Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
Materie hinzukommt, diese Materie auf eine ähnliche
Art ansetzen und sich verdoppeln. Alsdenn ist die
Grundform A von der bewirkten Form A unterschieden
der Zahl nach, wenn wir das Uebrige bey Seite setzen;
und es sind also zwo Formen da, an statt Einer. Und
diese Zahl ähnlicher Formen kann weiter anwachsen,
weil die bildenden Kräfte in der erstern und nun auch in
der zwoten Form fortdauern und fortwirken, wenn es
nur an Materie nicht fehlet. Bey den unähnlichen
Formen, die sich erzeugen, kann es sich eben so verhal-
ten. Tausend Blätter und tausend Saamenkörner
werden, auf dieselbige Art, aus derselbigen Pflanze her-
vorgetrieben, wie Ein Blatt und Ein Korn. Es ist
nur die fortdaurende Wirksamkeit derselbigen Kraft zu
wachsen, und der fortdaurende Zufluß von Nahrung,
wovon diese Mehrheit ähnlicher Formen abhängt, und
wodurch in den warmen Ländern die Bäume mehrmalen
im Jahr Blätter und Früchte treiben, wenn ihnen die
verdorrende Hitze der Sonne die vorhergehenden entzo-
gen hat. Aber diese Mehrheit der Produkte führet auf
keine Mehrheit der sich entwickelnden Grundformen, wie
es nach der bonnetischen Hypothese seyn müßte, son-
dern nur auf eine wiederholte Entwickelung derselbigen
Formen. Jst die Form B, welche aus der erstern Form
A erzeuget wird, von dieser unterschieden, so besitzet die
letztere zwar die hervorbringende Kraft zu der Form B,
aber sie enthält nicht die Form B selbst in sich. Die ent-
wickelnde Kraft der Form A, welche den Partikeln, wor-
aus A bestehet, beywohnet, hat ihren Grund theils von
den Kräften dieser Partikeln, am meisten aber von ihrer
organischen Verbindung unter einander. Wenn nun
neue Materie hinzukommt, deren Partikeln, für sich
einzeln genommen, mit wirkenden Kräften, wie jene,
begabet sind: so muß, indem diese vereiniget werden zu
der Form B, auch eine treibende entwickelnde Kraft in

der

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
Materie hinzukommt, dieſe Materie auf eine aͤhnliche
Art anſetzen und ſich verdoppeln. Alsdenn iſt die
Grundform A von der bewirkten Form A unterſchieden
der Zahl nach, wenn wir das Uebrige bey Seite ſetzen;
und es ſind alſo zwo Formen da, an ſtatt Einer. Und
dieſe Zahl aͤhnlicher Formen kann weiter anwachſen,
weil die bildenden Kraͤfte in der erſtern und nun auch in
der zwoten Form fortdauern und fortwirken, wenn es
nur an Materie nicht fehlet. Bey den unaͤhnlichen
Formen, die ſich erzeugen, kann es ſich eben ſo verhal-
ten. Tauſend Blaͤtter und tauſend Saamenkoͤrner
werden, auf dieſelbige Art, aus derſelbigen Pflanze her-
vorgetrieben, wie Ein Blatt und Ein Korn. Es iſt
nur die fortdaurende Wirkſamkeit derſelbigen Kraft zu
wachſen, und der fortdaurende Zufluß von Nahrung,
wovon dieſe Mehrheit aͤhnlicher Formen abhaͤngt, und
wodurch in den warmen Laͤndern die Baͤume mehrmalen
im Jahr Blaͤtter und Fruͤchte treiben, wenn ihnen die
verdorrende Hitze der Sonne die vorhergehenden entzo-
gen hat. Aber dieſe Mehrheit der Produkte fuͤhret auf
keine Mehrheit der ſich entwickelnden Grundformen, wie
es nach der bonnetiſchen Hypotheſe ſeyn muͤßte, ſon-
dern nur auf eine wiederholte Entwickelung derſelbigen
Formen. Jſt die Form B, welche aus der erſtern Form
A erzeuget wird, von dieſer unterſchieden, ſo beſitzet die
letztere zwar die hervorbringende Kraft zu der Form B,
aber ſie enthaͤlt nicht die Form B ſelbſt in ſich. Die ent-
wickelnde Kraft der Form A, welche den Partikeln, wor-
aus A beſtehet, beywohnet, hat ihren Grund theils von
den Kraͤften dieſer Partikeln, am meiſten aber von ihrer
organiſchen Verbindung unter einander. Wenn nun
neue Materie hinzukommt, deren Partikeln, fuͤr ſich
einzeln genommen, mit wirkenden Kraͤften, wie jene,
begabet ſind: ſo muß, indem dieſe vereiniget werden zu
der Form B, auch eine treibende entwickelnde Kraft in

