruͤber ermuͤdet; aber doch keine ſich ausneh- mende Anſtrengung, die ſie als eine eigene Kraftaͤuße- rung und als ein beſonderes Beſtreben in ihrer ganzen Thaͤtigkeit unterſcheiden muͤßte. Wenn aber das Ge- hirn ſeine Receptivitaͤt dazu verloren hat, dann iſt es nicht zu verwundern, daß ſeine ſinnlichen Bewegungen nicht erfolgen, und daß es alsdenn an dem Gefuͤhl der Vorſtellungen und der Thaͤtigkeit fehle, oder auch, daß dieß Gefuͤhl ſo ſchmerzhaft werde, als die Anſtrengung des Kopfes, wenn das Gehirn durch eine hitzige Krank- heit gelitten hat.
Kann die Seele dieſe oder jene Vorſtellung nicht unterdruͤcken, wie ſie will, ſo kann dieß darinn ſeinen
Grund
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0267"n="237"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">im Menſchen.</hi></fw><lb/>
Seele ſie vorhaͤlt: ſo ſcheinet dieſe Reproduktion ſo<lb/>
gut erklaͤrt zu ſeyn, als die Empfindungen, denen ſie<lb/>
von dieſer Seite ſo ſehr aͤhnlich ſind. Laßt uns die Re-<lb/>
produktionskraft, ſo viel naͤmlich zu den paſſiven Vor-<lb/>ſtellungen erfodert wird, dem Gehirne beylegen, und<lb/>
alſo auch in dieſem die ruͤhrenden materiellen Jdeen an-<lb/>
nehmen: ſo haben wir eine Erklaͤrung dieſer Phaͤnome-<lb/>
ne, die viel natuͤrlicher und leichter iſt, als die gemeine<lb/>
Hypotheſe ſie geben kann.</p><lb/><p>Aber daß die letztere nun ſchlechthin damit nicht be-<lb/>ſtehen koͤnne: dieß wuͤrde ich nicht zugeben, wenn<lb/>
ich ihr Vertheidiger ſeyn wollte. Kann die Seele nicht<lb/>
aufgelegt ſeyn, durch ihre natuͤrliche Wirkſamkeit eine<lb/>
Menge von Vorſtellungen in ſich zu unterhalten, wo-<lb/>
fern nur das Gehirn nicht ungeſchickt iſt, ſeine Dienſte<lb/>
zu thun, ohne daß ſie doch dieſe ihre eigenen Beſtrebun-<lb/>
gen beſonders fuͤhlen und gewahrnehmen duͤrfe? Wenn<lb/>ſie einmal durch Empfindungen in den Stand reger<lb/>
Wirkſamkeit gebracht iſt, ſo mag ſie ſo leicht und ſo<lb/>
unmerklich Jdeen reproduciren, als ein Virtuos auf<lb/>ſeinem Jnſtrument phantaſiren kann. Dieſer Effekt<lb/>
koſtet zwar Kraft und Thaͤtigkeit, daher ſie auch<lb/>
endlich daruͤber ermuͤdet; aber doch keine ſich ausneh-<lb/>
mende Anſtrengung, die ſie als eine eigene Kraftaͤuße-<lb/>
rung und als ein beſonderes Beſtreben in ihrer ganzen<lb/>
Thaͤtigkeit unterſcheiden muͤßte. Wenn aber das Ge-<lb/>
hirn ſeine Receptivitaͤt dazu verloren hat, dann iſt es<lb/>
nicht zu verwundern, daß ſeine ſinnlichen Bewegungen<lb/>
nicht erfolgen, und daß es alsdenn an dem Gefuͤhl der<lb/>
Vorſtellungen und der Thaͤtigkeit fehle, oder auch, daß<lb/>
dieß Gefuͤhl ſo ſchmerzhaft werde, als die Anſtrengung<lb/>
des Kopfes, wenn das Gehirn durch eine hitzige Krank-<lb/>
heit gelitten hat.</p><lb/><p>Kann die Seele dieſe oder jene Vorſtellung nicht<lb/>
unterdruͤcken, wie ſie will, ſo kann dieß darinn ſeinen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Grund</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[237/0267]
im Menſchen.
Seele ſie vorhaͤlt: ſo ſcheinet dieſe Reproduktion ſo
gut erklaͤrt zu ſeyn, als die Empfindungen, denen ſie
von dieſer Seite ſo ſehr aͤhnlich ſind. Laßt uns die Re-
produktionskraft, ſo viel naͤmlich zu den paſſiven Vor-
ſtellungen erfodert wird, dem Gehirne beylegen, und
alſo auch in dieſem die ruͤhrenden materiellen Jdeen an-
nehmen: ſo haben wir eine Erklaͤrung dieſer Phaͤnome-
ne, die viel natuͤrlicher und leichter iſt, als die gemeine
Hypotheſe ſie geben kann.
Aber daß die letztere nun ſchlechthin damit nicht be-
ſtehen koͤnne: dieß wuͤrde ich nicht zugeben, wenn
ich ihr Vertheidiger ſeyn wollte. Kann die Seele nicht
aufgelegt ſeyn, durch ihre natuͤrliche Wirkſamkeit eine
Menge von Vorſtellungen in ſich zu unterhalten, wo-
fern nur das Gehirn nicht ungeſchickt iſt, ſeine Dienſte
zu thun, ohne daß ſie doch dieſe ihre eigenen Beſtrebun-
gen beſonders fuͤhlen und gewahrnehmen duͤrfe? Wenn
ſie einmal durch Empfindungen in den Stand reger
Wirkſamkeit gebracht iſt, ſo mag ſie ſo leicht und ſo
unmerklich Jdeen reproduciren, als ein Virtuos auf
ſeinem Jnſtrument phantaſiren kann. Dieſer Effekt
koſtet zwar Kraft und Thaͤtigkeit, daher ſie auch
endlich daruͤber ermuͤdet; aber doch keine ſich ausneh-
mende Anſtrengung, die ſie als eine eigene Kraftaͤuße-
rung und als ein beſonderes Beſtreben in ihrer ganzen
Thaͤtigkeit unterſcheiden muͤßte. Wenn aber das Ge-
hirn ſeine Receptivitaͤt dazu verloren hat, dann iſt es
nicht zu verwundern, daß ſeine ſinnlichen Bewegungen
nicht erfolgen, und daß es alsdenn an dem Gefuͤhl der
Vorſtellungen und der Thaͤtigkeit fehle, oder auch, daß
dieß Gefuͤhl ſo ſchmerzhaft werde, als die Anſtrengung
des Kopfes, wenn das Gehirn durch eine hitzige Krank-
heit gelitten hat.
Kann die Seele dieſe oder jene Vorſtellung nicht
unterdruͤcken, wie ſie will, ſo kann dieß darinn ſeinen
Grund
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/267>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.