Die Natur des Menschen entwickelt sich, wächst und gedeihet unter den verschiedensten Umständen, unter jedem Himmelsstrich, bey der unterschiedensten Nahrungs- und Lebensart; in etwas auch außer der Gesellschaft; in den verschiedensten Verfassungen der Gesellschaft, in der Wildheit, der Barbarey, der Ver- feinerung und der Auf klärung; mit einem Worte, in den verschiedensten Beziehungen auf die äußeren Gegenstän- de, auf die Körper, auf die Thiere und auf andre Men- schen. Aber eben so mannichfaltig ist die innere Form, welche die Natur unter diesen verschiedenen Umständen annimmt; verschieden sind die Richtungen, worein die Grundkräfte und gemeinschaftlichen Vermögen gebracht werden; mannichfaltig die Grade und Stufen der Stärke und Schwäche und der Wirksamkeit in den Kräften, und mannichfaltig die Verhältnisse und Be- ziehungen der Kräfte auf einander, und die sogenannten abgeleiteten Kräfte und Fertigkeiten, die von jener Ver- schiedenheit der innern Verhältnisse abhangen. Von einem großen Theile dieser Verschiedenheiten ist es offen- bar, daß sie in äußern Ursachen ihren Grund haben, wenn solcher gleich bey einigen nicht so sehr einleuchtet.
Es gehört zu der Naturgeschichte des Men- schen/ diese Verschiedenheiten und zunächst diejenigen, die sich an seinem Körper zeigen und in die Sinne fal- len, aufzusuchen, zu vergleichen, und aus ihnen die Eigenheiten ganzer Haufen, Völker, Geschlechter her- auszunehmen, und durch diese als Unterscheidungs- merkmale die Menschen in Gattungen, Arten und Clas- sen abzutheilen, so weit nämlich, als hier eine Gattungs- verschiedenheit stattfindet. Denn ich bin sehr über- zeugt, daß sie alle Eines Geschlechts sind, in dem
Sinne
IITheil. A a
und Entwickelung des Menſchen.
Vorerinnerung uͤber die Abſicht dieſes Verſuchs.
Die Natur des Menſchen entwickelt ſich, waͤchſt und gedeihet unter den verſchiedenſten Umſtaͤnden, unter jedem Himmelsſtrich, bey der unterſchiedenſten Nahrungs- und Lebensart; in etwas auch außer der Geſellſchaft; in den verſchiedenſten Verfaſſungen der Geſellſchaft, in der Wildheit, der Barbarey, der Ver- feinerung und der Auf klaͤrung; mit einem Worte, in den verſchiedenſten Beziehungen auf die aͤußeren Gegenſtaͤn- de, auf die Koͤrper, auf die Thiere und auf andre Men- ſchen. Aber eben ſo mannichfaltig iſt die innere Form, welche die Natur unter dieſen verſchiedenen Umſtaͤnden annimmt; verſchieden ſind die Richtungen, worein die Grundkraͤfte und gemeinſchaftlichen Vermoͤgen gebracht werden; mannichfaltig die Grade und Stufen der Staͤrke und Schwaͤche und der Wirkſamkeit in den Kraͤften, und mannichfaltig die Verhaͤltniſſe und Be- ziehungen der Kraͤfte auf einander, und die ſogenannten abgeleiteten Kraͤfte und Fertigkeiten, die von jener Ver- ſchiedenheit der innern Verhaͤltniſſe abhangen. Von einem großen Theile dieſer Verſchiedenheiten iſt es offen- bar, daß ſie in aͤußern Urſachen ihren Grund haben, wenn ſolcher gleich bey einigen nicht ſo ſehr einleuchtet.
Es gehoͤrt zu der Naturgeſchichte des Men- ſchen/ dieſe Verſchiedenheiten und zunaͤchſt diejenigen, die ſich an ſeinem Koͤrper zeigen und in die Sinne fal- len, aufzuſuchen, zu vergleichen, und aus ihnen die Eigenheiten ganzer Haufen, Voͤlker, Geſchlechter her- auszunehmen, und durch dieſe als Unterſcheidungs- merkmale die Menſchen in Gattungen, Arten und Claſ- ſen abzutheilen, ſo weit naͤmlich, als hier eine Gattungs- verſchiedenheit ſtattfindet. Denn ich bin ſehr uͤber- zeugt, daß ſie alle Eines Geſchlechts ſind, in dem
Sinne
IITheil. A a
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und Entwickelung des Menſchen.
Vorerinnerung uͤber die Abſicht dieſes
Verſuchs.
Die Natur des Menſchen entwickelt ſich, waͤchſt
und gedeihet unter den verſchiedenſten Umſtaͤnden,
unter jedem Himmelsſtrich, bey der unterſchiedenſten
Nahrungs- und Lebensart; in etwas auch außer der
Geſellſchaft; in den verſchiedenſten Verfaſſungen der
Geſellſchaft, in der Wildheit, der Barbarey, der Ver-
feinerung und der Auf klaͤrung; mit einem Worte, in den
verſchiedenſten Beziehungen auf die aͤußeren Gegenſtaͤn-
de, auf die Koͤrper, auf die Thiere und auf andre Men-
ſchen. Aber eben ſo mannichfaltig iſt die innere Form,
welche die Natur unter dieſen verſchiedenen Umſtaͤnden
annimmt; verſchieden ſind die Richtungen, worein die
Grundkraͤfte und gemeinſchaftlichen Vermoͤgen gebracht
werden; mannichfaltig die Grade und Stufen der
Staͤrke und Schwaͤche und der Wirkſamkeit in den
Kraͤften, und mannichfaltig die Verhaͤltniſſe und Be-
ziehungen der Kraͤfte auf einander, und die ſogenannten
abgeleiteten Kraͤfte und Fertigkeiten, die von jener Ver-
ſchiedenheit der innern Verhaͤltniſſe abhangen. Von
einem großen Theile dieſer Verſchiedenheiten iſt es offen-
bar, daß ſie in aͤußern Urſachen ihren Grund haben,
wenn ſolcher gleich bey einigen nicht ſo ſehr einleuchtet.
Es gehoͤrt zu der Naturgeſchichte des Men-
ſchen/ dieſe Verſchiedenheiten und zunaͤchſt diejenigen,
die ſich an ſeinem Koͤrper zeigen und in die Sinne fal-
len, aufzuſuchen, zu vergleichen, und aus ihnen die
Eigenheiten ganzer Haufen, Voͤlker, Geſchlechter her-
auszunehmen, und durch dieſe als Unterſcheidungs-
merkmale die Menſchen in Gattungen, Arten und Claſ-
ſen abzutheilen, ſo weit naͤmlich, als hier eine Gattungs-
verſchiedenheit ſtattfindet. Denn ich bin ſehr uͤber-
zeugt, daß ſie alle Eines Geſchlechts ſind, in dem
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II Theil. A a
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/399>, abgerufen am 22.11.2024.
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