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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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im Menschen.

Auch will ichs ihr nicht vorwerfen, daß sie einen all-
zukünstlichen Mechanismus im Gehirn erfodere. Vau-
caussons Flötenspieler, und fast noch mehr sein Kanarien-
vogel, erläutern die Möglichkeit solcher Maschinen. Sie
erläutern sie, sage ich, denn es ist allerdings noch im-
mer ein wesentlicher Unterschied zwischen allen auch
noch so künstlichen Maschinen und zwischen einem repro-
ducirenden Gehirn zurück, den ich gleich weiter erörtern
will. Die Leibnitzische Harmonie verlangte noch viel
mehr von dem Mechanismus des Körpers; da sie diesen
alles thun ließ, was zu der Hervorbringung der mate-
riellen Jdeen und der Bewegungen gehöret, Hr. Bon-
net dagegen die Seele dazwischen kommen und die Be-
wegungen im Körper durch sie regieren und lenken
läßt. Und dennoch war der Einwurf, den Bayle ge-
gen Leibnitz machte, daß ein solcher Mechanismus über
die Allweisheit Gottes hinausgehe, nichts als ein leeres
Wortspiel. Mit einem Wort, gegen die Möglichkeit
der Sache weiß ich nichts zu sagen.

3.

Sie hat aber anderswo zwo Seiten, wo man ihr
beykommen kann. Es werden gewisse physische Grund-
sätze angenommen, auf die ihre Möglichkeit gebauet ist.
Hier kann man zuerst fragen, ob dieß wahre Sätze, und
ob sie es alle sind? Sind sie zur völligen physischen Ge-
wißheit gebracht, die Hr. Bonnet in ihnen voraussetzet,
oder können sie dahin gebracht werden?

Alsdenn soll sie zweytens als Hypothese betrachtet,
alles begreiflich machen, was wir bey der Seele beob-
achten. Und da ist die zwote große Frage: Ob sie denn
ein solcher Gemeinschlüssel sey, der alles aufschließet,
was er öffnen soll? Oder ob sie nicht vielmehr nur zu
einigen Erfahrungen passe, zu andern nicht? und ob
nicht Beobachtungen da sind, bey denen sie eben so ge-

drehet
im Menſchen.

Auch will ichs ihr nicht vorwerfen, daß ſie einen all-
zukuͤnſtlichen Mechanismus im Gehirn erfodere. Vau-
cauſſons Floͤtenſpieler, und faſt noch mehr ſein Kanarien-
vogel, erlaͤutern die Moͤglichkeit ſolcher Maſchinen. Sie
erlaͤutern ſie, ſage ich, denn es iſt allerdings noch im-
mer ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen allen auch
noch ſo kuͤnſtlichen Maſchinen und zwiſchen einem repro-
ducirenden Gehirn zuruͤck, den ich gleich weiter eroͤrtern
will. Die Leibnitziſche Harmonie verlangte noch viel
mehr von dem Mechaniſmus des Koͤrpers; da ſie dieſen
alles thun ließ, was zu der Hervorbringung der mate-
riellen Jdeen und der Bewegungen gehoͤret, Hr. Bon-
net dagegen die Seele dazwiſchen kommen und die Be-
wegungen im Koͤrper durch ſie regieren und lenken
laͤßt. Und dennoch war der Einwurf, den Bayle ge-
gen Leibnitz machte, daß ein ſolcher Mechaniſmus uͤber
die Allweisheit Gottes hinausgehe, nichts als ein leeres
Wortſpiel. Mit einem Wort, gegen die Moͤglichkeit
der Sache weiß ich nichts zu ſagen.

3.

Sie hat aber anderswo zwo Seiten, wo man ihr
beykommen kann. Es werden gewiſſe phyſiſche Grund-
ſaͤtze angenommen, auf die ihre Moͤglichkeit gebauet iſt.
Hier kann man zuerſt fragen, ob dieß wahre Saͤtze, und
ob ſie es alle ſind? Sind ſie zur voͤlligen phyſiſchen Ge-
wißheit gebracht, die Hr. Bonnet in ihnen vorausſetzet,
oder koͤnnen ſie dahin gebracht werden?

Alsdenn ſoll ſie zweytens als Hypotheſe betrachtet,
alles begreiflich machen, was wir bey der Seele beob-
achten. Und da iſt die zwote große Frage: Ob ſie denn
ein ſolcher Gemeinſchluͤſſel ſey, der alles aufſchließet,
was er oͤffnen ſoll? Oder ob ſie nicht vielmehr nur zu
einigen Erfahrungen paſſe, zu andern nicht? und ob
nicht Beobachtungen da ſind, bey denen ſie eben ſo ge-

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[251/0281] im Menſchen. Auch will ichs ihr nicht vorwerfen, daß ſie einen all- zukuͤnſtlichen Mechanismus im Gehirn erfodere. Vau- cauſſons Floͤtenſpieler, und faſt noch mehr ſein Kanarien- vogel, erlaͤutern die Moͤglichkeit ſolcher Maſchinen. Sie erlaͤutern ſie, ſage ich, denn es iſt allerdings noch im- mer ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen allen auch noch ſo kuͤnſtlichen Maſchinen und zwiſchen einem repro- ducirenden Gehirn zuruͤck, den ich gleich weiter eroͤrtern will. Die Leibnitziſche Harmonie verlangte noch viel mehr von dem Mechaniſmus des Koͤrpers; da ſie dieſen alles thun ließ, was zu der Hervorbringung der mate- riellen Jdeen und der Bewegungen gehoͤret, Hr. Bon- net dagegen die Seele dazwiſchen kommen und die Be- wegungen im Koͤrper durch ſie regieren und lenken laͤßt. Und dennoch war der Einwurf, den Bayle ge- gen Leibnitz machte, daß ein ſolcher Mechaniſmus uͤber die Allweisheit Gottes hinausgehe, nichts als ein leeres Wortſpiel. Mit einem Wort, gegen die Moͤglichkeit der Sache weiß ich nichts zu ſagen. 3. Sie hat aber anderswo zwo Seiten, wo man ihr beykommen kann. Es werden gewiſſe phyſiſche Grund- ſaͤtze angenommen, auf die ihre Moͤglichkeit gebauet iſt. Hier kann man zuerſt fragen, ob dieß wahre Saͤtze, und ob ſie es alle ſind? Sind ſie zur voͤlligen phyſiſchen Ge- wißheit gebracht, die Hr. Bonnet in ihnen vorausſetzet, oder koͤnnen ſie dahin gebracht werden? Alsdenn ſoll ſie zweytens als Hypotheſe betrachtet, alles begreiflich machen, was wir bey der Seele beob- achten. Und da iſt die zwote große Frage: Ob ſie denn ein ſolcher Gemeinſchluͤſſel ſey, der alles aufſchließet, was er oͤffnen ſoll? Oder ob ſie nicht vielmehr nur zu einigen Erfahrungen paſſe, zu andern nicht? und ob nicht Beobachtungen da ſind, bey denen ſie eben ſo ge- drehet

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/281>, abgerufen am 24.11.2024.