Die Jdeen werden unterhalten oder weggeschafft, je nachdem die Aufmerksamkeit auf sie hingewendet oder von ihnen abgezogen wird. Soll dieß geschehen, ohne einen andern Grund in der Seele zu haben, als weil sie sich selbst auf diese Art bestimmt, weil sie will oder nicht will, oder in der Sprache der Jndeterministen, ohne bestimmenden Grund: so heißt dieß, in die Bon- netische Sprache übersetzt, so viel, daß sie als die bewe- gende Kraft des Gehirns, sich zu einer Aktion aufs Gehirn bestimme, und dadurch eine Veränderung in den ihr vorschwebenden Vorstellungen bewirke, und Fi- bern, die auf körperliche Bewegungen hingehen, in Be- wegung bringe, ohne daß etwas vorhanden sey, war- um sie auf diese Fiber wirke und nicht auf eine andere. Die Seele bleibet ein selbstthätiges Wesen, ist die ei- gentliche Kraft des Gehirns; und alsdenn kann man ja nur hinzusetzen, daß sie sich zuweilen ohne zureichen- de Gründe auf gewisse Bewegungen anwende.
Sehen wir auf den wahren Begriff von der Frey- heit, nach welchem Freyheit so viel, als ein Vermögen der erhöheten Selbstthätigkeit ist, auch noch auf mehre- re und entgegengesetzte Arten sich wirksam zu äußern, wenn die Seele auf eine gewisse Art thätig ist: so ist zwar in der Bonnetischen Psychologie nicht abzusehen, wie Erhöhungen der Seelenvermögen, und also auch der Selbstthätigkeit, in der immateriellen Seele oder in dem Jch entstehen könnten, weil dieses Jch keine Jdeen sei- ner Handlungen in sich zurückbehält; aber es lassen sich doch dergleichen in dem beseelten Organ gedenken, wenn sie gleich allein nur auf Entwickelungen der Organe und auf die Dispositionen derselben, Jdeenreihen zu repro- duciren, hinausgehen. Also kann doch auch diese letztere Jdee von der Freyheit in die mechanische Psychologie eingeschaltet werden, ohne daß es nöthig sey, dieser ihre Grundtheile zu verrücken.
Auch
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
Die Jdeen werden unterhalten oder weggeſchafft, je nachdem die Aufmerkſamkeit auf ſie hingewendet oder von ihnen abgezogen wird. Soll dieß geſchehen, ohne einen andern Grund in der Seele zu haben, als weil ſie ſich ſelbſt auf dieſe Art beſtimmt, weil ſie will oder nicht will, oder in der Sprache der Jndeterminiſten, ohne beſtimmenden Grund: ſo heißt dieß, in die Bon- netiſche Sprache uͤberſetzt, ſo viel, daß ſie als die bewe- gende Kraft des Gehirns, ſich zu einer Aktion aufs Gehirn beſtimme, und dadurch eine Veraͤnderung in den ihr vorſchwebenden Vorſtellungen bewirke, und Fi- bern, die auf koͤrperliche Bewegungen hingehen, in Be- wegung bringe, ohne daß etwas vorhanden ſey, war- um ſie auf dieſe Fiber wirke und nicht auf eine andere. Die Seele bleibet ein ſelbſtthaͤtiges Weſen, iſt die ei- gentliche Kraft des Gehirns; und alsdenn kann man ja nur hinzuſetzen, daß ſie ſich zuweilen ohne zureichen- de Gruͤnde auf gewiſſe Bewegungen anwende.
Sehen wir auf den wahren Begriff von der Frey- heit, nach welchem Freyheit ſo viel, als ein Vermoͤgen der erhoͤheten Selbſtthaͤtigkeit iſt, auch noch auf mehre- re und entgegengeſetzte Arten ſich wirkſam zu aͤußern, wenn die Seele auf eine gewiſſe Art thaͤtig iſt: ſo iſt zwar in der Bonnetiſchen Pſychologie nicht abzuſehen, wie Erhoͤhungen der Seelenvermoͤgen, und alſo auch der Selbſtthaͤtigkeit, in der immateriellen Seele oder in dem Jch entſtehen koͤnnten, weil dieſes Jch keine Jdeen ſei- ner Handlungen in ſich zuruͤckbehaͤlt; aber es laſſen ſich doch dergleichen in dem beſeelten Organ gedenken, wenn ſie gleich allein nur auf Entwickelungen der Organe und auf die Diſpoſitionen derſelben, Jdeenreihen zu repro- duciren, hinausgehen. Alſo kann doch auch dieſe letztere Jdee von der Freyheit in die mechaniſche Pſychologie eingeſchaltet werden, ohne daß es noͤthig ſey, dieſer ihre Grundtheile zu verruͤcken.
Auch
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XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
Die Jdeen werden unterhalten oder weggeſchafft, je
nachdem die Aufmerkſamkeit auf ſie hingewendet oder
von ihnen abgezogen wird. Soll dieß geſchehen, ohne
einen andern Grund in der Seele zu haben, als weil ſie
ſich ſelbſt auf dieſe Art beſtimmt, weil ſie will oder
nicht will, oder in der Sprache der Jndeterminiſten,
ohne beſtimmenden Grund: ſo heißt dieß, in die Bon-
netiſche Sprache uͤberſetzt, ſo viel, daß ſie als die bewe-
gende Kraft des Gehirns, ſich zu einer Aktion aufs
Gehirn beſtimme, und dadurch eine Veraͤnderung in
den ihr vorſchwebenden Vorſtellungen bewirke, und Fi-
bern, die auf koͤrperliche Bewegungen hingehen, in Be-
wegung bringe, ohne daß etwas vorhanden ſey, war-
um ſie auf dieſe Fiber wirke und nicht auf eine andere.
Die Seele bleibet ein ſelbſtthaͤtiges Weſen, iſt die ei-
gentliche Kraft des Gehirns; und alsdenn kann man
ja nur hinzuſetzen, daß ſie ſich zuweilen ohne zureichen-
de Gruͤnde auf gewiſſe Bewegungen anwende.
Sehen wir auf den wahren Begriff von der Frey-
heit, nach welchem Freyheit ſo viel, als ein Vermoͤgen
der erhoͤheten Selbſtthaͤtigkeit iſt, auch noch auf mehre-
re und entgegengeſetzte Arten ſich wirkſam zu aͤußern,
wenn die Seele auf eine gewiſſe Art thaͤtig iſt: ſo iſt
zwar in der Bonnetiſchen Pſychologie nicht abzuſehen,
wie Erhoͤhungen der Seelenvermoͤgen, und alſo auch
der Selbſtthaͤtigkeit, in der immateriellen Seele oder in
dem Jch entſtehen koͤnnten, weil dieſes Jch keine Jdeen ſei-
ner Handlungen in ſich zuruͤckbehaͤlt; aber es laſſen ſich
doch dergleichen in dem beſeelten Organ gedenken, wenn
ſie gleich allein nur auf Entwickelungen der Organe und
auf die Diſpoſitionen derſelben, Jdeenreihen zu repro-
duciren, hinausgehen. Alſo kann doch auch dieſe letztere
Jdee von der Freyheit in die mechaniſche Pſychologie
eingeſchaltet werden, ohne daß es noͤthig ſey, dieſer ihre
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/280>, abgerufen am 24.11.2024.
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