Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
Sinne des Wortes, worinn die Naturkündiger es mei-
stentheils zu nehmen pflegen, und daß die ganze Ver-
schiedenheit in den Menschenarten nichts anders als eine
Abänderung oder Varietät sey.

Die Geschichte der Menschheit hat zur Absicht,
uns die Veränderungen in dem äußern Zustande darzu-
stellen, welche das ganze Geschlecht erlitten hat, und wo-
durch es in seinen mannichfaltigen Arten das geworden
ist, was es itzo ist. Es scheint indessen, als wenn man
bey dem häufigen Gebrauche des Wortes, Geschichte
der Menschheit,
das seit einigen Jahren ein Lieb-
lingswort geworden ist, sowol die erst gedachte natürli-
che Geschichte der Menschen, als die Geschichte der
Menschheit in der letztern Bedeutung zusammenfasse.
Der vortreffliche Plan einer allgemeinen Geschichte der
Menschheit, den Herr Jselin entworfen, und die erste
Linie davon mit scharfem Beobachtungsgeist gezogen hat,
ist noch mehr eine Philosophie über die Geschichte, als
Geschichte selbst; so wie des Herrn Home bekannte
Versuche nur einzelne aber sehr wichtige Beyträge ent-
halten, die sowol auf die Naturgeschichte des Menschen,
als auf die Geschichte seiner Ausbildung sich beziehen.
Bisher bestehet noch alles, was wir hiervon haben, in
Fragmenten, und eine vollständige Geschichte der
Menschheit ist auch vor der Hand nicht zu erwarten.
Jndessen machen auch die einzelnen Theile derselben eine
Geschichte aus, die für Menschen, für Philosophen,
für Gesetzgeber, die fruchtbarste, lehrreichste und meist
pragmatische ist, welche seyn kann.

Es wäre sehr gut, wenn das eigentliche Historische,
die reinen Beobachtungen, und die Erzählung der Be-
gebenheiten mehr von den Raisonnements abgesondert,
und wenn dann jenes für sich mit kritischer Sorg-
falt aus der bürgerlichen Geschichte, aus der Geschich-
te der schönen Künste und Wissenschaften, vorzüg-

lich

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
Sinne des Wortes, worinn die Naturkuͤndiger es mei-
ſtentheils zu nehmen pflegen, und daß die ganze Ver-
ſchiedenheit in den Menſchenarten nichts anders als eine
Abaͤnderung oder Varietaͤt ſey.

Die Geſchichte der Menſchheit hat zur Abſicht,
uns die Veraͤnderungen in dem aͤußern Zuſtande darzu-
ſtellen, welche das ganze Geſchlecht erlitten hat, und wo-
durch es in ſeinen mannichfaltigen Arten das geworden
iſt, was es itzo iſt. Es ſcheint indeſſen, als wenn man
bey dem haͤufigen Gebrauche des Wortes, Geſchichte
der Menſchheit,
das ſeit einigen Jahren ein Lieb-
lingswort geworden iſt, ſowol die erſt gedachte natuͤrli-
che Geſchichte der Menſchen, als die Geſchichte der
Menſchheit in der letztern Bedeutung zuſammenfaſſe.
Der vortreffliche Plan einer allgemeinen Geſchichte der
Menſchheit, den Herr Jſelin entworfen, und die erſte
Linie davon mit ſcharfem Beobachtungsgeiſt gezogen hat,
iſt noch mehr eine Philoſophie uͤber die Geſchichte, als
Geſchichte ſelbſt; ſo wie des Herrn Home bekannte
Verſuche nur einzelne aber ſehr wichtige Beytraͤge ent-
halten, die ſowol auf die Naturgeſchichte des Menſchen,
als auf die Geſchichte ſeiner Ausbildung ſich beziehen.
Bisher beſtehet noch alles, was wir hiervon haben, in
Fragmenten, und eine vollſtaͤndige Geſchichte der
Menſchheit iſt auch vor der Hand nicht zu erwarten.
Jndeſſen machen auch die einzelnen Theile derſelben eine
Geſchichte aus, die fuͤr Menſchen, fuͤr Philoſophen,
fuͤr Geſetzgeber, die fruchtbarſte, lehrreichſte und meiſt
pragmatiſche iſt, welche ſeyn kann.

Es waͤre ſehr gut, wenn das eigentliche Hiſtoriſche,
die reinen Beobachtungen, und die Erzaͤhlung der Be-
gebenheiten mehr von den Raiſonnements abgeſondert,
und wenn dann jenes fuͤr ſich mit kritiſcher Sorg-
falt aus der buͤrgerlichen Geſchichte, aus der Geſchich-
te der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, vorzuͤg-

