entsprechende Gehirnsbeschaffenheit, und hat sie Stärke genug, dieß Bestreben zur vollen Aktion zu bringen: so kann die Wirkung der erstern materiellen Gehirns- bewegung auf sie nur schwach und unendlich geringe seyn. Wie viele von den Gehirnsschwingungen mögen nicht wohl wiedererneuert werden, ohne daß sie zugleich in der Seele die dazu gehörigen materiellen Jdeen in der Maße hervorbringen, daß eine klare und beobacht- bare Vorstellung zu Stande kommt?
Wiederum, wenn die Seelenbeschaffenheit in der Seele sich entwickelt, so erfolget auch durch die ununter- brochene Aktion der Seele aufs Gehirn die ihr entspre- chende sinnliche Bewegung in diesem, und es entsteht eine Vorstellung, die gewahrgenommen werden kann; um desto mehr, desto leichter und geschwinder, je mehr das Gehirn aufgelegt ist, die dazu gehörigen sinnlichen Bewegungen zu erneuern, und je weniger andere Ur- sachen andere entgegengesetzte Schwingungen veranlas- sen. Wie viele innere Aktionen mag die Seele wohl bey sich selbst vornehmen, und wie oft wohl in ihrem Jnnern wirksam seyn, Jdeen zusammensetzen und trennen, ohne daß wir um diese einzelnen Aktionen et- was wissen, weil wir sie nicht fühlen können?
Diese Hypothese erklärt die Aeußerungen der Seele von allen Seiten; sie läßt uns des Menschen Größe und Schwäche begreifen; begreifen, wie wenig die Seele ohne Körper ist, und wie sehr sie von allen Ursachen abhängt, die in jenen einen Einfluß haben; und auch auf der andern Seite, wie wenig das Gehirn ohne Seele ist, und wie sehr es von den Ursachen abhängt, die auf die Seele wirken. Sie macht den Unterschied zwischen unwillkürlichen Vorstellungen und zwischen denen, die von unserer Selbstbestimmung abhangen, begreiflich; und erkläret, wie zwischen der Stärke des Gehirns und der Stärke der Seele, so unentbehrlich
die
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
entſprechende Gehirnsbeſchaffenheit, und hat ſie Staͤrke genug, dieß Beſtreben zur vollen Aktion zu bringen: ſo kann die Wirkung der erſtern materiellen Gehirns- bewegung auf ſie nur ſchwach und unendlich geringe ſeyn. Wie viele von den Gehirnsſchwingungen moͤgen nicht wohl wiedererneuert werden, ohne daß ſie zugleich in der Seele die dazu gehoͤrigen materiellen Jdeen in der Maße hervorbringen, daß eine klare und beobacht- bare Vorſtellung zu Stande kommt?
Wiederum, wenn die Seelenbeſchaffenheit in der Seele ſich entwickelt, ſo erfolget auch durch die ununter- brochene Aktion der Seele aufs Gehirn die ihr entſpre- chende ſinnliche Bewegung in dieſem, und es entſteht eine Vorſtellung, die gewahrgenommen werden kann; um deſto mehr, deſto leichter und geſchwinder, je mehr das Gehirn aufgelegt iſt, die dazu gehoͤrigen ſinnlichen Bewegungen zu erneuern, und je weniger andere Ur- ſachen andere entgegengeſetzte Schwingungen veranlaſ- ſen. Wie viele innere Aktionen mag die Seele wohl bey ſich ſelbſt vornehmen, und wie oft wohl in ihrem Jnnern wirkſam ſeyn, Jdeen zuſammenſetzen und trennen, ohne daß wir um dieſe einzelnen Aktionen et- was wiſſen, weil wir ſie nicht fuͤhlen koͤnnen?
