Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen
drehet werden müsse, um sie anzuwenden, als das vor-
hergehende System und als jedes andere? Denn wenn
dieß ist, so wird es schon schwer zu glauben, daß es in
dem denkenden und handelnden Menschen wirklich also
zugehe, als Hr. Bonnet an seiner beseelten Statue es
hat vorstellig machen wollen.

Der erste und allgemeinste Grundsatz, auf den Hr.
Bonnet bauet, ist folgender: "Jn dem Gehirn sollen
"die Jmpressionen von außen während der Empfin-
"dung, gewisse permanente Beschaffenheiten, oder
"Leichtigkeiten auf die nämliche sinnliche Art von
"neuem beweget zu werden, hervorbringen." Diese
materiellen Jdeen soll das Gehirn vermöge seiner Or-
ganisation annehmen.

Wenn man behaupten will, daß dieß wahrschein-
lich angenommen werden könne, so habe ich kein Be-
denken, beyzustimmen. Es entstehen auch in andern
Theilen des Körpers, in den Fingern, in den Füßen,
in den Augen, und fast in allen Muskeln dergleichen
Leichtigkeiten, oder Dispositionen, wie sich besonders
alsdenn gewahrnehmen läßt, wenn wir uns körperliche
Kunstfertigkeiten zu verschaffen uns bemühen. Wer an ein
anhaltendes Lesen in Büchern nicht gewöhnt ist, fühlet
anfangs, daß ihm die Augen wehe thun; und wer auf
einem Jnstrumente spielen lernet, hat im Anfange, bey
einiger Anstrengung unangenehme Empfindungen. Je-
de ungewohnte Arbeit ist, wie die Erfahrung lehret,
schwer auch für den Körper, und wird leicht durch
die Uebung. Daher ist es außer Zweifel, daß die Wie-
derholung einerley Art von Handlungen auch in den
äußern Theilen des organisirten Körpers eine gewisse
Geschwindigkeit hervorbringe, welche sie aufgelegt
macht, auf eine gewisse Art und in einer besondern Fol-
ge, leichter beweget zu werden, als sie es vorhero gewe-
sen sind. Sollte nun die Analogie nicht etwas ähnli-

ches

XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
drehet werden muͤſſe, um ſie anzuwenden, als das vor-
hergehende Syſtem und als jedes andere? Denn wenn
dieß iſt, ſo wird es ſchon ſchwer zu glauben, daß es in
dem denkenden und handelnden Menſchen wirklich alſo
zugehe, als Hr. Bonnet an ſeiner beſeelten Statue es
hat vorſtellig machen wollen.

Der erſte und allgemeinſte Grundſatz, auf den Hr.
Bonnet bauet, iſt folgender: „Jn dem Gehirn ſollen
„die Jmpreſſionen von außen waͤhrend der Empfin-
„dung, gewiſſe permanente Beſchaffenheiten, oder
„Leichtigkeiten auf die naͤmliche ſinnliche Art von
„neuem beweget zu werden, hervorbringen.‟ Dieſe
materiellen Jdeen ſoll das Gehirn vermoͤge ſeiner Or-
ganiſation annehmen.

Wenn man behaupten will, daß dieß wahrſchein-
lich angenommen werden koͤnne, ſo habe ich kein Be-
denken, beyzuſtimmen. Es entſtehen auch in andern
Theilen des Koͤrpers, in den Fingern, in den Fuͤßen,
in den Augen, und faſt in allen Muskeln dergleichen
Leichtigkeiten, oder Diſpoſitionen, wie ſich beſonders
alsdenn gewahrnehmen laͤßt, wenn wir uns koͤrperliche
Kunſtfertigkeiten zu verſchaffen uns bemuͤhen. Wer an ein
anhaltendes Leſen in Buͤchern nicht gewoͤhnt iſt, fuͤhlet
anfangs, daß ihm die Augen wehe thun; und wer auf
einem Jnſtrumente ſpielen lernet, hat im Anfange, bey
einiger Anſtrengung unangenehme Empfindungen. Je-
de ungewohnte Arbeit iſt, wie die Erfahrung lehret,
ſchwer auch fuͤr den Koͤrper, und wird leicht durch
die Uebung. Daher iſt es außer Zweifel, daß die Wie-
derholung einerley Art von Handlungen auch in den
aͤußern Theilen des organiſirten Koͤrpers eine gewiſſe
Geſchwindigkeit hervorbringe, welche ſie aufgelegt
macht, auf eine gewiſſe Art und in einer beſondern Fol-
ge, leichter beweget zu werden, als ſie es vorhero gewe-
ſen ſind. Sollte nun die Analogie nicht etwas aͤhnli-

