Auch will ichs ihr nicht vorwerfen, daß sie einen all- zukünstlichen Mechanismus im Gehirn erfodere. Vau- caussons Flötenspieler, und fast noch mehr sein Kanarien- vogel, erläutern die Möglichkeit solcher Maschinen. Sie erläutern sie, sage ich, denn es ist allerdings noch im- mer ein wesentlicher Unterschied zwischen allen auch noch so künstlichen Maschinen und zwischen einem repro- ducirenden Gehirn zurück, den ich gleich weiter erörtern will. Die Leibnitzische Harmonie verlangte noch viel mehr von dem Mechanismus des Körpers; da sie diesen alles thun ließ, was zu der Hervorbringung der mate- riellen Jdeen und der Bewegungen gehöret, Hr. Bon- net dagegen die Seele dazwischen kommen und die Be- wegungen im Körper durch sie regieren und lenken läßt. Und dennoch war der Einwurf, den Bayle ge- gen Leibnitz machte, daß ein solcher Mechanismus über die Allweisheit Gottes hinausgehe, nichts als ein leeres Wortspiel. Mit einem Wort, gegen die Möglichkeit der Sache weiß ich nichts zu sagen.
3.
Sie hat aber anderswo zwo Seiten, wo man ihr beykommen kann. Es werden gewisse physische Grund- sätze angenommen, auf die ihre Möglichkeit gebauet ist. Hier kann man zuerst fragen, ob dieß wahre Sätze, und ob sie es alle sind? Sind sie zur völligen physischen Ge- wißheit gebracht, die Hr. Bonnet in ihnen voraussetzet, oder können sie dahin gebracht werden?
Alsdenn soll sie zweytens als Hypothese betrachtet, alles begreiflich machen, was wir bey der Seele beob- achten. Und da ist die zwote große Frage: Ob sie denn ein solcher Gemeinschlüssel sey, der alles aufschließet, was er öffnen soll? Oder ob sie nicht vielmehr nur zu einigen Erfahrungen passe, zu andern nicht? und ob nicht Beobachtungen da sind, bey denen sie eben so ge-
drehet
im Menſchen.
Auch will ichs ihr nicht vorwerfen, daß ſie einen all- zukuͤnſtlichen Mechanismus im Gehirn erfodere. Vau- cauſſons Floͤtenſpieler, und faſt noch mehr ſein Kanarien- vogel, erlaͤutern die Moͤglichkeit ſolcher Maſchinen. Sie erlaͤutern ſie, ſage ich, denn es iſt allerdings noch im- mer ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen allen auch noch ſo kuͤnſtlichen Maſchinen und zwiſchen einem repro- ducirenden Gehirn zuruͤck, den ich gleich weiter eroͤrtern will. Die Leibnitziſche Harmonie verlangte noch viel mehr von dem Mechaniſmus des Koͤrpers; da ſie dieſen alles thun ließ, was zu der Hervorbringung der mate- riellen Jdeen und der Bewegungen gehoͤret, Hr. Bon- net dagegen die Seele dazwiſchen kommen und die Be- wegungen im Koͤrper durch ſie regieren und lenken laͤßt. Und dennoch war der Einwurf, den Bayle ge- gen Leibnitz machte, daß ein ſolcher Mechaniſmus uͤber die Allweisheit Gottes hinausgehe, nichts als ein leeres Wortſpiel. Mit einem Wort, gegen die Moͤglichkeit der Sache weiß ich nichts zu ſagen.
3.
Sie hat aber anderswo zwo Seiten, wo man ihr beykommen kann. Es werden gewiſſe phyſiſche Grund- ſaͤtze angenommen, auf die ihre Moͤglichkeit gebauet iſt. Hier kann man zuerſt fragen, ob dieß wahre Saͤtze, und ob ſie es alle ſind? Sind ſie zur voͤlligen phyſiſchen Ge- wißheit gebracht, die Hr. Bonnet in ihnen vorausſetzet, oder koͤnnen ſie dahin gebracht werden?
