Hypothese als einen Grundsatz ansehen mußte, daß näm- lich jedes organisirte Ganze, und jeder Theil, auf ein- mal nach allen seinen Formen, Netzen, Maschen vor- handen seyn und hervorgebracht werden müsse. Der Einschlag zu der Kette kann in dem Gewebe der Natur zugleich auch wiederum Kette werden; und die Ausdeh- nung der einzelnen Rauten in den Netzen die Rauten selbst vermehren, so wie das Netz im Ganzen vergrös- sert wird.
Es gehöret zu der Naturlehre es näher aus Beob- achtungen zu bestimmen, wie ferne die Anlage des thie- rischen Körpers in den Eyern enthalten sey? und wie viel der männliche Saame zu dem vollständigen frucht- baren und sich entwickelnden Keim beytrage? Es scheint auf einer Seite entschieden zu seyn, daß das Thier im Ey (pullus in ovo) *) enthalten ist. Aber ob es eben so entschieden ist, daß der ganze befruchtete Keim mit allen seinen Formen dem Weibchen allein zugehöre? ob der Saame des Männchens nichts weiter hinzuthue, als den Reiz, und die Kraft zur Entwickelung, und die erste zubereitetste Nahrung zum Wachsen? dieß ist eine andere Frage. So viel lehret die Erfahrung bey den Bastarten und bey den Abweichungen in der Struktur des Körpers, die in gewissen Familien, so wohl von dem Vater als von der Mutter, auf die Kin- der gehen, daß auch in demjenigen, was von dem Man- ne hinzukommt, etwas enthalten seyn müsse, woraus Formen werden, die sonsten nicht entstanden seyn wür- den. Hr. Bonnet erkläret dieß aus der Verschieden- heit der Verhältnisse, worinn die vorhandenen Formen sich entwickeln. Aber wenn einmal angenommen wird, daß neue Formen entstehen, so kann eben so wohl die Vereinigung der Saamenfeuchtigkeit mit dem Ey in
den
*)Bonnet v. d. organis. Körp. Art. 142. u. ff.
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und Entwickelung des Menſchen.
Hypotheſe als einen Grundſatz anſehen mußte, daß naͤm- lich jedes organiſirte Ganze, und jeder Theil, auf ein- mal nach allen ſeinen Formen, Netzen, Maſchen vor- handen ſeyn und hervorgebracht werden muͤſſe. Der Einſchlag zu der Kette kann in dem Gewebe der Natur zugleich auch wiederum Kette werden; und die Ausdeh- nung der einzelnen Rauten in den Netzen die Rauten ſelbſt vermehren, ſo wie das Netz im Ganzen vergroͤſ- ſert wird.
Es gehoͤret zu der Naturlehre es naͤher aus Beob- achtungen zu beſtimmen, wie ferne die Anlage des thie- riſchen Koͤrpers in den Eyern enthalten ſey? und wie viel der maͤnnliche Saame zu dem vollſtaͤndigen frucht- baren und ſich entwickelnden Keim beytrage? Es ſcheint auf einer Seite entſchieden zu ſeyn, daß das Thier im Ey (pullus in ovo) *) enthalten iſt. Aber ob es eben ſo entſchieden iſt, daß der ganze befruchtete Keim mit allen ſeinen Formen dem Weibchen allein zugehoͤre? ob der Saame des Maͤnnchens nichts weiter hinzuthue, als den Reiz, und die Kraft zur Entwickelung, und die erſte zubereitetſte Nahrung zum Wachſen? dieß iſt eine andere Frage. So viel lehret die Erfahrung bey den Baſtarten und bey den Abweichungen in der Struktur des Koͤrpers, die in gewiſſen Familien, ſo wohl von dem Vater als von der Mutter, auf die Kin- der gehen, daß auch in demjenigen, was von dem Man- ne hinzukommt, etwas enthalten ſeyn muͤſſe, woraus Formen werden, die ſonſten nicht entſtanden ſeyn wuͤr- den. Hr. Bonnet erklaͤret dieß aus der Verſchieden- heit der Verhaͤltniſſe, worinn die vorhandenen Formen ſich entwickeln. Aber wenn einmal angenommen wird, daß neue Formen entſtehen, ſo kann eben ſo wohl die Vereinigung der Saamenfeuchtigkeit mit dem Ey in
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*)Bonnet v. d. organiſ. Koͤrp. Art. 142. u. ff.
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und Entwickelung des Menſchen.
Hypotheſe als einen Grundſatz anſehen mußte, daß naͤm-
lich jedes organiſirte Ganze, und jeder Theil, auf ein-
mal nach allen ſeinen Formen, Netzen, Maſchen vor-
handen ſeyn und hervorgebracht werden muͤſſe. Der
Einſchlag zu der Kette kann in dem Gewebe der Natur
zugleich auch wiederum Kette werden; und die Ausdeh-
nung der einzelnen Rauten in den Netzen die Rauten
ſelbſt vermehren, ſo wie das Netz im Ganzen vergroͤſ-
ſert wird.
Es gehoͤret zu der Naturlehre es naͤher aus Beob-
achtungen zu beſtimmen, wie ferne die Anlage des thie-
riſchen Koͤrpers in den Eyern enthalten ſey? und wie
viel der maͤnnliche Saame zu dem vollſtaͤndigen frucht-
baren und ſich entwickelnden Keim beytrage? Es ſcheint
auf einer Seite entſchieden zu ſeyn, daß das Thier im
Ey (pullus in ovo) *) enthalten iſt. Aber ob es eben
ſo entſchieden iſt, daß der ganze befruchtete Keim mit
allen ſeinen Formen dem Weibchen allein zugehoͤre? ob
der Saame des Maͤnnchens nichts weiter hinzuthue,
als den Reiz, und die Kraft zur Entwickelung, und
die erſte zubereitetſte Nahrung zum Wachſen? dieß iſt
eine andere Frage. So viel lehret die Erfahrung bey
den Baſtarten und bey den Abweichungen in der
Struktur des Koͤrpers, die in gewiſſen Familien, ſo
wohl von dem Vater als von der Mutter, auf die Kin-
der gehen, daß auch in demjenigen, was von dem Man-
ne hinzukommt, etwas enthalten ſeyn muͤſſe, woraus
Formen werden, die ſonſten nicht entſtanden ſeyn wuͤr-
den. Hr. Bonnet erklaͤret dieß aus der Verſchieden-
heit der Verhaͤltniſſe, worinn die vorhandenen Formen
ſich entwickeln. Aber wenn einmal angenommen wird,
daß neue Formen entſtehen, ſo kann eben ſo wohl die
Vereinigung der Saamenfeuchtigkeit mit dem Ey in
den
*) Bonnet v. d. organiſ. Koͤrp. Art. 142. u. ff.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/547>, abgerufen am 22.11.2024.
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