Grunde zu legen. Nur da ich die Ordnung in meinen Gedanken einmal jenen Begriffen von den Grundkräf- ten angepaßt habe, so muß es mir erlaubt seyn, solchen auch hier nachzugehen. Um nicht misverstanden zu werden, will ich es wiederholen, daß ich dieselbigen Wörter, Receptivität, Gefühl, Verstand und Willen, auch hier in demselbigen Sinne nehme, wie sie oben in dem zehnten Versuche bestimmt worden sind. Die Art und Weise, wie die Grundkräfte sich entwickeln, wie die Möglichkeit etwas zu thun oder zu leiden, die bloße Empfänglichkeit in eine nähere Anlage zu etwas, und dann die Anlage in ein Bestreben oder Tendenz, und das Bestreben in eine Fertigkeit übergehe; ingleichen wie, umgekehrt, die Fertigkeit wiederum in Anlage und die Anlage in Receptivität zurückgehe; das ist, die Art, wie die Jntension und Umfang in den Kräften und Vermögen verändert, vergrößert oder geschwächt wer- de, und wie man dadurch zu allgemeinen Gesetzen der Ausbildung und Entwickelung gelange: das muß zuerst aus Beobachtungen über den Menschen genommen, und durch Beobachtungen bestätiget werden. Diese Untersu- chung ist unabhäng von jedweder Ordnung, worinn die Vermögen sich entwickeln, und auch darauf kommt es nicht an, welche von ihnen man eigentlich für die ersten Bestandtheile des Keims der Seele halten wolle.
Die erste Frage, die hiebey vorkommt, worinn nämlich der Anwachs eines Vermögens bestehe, kann, zumal wenn zuföderst auf die Verstandesvermögen ge- sehen wird, nicht deutlicher ins Licht gesetzet werden, als wenn ich die Meinung des Herrn Search hierüber mit seinen eignen Worten *) anführe. "Wenn wir unsern Ver- "stand," sagt dieser Philosoph, "durchs Studiren ver-
"bes-
*) Licht der Natur. Erster B. S 66. der deutschen Ueber- setzung.
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und Entwickelung des Menſchen.
Grunde zu legen. Nur da ich die Ordnung in meinen Gedanken einmal jenen Begriffen von den Grundkraͤf- ten angepaßt habe, ſo muß es mir erlaubt ſeyn, ſolchen auch hier nachzugehen. Um nicht misverſtanden zu werden, will ich es wiederholen, daß ich dieſelbigen Woͤrter, Receptivitaͤt, Gefuͤhl, Verſtand und Willen, auch hier in demſelbigen Sinne nehme, wie ſie oben in dem zehnten Verſuche beſtimmt worden ſind. Die Art und Weiſe, wie die Grundkraͤfte ſich entwickeln, wie die Moͤglichkeit etwas zu thun oder zu leiden, die bloße Empfaͤnglichkeit in eine naͤhere Anlage zu etwas, und dann die Anlage in ein Beſtreben oder Tendenz, und das Beſtreben in eine Fertigkeit uͤbergehe; ingleichen wie, umgekehrt, die Fertigkeit wiederum in Anlage und die Anlage in Receptivitaͤt zuruͤckgehe; das iſt, die Art, wie die Jntenſion und Umfang in den Kraͤften und Vermoͤgen veraͤndert, vergroͤßert oder geſchwaͤcht wer- de, und wie man dadurch zu allgemeinen Geſetzen der Ausbildung und Entwickelung gelange: das muß zuerſt aus Beobachtungen uͤber den Menſchen genommen, und durch Beobachtungen beſtaͤtiget werden. Dieſe Unterſu- chung iſt unabhaͤng von jedweder Ordnung, worinn die Vermoͤgen ſich entwickeln, und auch darauf kommt es nicht an, welche von ihnen man eigentlich fuͤr die erſten Beſtandtheile des Keims der Seele halten wolle.
Die erſte Frage, die hiebey vorkommt, worinn naͤmlich der Anwachs eines Vermoͤgens beſtehe, kann, zumal wenn zufoͤderſt auf die Verſtandesvermoͤgen ge- ſehen wird, nicht deutlicher ins Licht geſetzet werden, als wenn ich die Meinung des Herrn Search hieruͤber mit ſeinen eignen Worten *) anfuͤhre. „Wenn wir unſern Ver- „ſtand,“ ſagt dieſer Philoſoph, „durchs Studiren ver-
„beſ-
*) Licht der Natur. Erſter B. S 66. der deutſchen Ueber- ſetzung.
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und Entwickelung des Menſchen.
Grunde zu legen. Nur da ich die Ordnung in meinen
Gedanken einmal jenen Begriffen von den Grundkraͤf-
ten angepaßt habe, ſo muß es mir erlaubt ſeyn, ſolchen
auch hier nachzugehen. Um nicht misverſtanden zu
werden, will ich es wiederholen, daß ich dieſelbigen
Woͤrter, Receptivitaͤt, Gefuͤhl, Verſtand und Willen,
auch hier in demſelbigen Sinne nehme, wie ſie oben in
dem zehnten Verſuche beſtimmt worden ſind. Die Art
und Weiſe, wie die Grundkraͤfte ſich entwickeln, wie
die Moͤglichkeit etwas zu thun oder zu leiden, die bloße
Empfaͤnglichkeit in eine naͤhere Anlage zu etwas, und
dann die Anlage in ein Beſtreben oder Tendenz, und
das Beſtreben in eine Fertigkeit uͤbergehe; ingleichen
wie, umgekehrt, die Fertigkeit wiederum in Anlage und
die Anlage in Receptivitaͤt zuruͤckgehe; das iſt, die Art,
wie die Jntenſion und Umfang in den Kraͤften und
Vermoͤgen veraͤndert, vergroͤßert oder geſchwaͤcht wer-
de, und wie man dadurch zu allgemeinen Geſetzen der
Ausbildung und Entwickelung gelange: das muß zuerſt
aus Beobachtungen uͤber den Menſchen genommen, und
durch Beobachtungen beſtaͤtiget werden. Dieſe Unterſu-
chung iſt unabhaͤng von jedweder Ordnung, worinn die
Vermoͤgen ſich entwickeln, und auch darauf kommt es
nicht an, welche von ihnen man eigentlich fuͤr die erſten
Beſtandtheile des Keims der Seele halten wolle.
Die erſte Frage, die hiebey vorkommt, worinn
naͤmlich der Anwachs eines Vermoͤgens beſtehe, kann,
zumal wenn zufoͤderſt auf die Verſtandesvermoͤgen ge-
ſehen wird, nicht deutlicher ins Licht geſetzet werden, als
wenn ich die Meinung des Herrn Search hieruͤber mit
ſeinen eignen Worten *) anfuͤhre. „Wenn wir unſern Ver-
„ſtand,“ ſagt dieſer Philoſoph, „durchs Studiren ver-
„beſ-
*) Licht der Natur. Erſter B. S 66. der deutſchen Ueber-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/405>, abgerufen am 22.11.2024.
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