halten, und also noch mehr in dem Körper des gebor- nen Kindes. Zu welcher unendlichen Anzahl ange- borner unterschiedener Gefühle führet diese Vorausse- tzung nicht; da so gar die bloße Verschiedenheit der Ob- jekte schon eigene unterschiedene angeborne Gefühlsver- mögen erfodert?*)
Es können zwar, ich rede nach dieser Hypothese, mehrere Gefühle, am ersten solche, bey denen kein anderer Unterschied als blos in den Gegenständen be- merklich ist, z. B. das Gefühl der Musik und das Gefallen an hellen glänzenden Sachen, das man bey allen Nationen ohne Ausnahme antrifft, in Ein allge- meines Vermögen aufgelöset werden. Dieß einzige Vermögen ist dann dasjenige, was an allen diesen Empfindungen nur auf verschiedene Objekte, auch et- wa durch unterschiedene Organe und in unterschiedenen Richtungen, sich verschiedentlich äußert. Aber ist eine solche Reduktion etwas anders als eine Abstraktion, da man das Aehnliche mehrerer einzelner Vermögen heraus nimmt, und aus diesen ein besonderes Ver- mögen bildet? Macht die ähnliche Beschaffenheit mehrerer Fibern Eine Fiber aus? Wenn die nämliche Fiber das rothe Licht und das Blaue aufnähme, und aus derselbigen Ursache von dieser und von jener Far- be gefällig modificirt würde: so würde man sagen kön- nen, es sey Ein und dasselbige Vermögen, das in beiden Empfindungen sich zeiget, so oder anders, nach dem Unterschiede der Objekte. Allein so verhält es sich nicht bey jener Voraussetzung. Das Gemeinschaft- liche in den Gefühlen ist nicht die Quelle von allen be- sondern Gefühlen, die aus jenen entspringen, und die- se letztern sind so wenig Verlängerungen von jenen, als
eine
*) Dreyzehnter Versuch VII. 5.
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und Entwickelung des Menſchen.
halten, und alſo noch mehr in dem Koͤrper des gebor- nen Kindes. Zu welcher unendlichen Anzahl ange- borner unterſchiedener Gefuͤhle fuͤhret dieſe Vorausſe- tzung nicht; da ſo gar die bloße Verſchiedenheit der Ob- jekte ſchon eigene unterſchiedene angeborne Gefuͤhlsver- moͤgen erfodert?*)
Es koͤnnen zwar, ich rede nach dieſer Hypotheſe, mehrere Gefuͤhle, am erſten ſolche, bey denen kein anderer Unterſchied als blos in den Gegenſtaͤnden be- merklich iſt, z. B. das Gefuͤhl der Muſik und das Gefallen an hellen glaͤnzenden Sachen, das man bey allen Nationen ohne Ausnahme antrifft, in Ein allge- meines Vermoͤgen aufgeloͤſet werden. Dieß einzige Vermoͤgen iſt dann dasjenige, was an allen dieſen Empfindungen nur auf verſchiedene Objekte, auch et- wa durch unterſchiedene Organe und in unterſchiedenen Richtungen, ſich verſchiedentlich aͤußert. Aber iſt eine ſolche Reduktion etwas anders als eine Abſtraktion, da man das Aehnliche mehrerer einzelner Vermoͤgen heraus nimmt, und aus dieſen ein beſonderes Ver- moͤgen bildet? Macht die aͤhnliche Beſchaffenheit mehrerer Fibern Eine Fiber aus? Wenn die naͤmliche Fiber das rothe Licht und das Blaue aufnaͤhme, und aus derſelbigen Urſache von dieſer und von jener Far- be gefaͤllig modificirt wuͤrde: ſo wuͤrde man ſagen koͤn- nen, es ſey Ein und daſſelbige Vermoͤgen, das in beiden Empfindungen ſich zeiget, ſo oder anders, nach dem Unterſchiede der Objekte. Allein ſo verhaͤlt es ſich nicht bey jener Vorausſetzung. Das Gemeinſchaft- liche in den Gefuͤhlen iſt nicht die Quelle von allen be- ſondern Gefuͤhlen, die aus jenen entſpringen, und die- ſe letztern ſind ſo wenig Verlaͤngerungen von jenen, als
eine
*) Dreyzehnter Verſuch VII. 5.
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und Entwickelung des Menſchen.
halten, und alſo noch mehr in dem Koͤrper des gebor-
nen Kindes. Zu welcher unendlichen Anzahl ange-
borner unterſchiedener Gefuͤhle fuͤhret dieſe Vorausſe-
tzung nicht; da ſo gar die bloße Verſchiedenheit der Ob-
jekte ſchon eigene unterſchiedene angeborne Gefuͤhlsver-
moͤgen erfodert? *)
Es koͤnnen zwar, ich rede nach dieſer Hypotheſe,
mehrere Gefuͤhle, am erſten ſolche, bey denen kein
anderer Unterſchied als blos in den Gegenſtaͤnden be-
merklich iſt, z. B. das Gefuͤhl der Muſik und das
Gefallen an hellen glaͤnzenden Sachen, das man bey
allen Nationen ohne Ausnahme antrifft, in Ein allge-
meines Vermoͤgen aufgeloͤſet werden. Dieß einzige
Vermoͤgen iſt dann dasjenige, was an allen dieſen
Empfindungen nur auf verſchiedene Objekte, auch et-
wa durch unterſchiedene Organe und in unterſchiedenen
Richtungen, ſich verſchiedentlich aͤußert. Aber iſt eine
ſolche Reduktion etwas anders als eine Abſtraktion, da
man das Aehnliche mehrerer einzelner Vermoͤgen
heraus nimmt, und aus dieſen ein beſonderes Ver-
moͤgen bildet? Macht die aͤhnliche Beſchaffenheit
mehrerer Fibern Eine Fiber aus? Wenn die naͤmliche
Fiber das rothe Licht und das Blaue aufnaͤhme, und
aus derſelbigen Urſache von dieſer und von jener Far-
be gefaͤllig modificirt wuͤrde: ſo wuͤrde man ſagen koͤn-
nen, es ſey Ein und daſſelbige Vermoͤgen, das in
beiden Empfindungen ſich zeiget, ſo oder anders, nach
dem Unterſchiede der Objekte. Allein ſo verhaͤlt es
ſich nicht bey jener Vorausſetzung. Das Gemeinſchaft-
liche in den Gefuͤhlen iſt nicht die Quelle von allen be-
ſondern Gefuͤhlen, die aus jenen entſpringen, und die-
ſe letztern ſind ſo wenig Verlaͤngerungen von jenen, als
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*) Dreyzehnter Verſuch VII. 5.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/467>, abgerufen am 22.11.2024.
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