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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
minder durch den Keim bestimmt sind, aber doch nicht
in solcher Maße, daß die vollständige Ausbildung ver-
hindert wird, wenn äußere Ursachen sie abändern.

6.

Solche Verschiedenheiten in den Formen muß das
Evolutionssystem eben sowohl anerkennen, als die Epi-
genesis, obgleich jene nur neue Verhältnisse in der Aus-
dehnung der ursprünglichen Formen des Keims findet,
wo die letztere neu entstandene Formen annimmt. Aber
in der Art und Weise, wie die wesentlichen Formen in
dem Keim bestimmt sind, weichen beide von einander
ab. Jede Form, welche entwickelt wird, ist nach der
Evolution schon vorhanden, und wird nur vergrößert an
Masse. Der Grund, warum sie so stark oder so schwach
entwickelt wird, lieget auch in der Beschaffenheit der Fi-
bern, und in ihren ursprünglichen Beziehungen auf ein-
ander, aber so, daß dieser Grund durch den Einfluß
äußerer Ursachen verändert werden kann. Die Fibern,
welche zu Knochen werden sollen, haben ursprünglich ei-
ne größere Verbindungskraft, als die zu Muskelfibern
bestimmt sind. Die Anfangspunkte zu dem Schwanze
und den Ohren in dem Keim des Pferdes stehen, in
Hinsicht ihrer Entwickelungskraft, in einem innern Ver-
hältnisse zu einander. Das Verhältniß in den letztern
wird verändert, wenn die Befruchtung des Keims von
dem Esel geschieht; und in Hinsicht jener giebt es eben-
falls zufällige Ursachen, welche die größere Solidescibi-
lität in den ursprünglichen Knochenfibern in der Folge
der Entwickelung aufheben können.

Nach dem Begriffe von der Epigenesis erfodern die
wesentlich bestimmten Formen gleichfalls gewisse Anla-
gen in dem Keim so eingerichtet, daß, wenn Nahrung

hinzu-

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
minder durch den Keim beſtimmt ſind, aber doch nicht
in ſolcher Maße, daß die vollſtaͤndige Ausbildung ver-
hindert wird, wenn aͤußere Urſachen ſie abaͤndern.

6.

Solche Verſchiedenheiten in den Formen muß das
Evolutionsſyſtem eben ſowohl anerkennen, als die Epi-
geneſis, obgleich jene nur neue Verhaͤltniſſe in der Aus-
dehnung der urſpruͤnglichen Formen des Keims findet,
wo die letztere neu entſtandene Formen annimmt. Aber
in der Art und Weiſe, wie die weſentlichen Formen in
dem Keim beſtimmt ſind, weichen beide von einander
ab. Jede Form, welche entwickelt wird, iſt nach der
Evolution ſchon vorhanden, und wird nur vergroͤßert an
Maſſe. Der Grund, warum ſie ſo ſtark oder ſo ſchwach
entwickelt wird, lieget auch in der Beſchaffenheit der Fi-
bern, und in ihren urſpruͤnglichen Beziehungen auf ein-
ander, aber ſo, daß dieſer Grund durch den Einfluß
aͤußerer Urſachen veraͤndert werden kann. Die Fibern,
welche zu Knochen werden ſollen, haben urſpruͤnglich ei-
ne groͤßere Verbindungskraft, als die zu Muſkelfibern
beſtimmt ſind. Die Anfangspunkte zu dem Schwanze
und den Ohren in dem Keim des Pferdes ſtehen, in
Hinſicht ihrer Entwickelungskraft, in einem innern Ver-
haͤltniſſe zu einander. Das Verhaͤltniß in den letztern
wird veraͤndert, wenn die Befruchtung des Keims von
dem Eſel geſchieht; und in Hinſicht jener giebt es eben-
falls zufaͤllige Urſachen, welche die groͤßere Solideſcibi-
litaͤt in den urſpruͤnglichen Knochenfibern in der Folge
der Entwickelung aufheben koͤnnen.

Nach dem Begriffe von der Epigeneſis erfodern die
weſentlich beſtimmten Formen gleichfalls gewiſſe Anla-
gen in dem Keim ſo eingerichtet, daß, wenn Nahrung

hinzu-
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[526/0556] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt minder durch den Keim beſtimmt ſind, aber doch nicht in ſolcher Maße, daß die vollſtaͤndige Ausbildung ver- hindert wird, wenn aͤußere Urſachen ſie abaͤndern. 6. Solche Verſchiedenheiten in den Formen muß das Evolutionsſyſtem eben ſowohl anerkennen, als die Epi- geneſis, obgleich jene nur neue Verhaͤltniſſe in der Aus- dehnung der urſpruͤnglichen Formen des Keims findet, wo die letztere neu entſtandene Formen annimmt. Aber in der Art und Weiſe, wie die weſentlichen Formen in dem Keim beſtimmt ſind, weichen beide von einander ab. Jede Form, welche entwickelt wird, iſt nach der Evolution ſchon vorhanden, und wird nur vergroͤßert an Maſſe. Der Grund, warum ſie ſo ſtark oder ſo ſchwach entwickelt wird, lieget auch in der Beſchaffenheit der Fi- bern, und in ihren urſpruͤnglichen Beziehungen auf ein- ander, aber ſo, daß dieſer Grund durch den Einfluß aͤußerer Urſachen veraͤndert werden kann. Die Fibern, welche zu Knochen werden ſollen, haben urſpruͤnglich ei- ne groͤßere Verbindungskraft, als die zu Muſkelfibern beſtimmt ſind. Die Anfangspunkte zu dem Schwanze und den Ohren in dem Keim des Pferdes ſtehen, in Hinſicht ihrer Entwickelungskraft, in einem innern Ver- haͤltniſſe zu einander. Das Verhaͤltniß in den letztern wird veraͤndert, wenn die Befruchtung des Keims von dem Eſel geſchieht; und in Hinſicht jener giebt es eben- falls zufaͤllige Urſachen, welche die groͤßere Solideſcibi- litaͤt in den urſpruͤnglichen Knochenfibern in der Folge der Entwickelung aufheben koͤnnen. Nach dem Begriffe von der Epigeneſis erfodern die weſentlich beſtimmten Formen gleichfalls gewiſſe Anla- gen in dem Keim ſo eingerichtet, daß, wenn Nahrung hinzu-

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/556>, abgerufen am 22.11.2024.