Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.XII. Versuch. Ueber die Selbstthätigkeit wart des Geistes; hier fühlen wir, daß wir die ganzeDauer der Aktion durch zwar zuweilen mit einer starken Kraft und mit Nachdruck wirken; aber doch so, daß wir in jedem Momente die Aktion abzubrechen, oder ihr eine andere Richtung zu geben, vermögend sind. Oft wird der Trieb, mit dem wir handeln, in dem Fortgange der Aktion zu stark, und überwältiget uns; aber auch in diesen Fällen läßt uns das Selbstgefühl die Stelle be- merken, wo der Widerstand noch möglich war, von der an aber unser Vermögen zum Gegentheile immer mehr geschwächt, und durch die immer zunehmende zur Aktion treibende Kraft heruntergesetzt oder gebunden ward, daß es in Ohnmacht übergieng. Wir empfinden die allmäh- lig abnehmende Besonnenheit, und fühlen uns auch als- denn noch, wenn wir schon so weit sind, daß wir uns dem Strome leidentlich übergeben müssen. Herr von Joch stelle einmal den Versuch mit dem Opium, den er vorgeschlagen hat, wirklich bey sich an. Glaubet er, einen nur mittelmäßigen Beobachter seiner selbst dadurch mehr als höchstens einmal zu hintergehen? Nicht zwey- mal, kaum das erstemal, woferne nicht die Umstände mit Sorgfalt darnach eingerichtet werden, daß die Re- flexion auf keine Weise rege wird, dürfte man's dahin bringen, daß ein Mensch, der Opium bekommen hätte, sich einbilden würde, es stünde in seiner Macht, der un- natürlichen und starken Müdigkeit zu widerstehen, der er nachgeben muß. So bald der Saft anfängt, seine Wirkungen zu äußern, mag er vielleicht noch bey den ersten Anfällen der Schläfrigkeit die Augen offen zu hal- ten im Stande seyn, und bis dahin, so lange er dieß kann, besitzet er auch wirklich das Vermögen dazu, und handelt frey, wenn er sich ergiebt. Aber die Erstarrung dringet weiter ein. Dann wird sein Widerstand ver- geblich, und die Ermunterungskraft im Verhältniß mit der einschläfernden zu ohnmächtig. Da fängt der Zwang an.
XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit wart des Geiſtes; hier fuͤhlen wir, daß wir die ganzeDauer der Aktion durch zwar zuweilen mit einer ſtarken Kraft und mit Nachdruck wirken; aber doch ſo, daß wir in jedem Momente die Aktion abzubrechen, oder ihr eine andere Richtung zu geben, vermoͤgend ſind. Oft wird der Trieb, mit dem wir handeln, in dem Fortgange der Aktion zu ſtark, und uͤberwaͤltiget uns; aber auch in dieſen Faͤllen laͤßt uns das Selbſtgefuͤhl die Stelle be- merken, wo der Widerſtand noch moͤglich war, von der an aber unſer Vermoͤgen zum Gegentheile immer mehr geſchwaͤcht, und durch die immer zunehmende zur Aktion treibende Kraft heruntergeſetzt oder gebunden ward, daß es in Ohnmacht uͤbergieng. Wir empfinden die allmaͤh- lig abnehmende Beſonnenheit, und fuͤhlen uns auch als- denn noch, wenn wir ſchon ſo weit ſind, daß wir uns dem Strome leidentlich uͤbergeben muͤſſen. Herr von Joch ſtelle einmal den Verſuch mit dem Opium, den er vorgeſchlagen hat, wirklich bey ſich an. Glaubet er, einen nur mittelmaͤßigen Beobachter ſeiner ſelbſt dadurch mehr als hoͤchſtens einmal zu hintergehen? Nicht zwey- mal, kaum das erſtemal, woferne nicht die Umſtaͤnde mit Sorgfalt darnach eingerichtet werden, daß die Re- flexion auf keine Weiſe rege wird, duͤrfte man’s dahin bringen, daß ein Menſch, der Opium bekommen haͤtte, ſich einbilden wuͤrde, es ſtuͤnde in ſeiner Macht, der un- natuͤrlichen und ſtarken Muͤdigkeit zu widerſtehen, der er nachgeben muß. So bald der Saft anfaͤngt, ſeine Wirkungen zu aͤußern, mag er vielleicht noch bey den erſten Anfaͤllen der Schlaͤfrigkeit die Augen offen zu hal- ten im Stande ſeyn, und bis dahin, ſo lange er dieß kann, beſitzet er auch wirklich das Vermoͤgen dazu, und handelt frey, wenn er ſich ergiebt. Aber die Erſtarrung dringet weiter ein. Dann wird ſein Widerſtand ver- geblich, und die Ermunterungskraft im Verhaͤltniß mit der einſchlaͤfernden zu ohnmaͤchtig. Da faͤngt der Zwang an.
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XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
wart des Geiſtes; hier fuͤhlen wir, daß wir die ganze
Dauer der Aktion durch zwar zuweilen mit einer ſtarken
Kraft und mit Nachdruck wirken; aber doch ſo, daß
wir in jedem Momente die Aktion abzubrechen, oder ihr
eine andere Richtung zu geben, vermoͤgend ſind. Oft
wird der Trieb, mit dem wir handeln, in dem Fortgange
der Aktion zu ſtark, und uͤberwaͤltiget uns; aber auch
in dieſen Faͤllen laͤßt uns das Selbſtgefuͤhl die Stelle be-
merken, wo der Widerſtand noch moͤglich war, von der
an aber unſer Vermoͤgen zum Gegentheile immer mehr
geſchwaͤcht, und durch die immer zunehmende zur Aktion
treibende Kraft heruntergeſetzt oder gebunden ward, daß
es in Ohnmacht uͤbergieng. Wir empfinden die allmaͤh-
lig abnehmende Beſonnenheit, und fuͤhlen uns auch als-
denn noch, wenn wir ſchon ſo weit ſind, daß wir uns
dem Strome leidentlich uͤbergeben muͤſſen. Herr von
Joch ſtelle einmal den Verſuch mit dem Opium, den
er vorgeſchlagen hat, wirklich bey ſich an. Glaubet er,
einen nur mittelmaͤßigen Beobachter ſeiner ſelbſt dadurch
mehr als hoͤchſtens einmal zu hintergehen? Nicht zwey-
mal, kaum das erſtemal, woferne nicht die Umſtaͤnde
mit Sorgfalt darnach eingerichtet werden, daß die Re-
flexion auf keine Weiſe rege wird, duͤrfte man’s dahin
bringen, daß ein Menſch, der Opium bekommen haͤtte,
ſich einbilden wuͤrde, es ſtuͤnde in ſeiner Macht, der un-
natuͤrlichen und ſtarken Muͤdigkeit zu widerſtehen, der
er nachgeben muß. So bald der Saft anfaͤngt, ſeine
Wirkungen zu aͤußern, mag er vielleicht noch bey den
erſten Anfaͤllen der Schlaͤfrigkeit die Augen offen zu hal-
ten im Stande ſeyn, und bis dahin, ſo lange er dieß
kann, beſitzet er auch wirklich das Vermoͤgen dazu, und
handelt frey, wenn er ſich ergiebt. Aber die Erſtarrung
dringet weiter ein. Dann wird ſein Widerſtand ver-
geblich, und die Ermunterungskraft im Verhaͤltniß mit
der einſchlaͤfernden zu ohnmaͤchtig. Da faͤngt der Zwang
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