ches
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0282" n="252"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIII.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber das Seelenwe&#x017F;en</hi></fw><lb/>
drehet werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, um &#x017F;ie anzuwenden, als das vor-<lb/>
hergehende Sy&#x017F;tem und als jedes andere? Denn wenn<lb/>
dieß i&#x017F;t, &#x017F;o wird es &#x017F;chon &#x017F;chwer zu glauben, daß es in<lb/>
dem denkenden und handelnden Men&#x017F;chen wirklich al&#x017F;o<lb/>
zugehe, als Hr. Bonnet an &#x017F;einer be&#x017F;eelten Statue es<lb/>
hat vor&#x017F;tellig machen wollen.</p><lb/>
            <p>Der er&#x017F;te und allgemein&#x017F;te Grund&#x017F;atz, auf den Hr.<lb/>
Bonnet bauet, i&#x017F;t folgender: &#x201E;Jn dem Gehirn &#x017F;ollen<lb/>
&#x201E;die Jmpre&#x017F;&#x017F;ionen von außen wa&#x0364;hrend der Empfin-<lb/>
&#x201E;dung, gewi&#x017F;&#x017F;e permanente Be&#x017F;chaffenheiten, oder<lb/>
&#x201E;Leichtigkeiten auf die na&#x0364;mliche &#x017F;innliche Art von<lb/>
&#x201E;neuem beweget zu werden, hervorbringen.&#x201F; Die&#x017F;e<lb/>
materiellen Jdeen &#x017F;oll das Gehirn vermo&#x0364;ge &#x017F;einer Or-<lb/>
gani&#x017F;ation annehmen.</p><lb/>
            <p>Wenn man behaupten will, daß dieß wahr&#x017F;chein-<lb/>
lich angenommen werden ko&#x0364;nne, &#x017F;o habe ich kein Be-<lb/>
denken, beyzu&#x017F;timmen. Es ent&#x017F;tehen auch in andern<lb/>
Theilen des Ko&#x0364;rpers, in den Fingern, in den Fu&#x0364;ßen,<lb/>
in den Augen, und fa&#x017F;t in allen Muskeln dergleichen<lb/>
Leichtigkeiten, oder Di&#x017F;po&#x017F;itionen, wie &#x017F;ich be&#x017F;onders<lb/>
alsdenn gewahrnehmen la&#x0364;ßt, wenn wir uns ko&#x0364;rperliche<lb/>
Kun&#x017F;tfertigkeiten zu ver&#x017F;chaffen uns bemu&#x0364;hen. Wer an ein<lb/>
anhaltendes Le&#x017F;en in Bu&#x0364;chern nicht gewo&#x0364;hnt i&#x017F;t, fu&#x0364;hlet<lb/>
anfangs, daß ihm die Augen wehe thun; und wer auf<lb/>
einem Jn&#x017F;trumente &#x017F;pielen lernet, hat im Anfange, bey<lb/>
einiger An&#x017F;trengung unangenehme Empfindungen. Je-<lb/>
de ungewohnte Arbeit i&#x017F;t, wie die Erfahrung lehret,<lb/>
&#x017F;chwer auch fu&#x0364;r den Ko&#x0364;rper, und wird leicht durch<lb/>
die Uebung. Daher i&#x017F;t es außer Zweifel, daß die Wie-<lb/>
derholung einerley Art von Handlungen auch in den<lb/>
a&#x0364;ußern Theilen des organi&#x017F;irten Ko&#x0364;rpers eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Ge&#x017F;chwindigkeit hervorbringe, welche &#x017F;ie aufgelegt<lb/>
macht, auf eine gewi&#x017F;&#x017F;e Art und in einer be&#x017F;ondern Fol-<lb/>
ge, leichter beweget zu werden, als &#x017F;ie es vorhero gewe-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ind. Sollte nun die Analogie nicht etwas a&#x0364;hnli-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ches</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0282] XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen drehet werden muͤſſe, um ſie anzuwenden, als das vor- hergehende Syſtem und als jedes andere? Denn wenn dieß iſt, ſo wird es ſchon ſchwer zu glauben, daß es in dem denkenden und handelnden Menſchen wirklich alſo zugehe, als Hr. Bonnet an ſeiner beſeelten Statue es hat vorſtellig machen wollen. Der erſte und allgemeinſte Grundſatz, auf den Hr. Bonnet bauet, iſt folgender: „Jn dem Gehirn ſollen „die Jmpreſſionen von außen waͤhrend der Empfin- „dung, gewiſſe permanente Beſchaffenheiten, oder „Leichtigkeiten auf die naͤmliche ſinnliche Art von „neuem beweget zu werden, hervorbringen.‟ Dieſe materiellen Jdeen ſoll das Gehirn vermoͤge ſeiner Or- ganiſation annehmen. Wenn man behaupten will, daß dieß wahrſchein- lich angenommen werden koͤnne, ſo habe ich kein Be- denken, beyzuſtimmen. Es entſtehen auch in andern Theilen des Koͤrpers, in den Fingern, in den Fuͤßen, in den Augen, und faſt in allen Muskeln dergleichen Leichtigkeiten, oder Diſpoſitionen, wie ſich beſonders alsdenn gewahrnehmen laͤßt, wenn wir uns koͤrperliche Kunſtfertigkeiten zu verſchaffen uns bemuͤhen. Wer an ein anhaltendes Leſen in Buͤchern nicht gewoͤhnt iſt, fuͤhlet anfangs, daß ihm die Augen wehe thun; und wer auf einem Jnſtrumente ſpielen lernet, hat im Anfange, bey einiger Anſtrengung unangenehme Empfindungen. Je- de ungewohnte Arbeit iſt, wie die Erfahrung lehret, ſchwer auch fuͤr den Koͤrper, und wird leicht durch die Uebung. Daher iſt es außer Zweifel, daß die Wie- derholung einerley Art von Handlungen auch in den aͤußern Theilen des organiſirten Koͤrpers eine gewiſſe Geſchwindigkeit hervorbringe, welche ſie aufgelegt macht, auf eine gewiſſe Art und in einer beſondern Fol- ge, leichter beweget zu werden, als ſie es vorhero gewe- ſen ſind. Sollte nun die Analogie nicht etwas aͤhnli- ches

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/282
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/282>, abgerufen am 24.11.2024.