abhängig macht, es eben so natürlich sey, sie in die Seele hin zu setzen. Was bedarf es einer Seelenbey- wirkung, eines gewissen Grades ihrer Reaktion auf die Gehirnsveränderung, um eine Vorstellung gegenwärtig zu erhalten? warum einer stärkern oder schwächern An- strengung ihrer Kraft, um sich zu erinnern, daß eine Vorstellung ehedem vorhanden gewesen ist, wenn das Spiel der Vorstellungen allein im Gehirn ist, und es nur darauf ankommt, daß die entstandenen Dispositionen zu gewissen sinnlichen Bewegungen in wirkliche Bewegun- gen zurückgehen? Warum soll denn noch überdieß eine Aktion der Seele erfodert werden, um die Eine vor der andern auszuwählen, und solche länger vor sich zu hal- ten? Die Seele soll das Spiel der Fasern lenken, ab- ändern und die Saiten anziehn. Warum ist die Seele nicht schlechthin nur eine müßige Zuschauerin? Warum fühlet sie nicht bloß das, was im Gehirn ist, so wie es ist, ohne bey jedem in gewisser Proportion einen thätigen Antheil zu nehmen? Warum muß sie denn so viel bey- wirken, als ihr doch zugeschrieben wird, und auch in der That nach den Beobachtungen zugeschrieben werden muß?
Es bringet die genaue Vereinigung der Seele mit dem Körper es so mit sich, wird Hr. Bonnet antwor- ten, und ich habe eine Hypothese angeben wollen, welche das denkende Wesen darstellet, wie es wirklich ist, nicht wie mans sich phantasiren möchte.
Ganz richtig, würde ich als Vertheidiger der ersten Hypothese erwiedern, dieß ist auch zugleich meine Ant- wort auf die obige Frage: warum die Gehirnsverände- rung so unentbehrlich ist, wenn eine Vorstellung repro- ducirt werden soll. Die Seele fühlet sich und ihren Zustand nur in ihren Wirkungen im Gehirn. So bringet es beider Vereinigung mit sich. Der Frage: warum ist die Seele, wenn sie selbst der Jdeensitz
ist,
IITheil. S
im Menſchen.
abhaͤngig macht, es eben ſo natuͤrlich ſey, ſie in die Seele hin zu ſetzen. Was bedarf es einer Seelenbey- wirkung, eines gewiſſen Grades ihrer Reaktion auf die Gehirnsveraͤnderung, um eine Vorſtellung gegenwaͤrtig zu erhalten? warum einer ſtaͤrkern oder ſchwaͤchern An- ſtrengung ihrer Kraft, um ſich zu erinnern, daß eine Vorſtellung ehedem vorhanden geweſen iſt, wenn das Spiel der Vorſtellungen allein im Gehirn iſt, und es nur darauf ankommt, daß die entſtandenen Diſpoſitionen zu gewiſſen ſinnlichen Bewegungen in wirkliche Bewegun- gen zuruͤckgehen? Warum ſoll denn noch uͤberdieß eine Aktion der Seele erfodert werden, um die Eine vor der andern auszuwaͤhlen, und ſolche laͤnger vor ſich zu hal- ten? Die Seele ſoll das Spiel der Faſern lenken, ab- aͤndern und die Saiten anziehn. Warum iſt die Seele nicht ſchlechthin nur eine muͤßige Zuſchauerin? Warum fuͤhlet ſie nicht bloß das, was im Gehirn iſt, ſo wie es iſt, ohne bey jedem in gewiſſer Proportion einen thaͤtigen Antheil zu nehmen? Warum muß ſie denn ſo viel bey- wirken, als ihr doch zugeſchrieben wird, und auch in der That nach den Beobachtungen zugeſchrieben werden muß?
Es bringet die genaue Vereinigung der Seele mit dem Koͤrper es ſo mit ſich, wird Hr. Bonnet antwor- ten, und ich habe eine Hypotheſe angeben wollen, welche das denkende Weſen darſtellet, wie es wirklich iſt, nicht wie mans ſich phantaſiren moͤchte.
