Herrn Unzern gebrauchte Hallerische Physiologie beziehen. Wo es auf Beobachtungen ankommt, die auf Zeugnissen beruhen, da habe ich mich bemühet, so weit ich gekonnt, zu den ersten Augenzeugen zurückzu- gehen. Allein ich will hiemit nicht sagen, daß ich in dem ganzen Lehrbegriffe mit dem Hrn. Unzer völlig übereinstimme. Jch gebrauche eigentlich nur seine Be- obachtungen, und die aus diesen gezogenen Allgemein- sätze, die mir als solche vorkommen, denen man eine physische Gewißheit zuschreiben könne. Ueberhaupt ist zu bedenken, daß nur die ersten Linien in unsrer Wis- senschaft von der thierischen Natur gezogen, und dem Fleiße der künftigen Beobachter noch das meiste über- lassen sey; indem theils hie und da die Anzahl der Bey- spiele noch unzulänglich zu seyn scheint, allgemeine Sä- tze darauf zu bauen; theils auch noch an vielen die ge- nauern Bestimmungen fehlen, ohne welche sie nur Halb- wahrheiten seyn können, worauf ich selbst in dem Fol- genden bey einigen von ihnen aufmerksam zu machen su- chen werde.
Die Seelennatur der Menschen bestehet aus der Verbindung zweyer Wesen und Kräfte; aus der Seele nämlich im psychologischen Verstande, oder dem unkör- perlichen Jch, und aus dem Vorstellungswerkzeuge. Beide wirken in Vereinigung mit einander, und eine Seelenäußerung, die beobachtet und untersucht worden, ist eine Wirkung des ganzen Seelenwesens, und ist in diesem Ganzen, so, daß beide Arten von Kräften, die Kraft der Seele, und die körperlichen Kräfte des Organs oder des Gehirns, das Jhrige dazu beytragen.
Nun ist die thierische Natur des Menschen auf eine ähnliche Art etwas zusammengesetztes, davon die Seele im physiologischen Verstande, das ist, das gesammte fühlende, vorstellende, denkende und wollende Wesen den Einen, und der organisirte Körper mit
Nerven-
im Menſchen.
Herrn Unzern gebrauchte Halleriſche Phyſiologie beziehen. Wo es auf Beobachtungen ankommt, die auf Zeugniſſen beruhen, da habe ich mich bemuͤhet, ſo weit ich gekonnt, zu den erſten Augenzeugen zuruͤckzu- gehen. Allein ich will hiemit nicht ſagen, daß ich in dem ganzen Lehrbegriffe mit dem Hrn. Unzer voͤllig uͤbereinſtimme. Jch gebrauche eigentlich nur ſeine Be- obachtungen, und die aus dieſen gezogenen Allgemein- ſaͤtze, die mir als ſolche vorkommen, denen man eine phyſiſche Gewißheit zuſchreiben koͤnne. Ueberhaupt iſt zu bedenken, daß nur die erſten Linien in unſrer Wiſ- ſenſchaft von der thieriſchen Natur gezogen, und dem Fleiße der kuͤnftigen Beobachter noch das meiſte uͤber- laſſen ſey; indem theils hie und da die Anzahl der Bey- ſpiele noch unzulaͤnglich zu ſeyn ſcheint, allgemeine Saͤ- tze darauf zu bauen; theils auch noch an vielen die ge- nauern Beſtimmungen fehlen, ohne welche ſie nur Halb- wahrheiten ſeyn koͤnnen, worauf ich ſelbſt in dem Fol- genden bey einigen von ihnen aufmerkſam zu machen ſu- chen werde.
Die Seelennatur der Menſchen beſtehet aus der Verbindung zweyer Weſen und Kraͤfte; aus der Seele naͤmlich im pſychologiſchen Verſtande, oder dem unkoͤr- perlichen Jch, und aus dem Vorſtellungswerkzeuge. Beide wirken in Vereinigung mit einander, und eine Seelenaͤußerung, die beobachtet und unterſucht worden, iſt eine Wirkung des ganzen Seelenweſens, und iſt in dieſem Ganzen, ſo, daß beide Arten von Kraͤften, die Kraft der Seele, und die koͤrperlichen Kraͤfte des Organs oder des Gehirns, das Jhrige dazu beytragen.
Nun iſt die thieriſche Natur des Menſchen auf eine aͤhnliche Art etwas zuſammengeſetztes, davon die Seele im phyſiologiſchen Verſtande, das iſt, das geſammte fuͤhlende, vorſtellende, denkende und wollende Weſen den Einen, und der organiſirte Koͤrper mit
Nerven-
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im Menſchen.
Herrn Unzern gebrauchte Halleriſche Phyſiologie
beziehen. Wo es auf Beobachtungen ankommt, die
auf Zeugniſſen beruhen, da habe ich mich bemuͤhet, ſo
weit ich gekonnt, zu den erſten Augenzeugen zuruͤckzu-
gehen. Allein ich will hiemit nicht ſagen, daß ich in
dem ganzen Lehrbegriffe mit dem Hrn. Unzer voͤllig
uͤbereinſtimme. Jch gebrauche eigentlich nur ſeine Be-
obachtungen, und die aus dieſen gezogenen Allgemein-
ſaͤtze, die mir als ſolche vorkommen, denen man eine
phyſiſche Gewißheit zuſchreiben koͤnne. Ueberhaupt iſt
zu bedenken, daß nur die erſten Linien in unſrer Wiſ-
ſenſchaft von der thieriſchen Natur gezogen, und dem
Fleiße der kuͤnftigen Beobachter noch das meiſte uͤber-
laſſen ſey; indem theils hie und da die Anzahl der Bey-
ſpiele noch unzulaͤnglich zu ſeyn ſcheint, allgemeine Saͤ-
tze darauf zu bauen; theils auch noch an vielen die ge-
nauern Beſtimmungen fehlen, ohne welche ſie nur Halb-
wahrheiten ſeyn koͤnnen, worauf ich ſelbſt in dem Fol-
genden bey einigen von ihnen aufmerkſam zu machen ſu-
chen werde.
Die Seelennatur der Menſchen beſtehet aus der
Verbindung zweyer Weſen und Kraͤfte; aus der Seele
naͤmlich im pſychologiſchen Verſtande, oder dem unkoͤr-
perlichen Jch, und aus dem Vorſtellungswerkzeuge.
Beide wirken in Vereinigung mit einander, und eine
Seelenaͤußerung, die beobachtet und unterſucht worden,
iſt eine Wirkung des ganzen Seelenweſens, und iſt in
dieſem Ganzen, ſo, daß beide Arten von Kraͤften, die
Kraft der Seele, und die koͤrperlichen Kraͤfte des Organs
oder des Gehirns, das Jhrige dazu beytragen.
Nun iſt die thieriſche Natur des Menſchen auf
eine aͤhnliche Art etwas zuſammengeſetztes, davon die
Seele im phyſiologiſchen Verſtande, das iſt, das
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Weſen den Einen, und der organiſirte Koͤrper mit
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/333>, abgerufen am 22.11.2024.
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