Dieſe Hypotheſe erklaͤrt die Aeußerungen der Seele von allen Seiten; ſie laͤßt uns des Menſchen Groͤße und Schwaͤche begreifen; begreifen, wie wenig die Seele ohne Koͤrper iſt, und wie ſehr ſie von allen Urſachen abhaͤngt, die in jenen einen Einfluß haben; und auch auf der andern Seite, wie wenig das Gehirn ohne Seele iſt, und wie ſehr es von den Urſachen abhaͤngt, die auf die Seele wirken. Sie macht den Unterſchied zwiſchen unwillkuͤrlichen Vorſtellungen und zwiſchen denen, die von unſerer Selbſtbeſtimmung abhangen, begreiflich; und erklaͤret, wie zwiſchen der Staͤrke des Gehirns und der Staͤrke der Seele, ſo unentbehrlich
die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0328"n="298"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XIII.</hi> Verſuch. Ueber das Seelenweſen</hi></fw><lb/>
entſprechende Gehirnsbeſchaffenheit, und hat ſie Staͤrke<lb/>
genug, dieß Beſtreben zur vollen Aktion zu bringen:<lb/>ſo kann die Wirkung der erſtern materiellen Gehirns-<lb/>
bewegung auf ſie nur ſchwach und unendlich geringe<lb/>ſeyn. Wie viele von den Gehirnsſchwingungen moͤgen<lb/>
nicht wohl wiedererneuert werden, ohne daß ſie zugleich<lb/>
in der Seele die dazu gehoͤrigen materiellen Jdeen in der<lb/>
Maße hervorbringen, daß eine <hirendition="#fr">klare</hi> und <hirendition="#fr">beobacht-<lb/>
bare</hi> Vorſtellung zu Stande kommt?</p><lb/><p>Wiederum, wenn die Seelenbeſchaffenheit in der<lb/>
Seele ſich entwickelt, ſo erfolget auch durch die ununter-<lb/>
brochene Aktion der Seele aufs Gehirn die ihr entſpre-<lb/>
chende ſinnliche Bewegung in dieſem, und es entſteht<lb/>
eine Vorſtellung, die gewahrgenommen werden kann;<lb/>
um deſto mehr, deſto leichter und geſchwinder, je mehr<lb/>
das Gehirn aufgelegt iſt, die dazu gehoͤrigen ſinnlichen<lb/>
Bewegungen zu erneuern, und je weniger andere Ur-<lb/>ſachen andere entgegengeſetzte Schwingungen veranlaſ-<lb/>ſen. Wie viele innere Aktionen mag die Seele wohl<lb/>
bey ſich ſelbſt vornehmen, und wie oft wohl in ihrem<lb/>
Jnnern wirkſam ſeyn, Jdeen zuſammenſetzen und<lb/>
trennen, ohne daß wir um dieſe einzelnen Aktionen et-<lb/>
was wiſſen, weil wir ſie nicht fuͤhlen koͤnnen?</p><lb/><p>Dieſe Hypotheſe erklaͤrt die Aeußerungen der Seele<lb/>
von allen Seiten; ſie laͤßt uns des Menſchen Groͤße und<lb/>
Schwaͤche begreifen; begreifen, wie wenig die Seele<lb/>
ohne Koͤrper iſt, und wie ſehr ſie von allen Urſachen<lb/>
abhaͤngt, die in jenen einen Einfluß haben; und auch<lb/>
auf der andern Seite, wie wenig das Gehirn ohne<lb/>
Seele iſt, und wie ſehr es von den Urſachen abhaͤngt,<lb/>
die auf die Seele wirken. Sie macht den Unterſchied<lb/>
zwiſchen <hirendition="#fr">unwillkuͤrlichen</hi> Vorſtellungen und zwiſchen<lb/>
denen, die von unſerer Selbſtbeſtimmung abhangen,<lb/>
begreiflich; und erklaͤret, wie zwiſchen der Staͤrke des<lb/>
Gehirns und der Staͤrke der Seele, ſo unentbehrlich<lb/><fwplace="bottom"type="catch">die</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[298/0328]
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
entſprechende Gehirnsbeſchaffenheit, und hat ſie Staͤrke
genug, dieß Beſtreben zur vollen Aktion zu bringen:
ſo kann die Wirkung der erſtern materiellen Gehirns-
bewegung auf ſie nur ſchwach und unendlich geringe
ſeyn. Wie viele von den Gehirnsſchwingungen moͤgen
nicht wohl wiedererneuert werden, ohne daß ſie zugleich
in der Seele die dazu gehoͤrigen materiellen Jdeen in der
Maße hervorbringen, daß eine klare und beobacht-
bare Vorſtellung zu Stande kommt?
Wiederum, wenn die Seelenbeſchaffenheit in der
Seele ſich entwickelt, ſo erfolget auch durch die ununter-
brochene Aktion der Seele aufs Gehirn die ihr entſpre-
chende ſinnliche Bewegung in dieſem, und es entſteht
eine Vorſtellung, die gewahrgenommen werden kann;
um deſto mehr, deſto leichter und geſchwinder, je mehr
das Gehirn aufgelegt iſt, die dazu gehoͤrigen ſinnlichen
Bewegungen zu erneuern, und je weniger andere Ur-
ſachen andere entgegengeſetzte Schwingungen veranlaſ-
ſen. Wie viele innere Aktionen mag die Seele wohl
bey ſich ſelbſt vornehmen, und wie oft wohl in ihrem
Jnnern wirkſam ſeyn, Jdeen zuſammenſetzen und
trennen, ohne daß wir um dieſe einzelnen Aktionen et-
was wiſſen, weil wir ſie nicht fuͤhlen koͤnnen?
Dieſe Hypotheſe erklaͤrt die Aeußerungen der Seele
von allen Seiten; ſie laͤßt uns des Menſchen Groͤße und
Schwaͤche begreifen; begreifen, wie wenig die Seele
ohne Koͤrper iſt, und wie ſehr ſie von allen Urſachen
abhaͤngt, die in jenen einen Einfluß haben; und auch
auf der andern Seite, wie wenig das Gehirn ohne
Seele iſt, und wie ſehr es von den Urſachen abhaͤngt,
die auf die Seele wirken. Sie macht den Unterſchied
zwiſchen unwillkuͤrlichen Vorſtellungen und zwiſchen
denen, die von unſerer Selbſtbeſtimmung abhangen,
begreiflich; und erklaͤret, wie zwiſchen der Staͤrke des
Gehirns und der Staͤrke der Seele, ſo unentbehrlich
die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/328>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.