Ganz richtig, wuͤrde ich als Vertheidiger der erſten Hypotheſe erwiedern, dieß iſt auch zugleich meine Ant- wort auf die obige Frage: warum die Gehirnsveraͤnde- rung ſo unentbehrlich iſt, wenn eine Vorſtellung repro- ducirt werden ſoll. Die Seele fuͤhlet ſich und ihren Zuſtand nur in ihren Wirkungen im Gehirn. So bringet es beider Vereinigung mit ſich. Der Frage: warum iſt die Seele, wenn ſie ſelbſt der Jdeenſitz
iſt,
IITheil. S
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0303"n="273"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">im Menſchen.</hi></fw><lb/>
abhaͤngig macht, es eben ſo natuͤrlich ſey, ſie in die<lb/>
Seele hin zu ſetzen. Was bedarf es einer Seelenbey-<lb/>
wirkung, eines gewiſſen Grades ihrer Reaktion auf die<lb/>
Gehirnsveraͤnderung, um eine Vorſtellung gegenwaͤrtig<lb/>
zu erhalten? warum einer ſtaͤrkern oder ſchwaͤchern An-<lb/>ſtrengung ihrer Kraft, um ſich zu erinnern, daß eine<lb/>
Vorſtellung ehedem vorhanden geweſen iſt, wenn das<lb/>
Spiel der Vorſtellungen allein im Gehirn iſt, und es nur<lb/>
darauf ankommt, daß die entſtandenen Diſpoſitionen zu<lb/>
gewiſſen ſinnlichen Bewegungen in wirkliche Bewegun-<lb/>
gen zuruͤckgehen? Warum ſoll denn noch uͤberdieß eine<lb/>
Aktion der Seele erfodert werden, um die Eine vor der<lb/>
andern auszuwaͤhlen, und ſolche laͤnger vor ſich zu hal-<lb/>
ten? Die Seele ſoll das Spiel der Faſern lenken, ab-<lb/>
aͤndern und die Saiten anziehn. Warum iſt die Seele<lb/>
nicht ſchlechthin nur eine muͤßige Zuſchauerin? Warum<lb/>
fuͤhlet ſie nicht bloß das, was im Gehirn iſt, ſo wie es<lb/>
iſt, ohne bey jedem in gewiſſer Proportion einen thaͤtigen<lb/>
Antheil zu nehmen? Warum muß ſie denn ſo viel bey-<lb/>
wirken, als ihr doch zugeſchrieben wird, und auch in<lb/>
der That nach den Beobachtungen zugeſchrieben werden<lb/>
muß?</p><lb/><p>Es bringet die genaue Vereinigung der Seele mit<lb/>
dem Koͤrper es ſo mit ſich, wird Hr. <hirendition="#fr">Bonnet</hi> antwor-<lb/>
ten, und ich habe eine Hypotheſe angeben wollen, welche<lb/>
das denkende Weſen darſtellet, wie es wirklich iſt, nicht<lb/>
wie mans ſich phantaſiren moͤchte.</p><lb/><p>Ganz richtig, wuͤrde ich als Vertheidiger der erſten<lb/>
Hypotheſe erwiedern, dieß iſt auch zugleich meine Ant-<lb/>
wort auf die obige Frage: warum die Gehirnsveraͤnde-<lb/>
rung ſo unentbehrlich iſt, wenn eine Vorſtellung repro-<lb/>
ducirt werden ſoll. Die Seele fuͤhlet ſich und ihren<lb/>
Zuſtand nur in ihren Wirkungen im Gehirn. So<lb/>
bringet es beider Vereinigung mit ſich. Der Frage:<lb/>
warum iſt die Seele, wenn ſie <hirendition="#fr">ſelbſt der Jdeenſitz</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">II</hi><hirendition="#fr">Theil.</hi> S</fw><fwplace="bottom"type="catch">iſt,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[273/0303]
im Menſchen.
abhaͤngig macht, es eben ſo natuͤrlich ſey, ſie in die
Seele hin zu ſetzen. Was bedarf es einer Seelenbey-
wirkung, eines gewiſſen Grades ihrer Reaktion auf die
Gehirnsveraͤnderung, um eine Vorſtellung gegenwaͤrtig
zu erhalten? warum einer ſtaͤrkern oder ſchwaͤchern An-
ſtrengung ihrer Kraft, um ſich zu erinnern, daß eine
Vorſtellung ehedem vorhanden geweſen iſt, wenn das
Spiel der Vorſtellungen allein im Gehirn iſt, und es nur
darauf ankommt, daß die entſtandenen Diſpoſitionen zu
gewiſſen ſinnlichen Bewegungen in wirkliche Bewegun-
gen zuruͤckgehen? Warum ſoll denn noch uͤberdieß eine
Aktion der Seele erfodert werden, um die Eine vor der
andern auszuwaͤhlen, und ſolche laͤnger vor ſich zu hal-
ten? Die Seele ſoll das Spiel der Faſern lenken, ab-
aͤndern und die Saiten anziehn. Warum iſt die Seele
nicht ſchlechthin nur eine muͤßige Zuſchauerin? Warum
fuͤhlet ſie nicht bloß das, was im Gehirn iſt, ſo wie es
iſt, ohne bey jedem in gewiſſer Proportion einen thaͤtigen
Antheil zu nehmen? Warum muß ſie denn ſo viel bey-
wirken, als ihr doch zugeſchrieben wird, und auch in
der That nach den Beobachtungen zugeſchrieben werden
muß?
Es bringet die genaue Vereinigung der Seele mit
dem Koͤrper es ſo mit ſich, wird Hr. Bonnet antwor-
ten, und ich habe eine Hypotheſe angeben wollen, welche
das denkende Weſen darſtellet, wie es wirklich iſt, nicht
wie mans ſich phantaſiren moͤchte.
Ganz richtig, wuͤrde ich als Vertheidiger der erſten
Hypotheſe erwiedern, dieß iſt auch zugleich meine Ant-
wort auf die obige Frage: warum die Gehirnsveraͤnde-
rung ſo unentbehrlich iſt, wenn eine Vorſtellung repro-
ducirt werden ſoll. Die Seele fuͤhlet ſich und ihren
Zuſtand nur in ihren Wirkungen im Gehirn. So
bringet es beider Vereinigung mit ſich. Der Frage:
warum iſt die Seele, wenn ſie ſelbſt der Jdeenſitz
iſt,
II Theil. S
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/303>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.