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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
nicht erreicht werden kann. Daraus entstehet eine
mannichfaltigere und mehrseitige Fertigkeit, die den
Namen einer allgemeinen Verstandesstärke noch mit
größerm Rechte verdient, als die Fertigkeit bloß Grös-
sen zu vergleichen. Jch breche diese Betrachtung hier
ab, meine aber, daß dieß die Grundsätze sind, wornach
man die wesentliche Ordnung der Kenntnisse, in Bezie-
hung auf die Vervollkommnung des Verstandes, festse-
tzen müsse, worüber Hr. Verdier verschiedenes sehr
gut erinnert hat.

6.

Was endlich die dritte Wirkung betrift, die oben
(N. 4.) als eine Folge von der Vervollkommnung einer
Seelenfähigkeit angeführt ist, nämlich, daß die an ei-
ner Seite erlangte Stärke sich über den ganzen Um-
fang der Seelenkräfte verbreite, und auch die übrigen
erhöhe: so meine ich, es dürfe zu den vorher darüber
gemachten Anmerkungen (2.) nur wenig hinzugefügt
werden. Die Erfahrung setzet dieß außer Zweifel. Ue-
berhaupt hat man hier schon die allgemeine und bekannte
Beobachtung vor sich, wenn man auf den allmäligen
Fortgang der Entwickelung bey Jndividuen so wohl,
als bey ganzen Völkern sieht, die in der bekannten
Sentenz liegt, didicisse fideliter artes emollit mores,
nec sinit esse feros.
Wo die Künste und Wissenschaf-
ten blühen, da ist der Boden zu der Verfeinerung der
Sitten, zur Erhöhung der Empfindsamkeit und zur
Ausbildung des Herzens bearbeitet. Die Ausbildung
an Einer Seite führet auf andere. Jede Geschicklich-
keit, die das Kind verräth, und wenns auch nur die
Fertigkeit im Laufen und im Springen ist, giebt dem
verständigen Erzieher ein Mittel an die Hand, nicht
nur seine Neigungen zu lenken, sondern auch die An-
wendung anderer Vermögen zu befördern und zu er-

leichtern.
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und Entwickelung des Menſchen.
nicht erreicht werden kann. Daraus entſtehet eine
mannichfaltigere und mehrſeitige Fertigkeit, die den
Namen einer allgemeinen Verſtandesſtaͤrke noch mit
groͤßerm Rechte verdient, als die Fertigkeit bloß Groͤſ-
ſen zu vergleichen. Jch breche dieſe Betrachtung hier
ab, meine aber, daß dieß die Grundſaͤtze ſind, wornach
man die weſentliche Ordnung der Kenntniſſe, in Bezie-
hung auf die Vervollkommnung des Verſtandes, feſtſe-
tzen muͤſſe, woruͤber Hr. Verdier verſchiedenes ſehr
gut erinnert hat.

6.

Was endlich die dritte Wirkung betrift, die oben
(N. 4.) als eine Folge von der Vervollkommnung einer
Seelenfaͤhigkeit angefuͤhrt iſt, naͤmlich, daß die an ei-
ner Seite erlangte Staͤrke ſich uͤber den ganzen Um-
fang der Seelenkraͤfte verbreite, und auch die uͤbrigen
erhoͤhe: ſo meine ich, es duͤrfe zu den vorher daruͤber
gemachten Anmerkungen (2.) nur wenig hinzugefuͤgt
werden. Die Erfahrung ſetzet dieß außer Zweifel. Ue-
berhaupt hat man hier ſchon die allgemeine und bekannte
Beobachtung vor ſich, wenn man auf den allmaͤligen
Fortgang der Entwickelung bey Jndividuen ſo wohl,
als bey ganzen Voͤlkern ſieht, die in der bekannten
Sentenz liegt, didiciſſe fideliter artes emollit mores,
nec ſinit eſſe feros.
Wo die Kuͤnſte und Wiſſenſchaf-
ten bluͤhen, da iſt der Boden zu der Verfeinerung der
Sitten, zur Erhoͤhung der Empfindſamkeit und zur
Ausbildung des Herzens bearbeitet. Die Ausbildung
an Einer Seite fuͤhret auf andere. Jede Geſchicklich-
keit, die das Kind verraͤth, und wenns auch nur die
Fertigkeit im Laufen und im Springen iſt, giebt dem
verſtaͤndigen Erzieher ein Mittel an die Hand, nicht
nur ſeine Neigungen zu lenken, ſondern auch die An-
wendung anderer Vermoͤgen zu befoͤrdern und zu er-

leichtern.
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[403/0433] und Entwickelung des Menſchen. nicht erreicht werden kann. Daraus entſtehet eine mannichfaltigere und mehrſeitige Fertigkeit, die den Namen einer allgemeinen Verſtandesſtaͤrke noch mit groͤßerm Rechte verdient, als die Fertigkeit bloß Groͤſ- ſen zu vergleichen. Jch breche dieſe Betrachtung hier ab, meine aber, daß dieß die Grundſaͤtze ſind, wornach man die weſentliche Ordnung der Kenntniſſe, in Bezie- hung auf die Vervollkommnung des Verſtandes, feſtſe- tzen muͤſſe, woruͤber Hr. Verdier verſchiedenes ſehr gut erinnert hat. 6. Was endlich die dritte Wirkung betrift, die oben (N. 4.) als eine Folge von der Vervollkommnung einer Seelenfaͤhigkeit angefuͤhrt iſt, naͤmlich, daß die an ei- ner Seite erlangte Staͤrke ſich uͤber den ganzen Um- fang der Seelenkraͤfte verbreite, und auch die uͤbrigen erhoͤhe: ſo meine ich, es duͤrfe zu den vorher daruͤber gemachten Anmerkungen (2.) nur wenig hinzugefuͤgt werden. Die Erfahrung ſetzet dieß außer Zweifel. Ue- berhaupt hat man hier ſchon die allgemeine und bekannte Beobachtung vor ſich, wenn man auf den allmaͤligen Fortgang der Entwickelung bey Jndividuen ſo wohl, als bey ganzen Voͤlkern ſieht, die in der bekannten Sentenz liegt, didiciſſe fideliter artes emollit mores, nec ſinit eſſe feros. Wo die Kuͤnſte und Wiſſenſchaf- ten bluͤhen, da iſt der Boden zu der Verfeinerung der Sitten, zur Erhoͤhung der Empfindſamkeit und zur Ausbildung des Herzens bearbeitet. Die Ausbildung an Einer Seite fuͤhret auf andere. Jede Geſchicklich- keit, die das Kind verraͤth, und wenns auch nur die Fertigkeit im Laufen und im Springen iſt, giebt dem verſtaͤndigen Erzieher ein Mittel an die Hand, nicht nur ſeine Neigungen zu lenken, ſondern auch die An- wendung anderer Vermoͤgen zu befoͤrdern und zu er- leichtern. C c 2

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/433>, abgerufen am 22.11.2024.