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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen
aus ehemaligen Empfindungen sey. *) Und wenn wir
auf jede allein, und außer der Verbindung mit den übrigen
zurücksehen, so würden wir außer dem dunkeln Gefühl,
daß es wiedererweckte Jdeen sind, nichts mehr bey ih-
nen gewahrnehmen. Aber indem wir ihrer mehrere
zugleich haben, die sich in der Reproduktion eben so auf
einander beziehen, als vordem in der Empfindung, so
sehen wir auch jedwede derselben in ihrer Verbindung
mit andern. Die Reihe von Vorstellungen, welche
die Jdee der vergangenen Zeit unsers Lebens aus-
macht, ist nebst den Bildern von den Oertern, wo wir
gewesen sind, gleichsam der Grundfaden, auf welchen
wir die übrigen Vorstellungen von einzelnen Objekten
beziehen, und dadurch das Ganze zu einer Vorstellung
von dem Vergangenen machen. Es ist die Verknü-
pfung jeder besondern Theile desselben, vermittelst welcher
wir solche klar und deutlich als Theile von dem Ver-
gangenen
erkennen und gewahrnehmen.

Hieraus folget, wie schon erinnert ist, von selbst,
daß wenn die Spuren ehemaliger Vorstellungen im
Gehirn verloren sind, man weder es deutlich wissen,
noch es dunkel fühlen könne, daß wir jemals auf eine
solche Art vorher modificirt gewesen sind. Dieß ist
die bonnetische Erklärung.

Ueberhaupt aber muß es, unabhängig von jeder Hy-
pothese, zufolge der Erfahrungen zugestanden werden,
daß alle Gefühle, welche die Seele von ihren leidentli-
chen Veränderungen hat, eben so, wie jedwede sonstige
Kraftäußerung eine entsprechende gegenwärtige Gehirns-
veränderung erfodere, in der die Seele ihr Gefühl und
ihre Aktion wie in einem Spiegel erkenne, woferne
sie solche anders in sich gewahrnehmen soll. Jst also
das körperliche Werkzeug nicht aufgelegt, die nöthigen

sinnli-
*) Erster Versuch X.

XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
aus ehemaligen Empfindungen ſey. *) Und wenn wir
auf jede allein, und außer der Verbindung mit den uͤbrigen
zuruͤckſehen, ſo wuͤrden wir außer dem dunkeln Gefuͤhl,
daß es wiedererweckte Jdeen ſind, nichts mehr bey ih-
nen gewahrnehmen. Aber indem wir ihrer mehrere
zugleich haben, die ſich in der Reproduktion eben ſo auf
einander beziehen, als vordem in der Empfindung, ſo
ſehen wir auch jedwede derſelben in ihrer Verbindung
mit andern. Die Reihe von Vorſtellungen, welche
die Jdee der vergangenen Zeit unſers Lebens aus-
macht, iſt nebſt den Bildern von den Oertern, wo wir
geweſen ſind, gleichſam der Grundfaden, auf welchen
wir die uͤbrigen Vorſtellungen von einzelnen Objekten
beziehen, und dadurch das Ganze zu einer Vorſtellung
von dem Vergangenen machen. Es iſt die Verknuͤ-
pfung jeder beſondern Theile deſſelben, vermittelſt welcher
wir ſolche klar und deutlich als Theile von dem Ver-
gangenen
erkennen und gewahrnehmen.

Hieraus folget, wie ſchon erinnert iſt, von ſelbſt,
daß wenn die Spuren ehemaliger Vorſtellungen im
Gehirn verloren ſind, man weder es deutlich wiſſen,
noch es dunkel fuͤhlen koͤnne, daß wir jemals auf eine
ſolche Art vorher modificirt geweſen ſind. Dieß iſt
die bonnetiſche Erklaͤrung.

Ueberhaupt aber muß es, unabhaͤngig von jeder Hy-
potheſe, zufolge der Erfahrungen zugeſtanden werden,
daß alle Gefuͤhle, welche die Seele von ihren leidentli-
chen Veraͤnderungen hat, eben ſo, wie jedwede ſonſtige
Kraftaͤußerung eine entſprechende gegenwaͤrtige Gehirns-
veraͤnderung erfodere, in der die Seele ihr Gefuͤhl und
ihre Aktion wie in einem Spiegel erkenne, woferne
ſie ſolche anders in ſich gewahrnehmen ſoll. Jſt alſo
das koͤrperliche Werkzeug nicht aufgelegt, die noͤthigen

ſinnli-
*) Erſter Verſuch X.
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[270/0300] XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen aus ehemaligen Empfindungen ſey. *) Und wenn wir auf jede allein, und außer der Verbindung mit den uͤbrigen zuruͤckſehen, ſo wuͤrden wir außer dem dunkeln Gefuͤhl, daß es wiedererweckte Jdeen ſind, nichts mehr bey ih- nen gewahrnehmen. Aber indem wir ihrer mehrere zugleich haben, die ſich in der Reproduktion eben ſo auf einander beziehen, als vordem in der Empfindung, ſo ſehen wir auch jedwede derſelben in ihrer Verbindung mit andern. Die Reihe von Vorſtellungen, welche die Jdee der vergangenen Zeit unſers Lebens aus- macht, iſt nebſt den Bildern von den Oertern, wo wir geweſen ſind, gleichſam der Grundfaden, auf welchen wir die uͤbrigen Vorſtellungen von einzelnen Objekten beziehen, und dadurch das Ganze zu einer Vorſtellung von dem Vergangenen machen. Es iſt die Verknuͤ- pfung jeder beſondern Theile deſſelben, vermittelſt welcher wir ſolche klar und deutlich als Theile von dem Ver- gangenen erkennen und gewahrnehmen. Hieraus folget, wie ſchon erinnert iſt, von ſelbſt, daß wenn die Spuren ehemaliger Vorſtellungen im Gehirn verloren ſind, man weder es deutlich wiſſen, noch es dunkel fuͤhlen koͤnne, daß wir jemals auf eine ſolche Art vorher modificirt geweſen ſind. Dieß iſt die bonnetiſche Erklaͤrung. Ueberhaupt aber muß es, unabhaͤngig von jeder Hy- potheſe, zufolge der Erfahrungen zugeſtanden werden, daß alle Gefuͤhle, welche die Seele von ihren leidentli- chen Veraͤnderungen hat, eben ſo, wie jedwede ſonſtige Kraftaͤußerung eine entſprechende gegenwaͤrtige Gehirns- veraͤnderung erfodere, in der die Seele ihr Gefuͤhl und ihre Aktion wie in einem Spiegel erkenne, woferne ſie ſolche anders in ſich gewahrnehmen ſoll. Jſt alſo das koͤrperliche Werkzeug nicht aufgelegt, die noͤthigen ſinnli- *) Erſter Verſuch X.

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/300>, abgerufen am 22.11.2024.