Alsdenn ſoll ſie zweytens als Hypotheſe betrachtet, alles begreiflich machen, was wir bey der Seele beob- achten. Und da iſt die zwote große Frage: Ob ſie denn ein ſolcher Gemeinſchluͤſſel ſey, der alles aufſchließet, was er oͤffnen ſoll? Oder ob ſie nicht vielmehr nur zu einigen Erfahrungen paſſe, zu andern nicht? und ob nicht Beobachtungen da ſind, bey denen ſie eben ſo ge-
drehet
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0281"n="251"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">im Menſchen.</hi></fw><lb/><p>Auch will ichs ihr nicht vorwerfen, daß ſie einen all-<lb/>
zukuͤnſtlichen Mechanismus im Gehirn erfodere. Vau-<lb/>
cauſſons Floͤtenſpieler, und faſt noch mehr ſein Kanarien-<lb/>
vogel, erlaͤutern die Moͤglichkeit ſolcher Maſchinen. Sie<lb/>
erlaͤutern ſie, ſage ich, denn es iſt allerdings noch im-<lb/>
mer ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen allen auch<lb/>
noch ſo kuͤnſtlichen Maſchinen und zwiſchen einem repro-<lb/>
ducirenden Gehirn zuruͤck, den ich gleich weiter eroͤrtern<lb/>
will. Die Leibnitziſche Harmonie verlangte noch viel<lb/>
mehr von dem Mechaniſmus des Koͤrpers; da ſie dieſen<lb/>
alles thun ließ, was zu der Hervorbringung der mate-<lb/>
riellen Jdeen und der Bewegungen gehoͤret, Hr. Bon-<lb/>
net dagegen die Seele dazwiſchen kommen und die Be-<lb/>
wegungen im Koͤrper durch ſie regieren und lenken<lb/>
laͤßt. Und dennoch war der Einwurf, den Bayle ge-<lb/>
gen Leibnitz machte, daß ein ſolcher Mechaniſmus uͤber<lb/>
die Allweisheit Gottes hinausgehe, nichts als ein leeres<lb/>
Wortſpiel. Mit einem Wort, gegen die Moͤglichkeit<lb/>
der Sache weiß ich nichts zu ſagen.</p></div><lb/><divn="3"><head>3.</head><lb/><p>Sie hat aber anderswo zwo Seiten, wo man ihr<lb/>
beykommen kann. Es werden gewiſſe phyſiſche Grund-<lb/>ſaͤtze angenommen, auf die ihre Moͤglichkeit gebauet iſt.<lb/>
Hier kann man zuerſt fragen, ob dieß wahre Saͤtze, und<lb/>
ob ſie es alle ſind? Sind ſie zur voͤlligen phyſiſchen Ge-<lb/>
wißheit gebracht, die Hr. Bonnet in ihnen vorausſetzet,<lb/>
oder koͤnnen ſie dahin gebracht werden?</p><lb/><p>Alsdenn ſoll ſie zweytens als Hypotheſe betrachtet,<lb/>
alles begreiflich machen, was wir bey der Seele beob-<lb/>
achten. Und da iſt die zwote große Frage: Ob ſie denn<lb/>
ein ſolcher Gemeinſchluͤſſel ſey, der alles aufſchließet,<lb/>
was er oͤffnen ſoll? Oder ob ſie nicht vielmehr nur zu<lb/>
einigen Erfahrungen paſſe, zu andern nicht? und ob<lb/>
nicht Beobachtungen da ſind, bey denen ſie eben ſo ge-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">drehet</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[251/0281]
im Menſchen.
Auch will ichs ihr nicht vorwerfen, daß ſie einen all-
zukuͤnſtlichen Mechanismus im Gehirn erfodere. Vau-
cauſſons Floͤtenſpieler, und faſt noch mehr ſein Kanarien-
vogel, erlaͤutern die Moͤglichkeit ſolcher Maſchinen. Sie
erlaͤutern ſie, ſage ich, denn es iſt allerdings noch im-
mer ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen allen auch
noch ſo kuͤnſtlichen Maſchinen und zwiſchen einem repro-
ducirenden Gehirn zuruͤck, den ich gleich weiter eroͤrtern
will. Die Leibnitziſche Harmonie verlangte noch viel
mehr von dem Mechaniſmus des Koͤrpers; da ſie dieſen
alles thun ließ, was zu der Hervorbringung der mate-
riellen Jdeen und der Bewegungen gehoͤret, Hr. Bon-
net dagegen die Seele dazwiſchen kommen und die Be-
wegungen im Koͤrper durch ſie regieren und lenken
laͤßt. Und dennoch war der Einwurf, den Bayle ge-
gen Leibnitz machte, daß ein ſolcher Mechaniſmus uͤber
die Allweisheit Gottes hinausgehe, nichts als ein leeres
Wortſpiel. Mit einem Wort, gegen die Moͤglichkeit
der Sache weiß ich nichts zu ſagen.
3.
Sie hat aber anderswo zwo Seiten, wo man ihr
beykommen kann. Es werden gewiſſe phyſiſche Grund-
ſaͤtze angenommen, auf die ihre Moͤglichkeit gebauet iſt.
Hier kann man zuerſt fragen, ob dieß wahre Saͤtze, und
ob ſie es alle ſind? Sind ſie zur voͤlligen phyſiſchen Ge-
wißheit gebracht, die Hr. Bonnet in ihnen vorausſetzet,
oder koͤnnen ſie dahin gebracht werden?
Alsdenn ſoll ſie zweytens als Hypotheſe betrachtet,
alles begreiflich machen, was wir bey der Seele beob-
achten. Und da iſt die zwote große Frage: Ob ſie denn
ein ſolcher Gemeinſchluͤſſel ſey, der alles aufſchließet,
was er oͤffnen ſoll? Oder ob ſie nicht vielmehr nur zu
einigen Erfahrungen paſſe, zu andern nicht? und ob
nicht Beobachtungen da ſind, bey denen ſie eben ſo ge-
drehet
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/281>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.