lich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0400" n="370"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIV.</hi> Ver&#x017F;. Ueber die Perfektibilita&#x0364;t</hi></fw><lb/>
Sinne des Wortes, worinn die Naturku&#x0364;ndiger es mei-<lb/>
&#x017F;tentheils zu nehmen pflegen, und daß die ganze Ver-<lb/>
&#x017F;chiedenheit in den Men&#x017F;chenarten nichts anders als eine<lb/>
Aba&#x0364;nderung oder Varieta&#x0364;t &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chichte der Men&#x017F;chheit</hi> hat zur Ab&#x017F;icht,<lb/>
uns die Vera&#x0364;nderungen in dem a&#x0364;ußern Zu&#x017F;tande darzu-<lb/>
&#x017F;tellen, welche das ganze Ge&#x017F;chlecht erlitten hat, und wo-<lb/>
durch es in &#x017F;einen mannichfaltigen Arten das geworden<lb/>
i&#x017F;t, was es itzo i&#x017F;t. Es &#x017F;cheint inde&#x017F;&#x017F;en, als wenn man<lb/>
bey dem ha&#x0364;ufigen Gebrauche des Wortes, <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chichte<lb/>
der Men&#x017F;chheit,</hi> das &#x017F;eit einigen Jahren ein Lieb-<lb/>
lingswort geworden i&#x017F;t, &#x017F;owol die er&#x017F;t gedachte natu&#x0364;rli-<lb/>
che Ge&#x017F;chichte der Men&#x017F;chen, als die Ge&#x017F;chichte der<lb/>
Men&#x017F;chheit in der letztern Bedeutung zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Der vortreffliche Plan einer allgemeinen Ge&#x017F;chichte der<lb/>
Men&#x017F;chheit, den Herr <hi rendition="#fr">J&#x017F;elin</hi> entworfen, und die er&#x017F;te<lb/>
Linie davon mit &#x017F;charfem Beobachtungsgei&#x017F;t gezogen hat,<lb/>
i&#x017F;t noch mehr eine Philo&#x017F;ophie u&#x0364;ber die Ge&#x017F;chichte, als<lb/>
Ge&#x017F;chichte &#x017F;elb&#x017F;t; &#x017F;o wie des Herrn <hi rendition="#fr">Home</hi> bekannte<lb/><hi rendition="#fr">Ver&#x017F;uche</hi> nur einzelne aber &#x017F;ehr wichtige Beytra&#x0364;ge ent-<lb/>
halten, die &#x017F;owol auf die Naturge&#x017F;chichte des Men&#x017F;chen,<lb/>
als auf die Ge&#x017F;chichte &#x017F;einer Ausbildung &#x017F;ich beziehen.<lb/>
Bisher be&#x017F;tehet noch alles, was wir hiervon haben, in<lb/>
Fragmenten, und eine voll&#x017F;ta&#x0364;ndige Ge&#x017F;chichte der<lb/>
Men&#x017F;chheit i&#x017F;t auch vor der Hand nicht zu erwarten.<lb/>
Jnde&#x017F;&#x017F;en machen auch die einzelnen Theile der&#x017F;elben eine<lb/>
Ge&#x017F;chichte aus, die fu&#x0364;r Men&#x017F;chen, fu&#x0364;r Philo&#x017F;ophen,<lb/>
fu&#x0364;r Ge&#x017F;etzgeber, die fruchtbar&#x017F;te, lehrreich&#x017F;te und mei&#x017F;t<lb/>
pragmati&#x017F;che i&#x017F;t, welche &#x017F;eyn kann.</p><lb/>
          <p>Es wa&#x0364;re &#x017F;ehr gut, wenn das eigentliche Hi&#x017F;tori&#x017F;che,<lb/>
die reinen Beobachtungen, und die Erza&#x0364;hlung der Be-<lb/>
gebenheiten mehr von den Rai&#x017F;onnements abge&#x017F;ondert,<lb/>
und wenn dann jenes fu&#x0364;r &#x017F;ich mit kriti&#x017F;cher Sorg-<lb/>
falt aus der bu&#x0364;rgerlichen Ge&#x017F;chichte, aus der Ge&#x017F;chich-<lb/>
te der &#x017F;cho&#x0364;nen Ku&#x0364;n&#x017F;te und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, vorzu&#x0364;g-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">lich</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[370/0400] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt Sinne des Wortes, worinn die Naturkuͤndiger es mei- ſtentheils zu nehmen pflegen, und daß die ganze Ver- ſchiedenheit in den Menſchenarten nichts anders als eine Abaͤnderung oder Varietaͤt ſey. Die Geſchichte der Menſchheit hat zur Abſicht, uns die Veraͤnderungen in dem aͤußern Zuſtande darzu- ſtellen, welche das ganze Geſchlecht erlitten hat, und wo- durch es in ſeinen mannichfaltigen Arten das geworden iſt, was es itzo iſt. Es ſcheint indeſſen, als wenn man bey dem haͤufigen Gebrauche des Wortes, Geſchichte der Menſchheit, das ſeit einigen Jahren ein Lieb- lingswort geworden iſt, ſowol die erſt gedachte natuͤrli- che Geſchichte der Menſchen, als die Geſchichte der Menſchheit in der letztern Bedeutung zuſammenfaſſe. Der vortreffliche Plan einer allgemeinen Geſchichte der Menſchheit, den Herr Jſelin entworfen, und die erſte Linie davon mit ſcharfem Beobachtungsgeiſt gezogen hat, iſt noch mehr eine Philoſophie uͤber die Geſchichte, als Geſchichte ſelbſt; ſo wie des Herrn Home bekannte Verſuche nur einzelne aber ſehr wichtige Beytraͤge ent- halten, die ſowol auf die Naturgeſchichte des Menſchen, als auf die Geſchichte ſeiner Ausbildung ſich beziehen. Bisher beſtehet noch alles, was wir hiervon haben, in Fragmenten, und eine vollſtaͤndige Geſchichte der Menſchheit iſt auch vor der Hand nicht zu erwarten. Jndeſſen machen auch die einzelnen Theile derſelben eine Geſchichte aus, die fuͤr Menſchen, fuͤr Philoſophen, fuͤr Geſetzgeber, die fruchtbarſte, lehrreichſte und meiſt pragmatiſche iſt, welche ſeyn kann. Es waͤre ſehr gut, wenn das eigentliche Hiſtoriſche, die reinen Beobachtungen, und die Erzaͤhlung der Be- gebenheiten mehr von den Raiſonnements abgeſondert, und wenn dann jenes fuͤr ſich mit kritiſcher Sorg- falt aus der buͤrgerlichen Geſchichte, aus der Geſchich- te der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, vorzuͤg- lich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/400
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/400>, abgerufen am 22.11.2024.