der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0560" n="530"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIV.</hi> Ver&#x017F;. Ueber die Perfektibilita&#x0364;t</hi></fw><lb/>
Materie hinzukommt, die&#x017F;e Materie auf eine a&#x0364;hnliche<lb/>
Art an&#x017F;etzen und &#x017F;ich verdoppeln. Alsdenn i&#x017F;t die<lb/>
Grundform <hi rendition="#aq">A</hi> von der bewirkten Form <hi rendition="#aq">A</hi> unter&#x017F;chieden<lb/>
der Zahl nach, wenn wir das Uebrige bey Seite &#x017F;etzen;<lb/>
und es &#x017F;ind al&#x017F;o zwo Formen da, an &#x017F;tatt Einer. Und<lb/>
die&#x017F;e Zahl a&#x0364;hnlicher Formen kann weiter anwach&#x017F;en,<lb/>
weil die bildenden Kra&#x0364;fte in der er&#x017F;tern und nun auch in<lb/>
der zwoten Form fortdauern und fortwirken, wenn es<lb/>
nur an Materie nicht fehlet. Bey den una&#x0364;hnlichen<lb/>
Formen, die &#x017F;ich erzeugen, kann es &#x017F;ich eben &#x017F;o verhal-<lb/>
ten. Tau&#x017F;end Bla&#x0364;tter und tau&#x017F;end Saamenko&#x0364;rner<lb/>
werden, auf die&#x017F;elbige Art, aus der&#x017F;elbigen Pflanze her-<lb/>
vorgetrieben, wie Ein Blatt und Ein Korn. Es i&#x017F;t<lb/>
nur die fortdaurende Wirk&#x017F;amkeit der&#x017F;elbigen Kraft zu<lb/>
wach&#x017F;en, und der fortdaurende Zufluß von Nahrung,<lb/>
wovon die&#x017F;e Mehrheit a&#x0364;hnlicher Formen abha&#x0364;ngt, und<lb/>
wodurch in den warmen La&#x0364;ndern die Ba&#x0364;ume mehrmalen<lb/>
im Jahr Bla&#x0364;tter und Fru&#x0364;chte treiben, wenn ihnen die<lb/>
verdorrende Hitze der Sonne die vorhergehenden entzo-<lb/>
gen hat. Aber die&#x017F;e Mehrheit der Produkte fu&#x0364;hret auf<lb/>
keine Mehrheit der &#x017F;ich entwickelnden Grundformen, wie<lb/>
es nach der <hi rendition="#fr">bonneti&#x017F;chen</hi> Hypothe&#x017F;e &#x017F;eyn mu&#x0364;ßte, &#x017F;on-<lb/>
dern nur auf eine wiederholte Entwickelung der&#x017F;elbigen<lb/>
Formen. J&#x017F;t die Form <hi rendition="#aq">B,</hi> welche aus der er&#x017F;tern Form<lb/><hi rendition="#aq">A</hi> erzeuget wird, von die&#x017F;er unter&#x017F;chieden, &#x017F;o be&#x017F;itzet die<lb/>
letztere zwar die hervorbringende Kraft zu der Form <hi rendition="#aq">B,</hi><lb/>
aber &#x017F;ie entha&#x0364;lt nicht die Form <hi rendition="#aq">B</hi> &#x017F;elb&#x017F;t in &#x017F;ich. Die ent-<lb/>
wickelnde Kraft der Form <hi rendition="#aq">A,</hi> welche den Partikeln, wor-<lb/>
aus <hi rendition="#aq">A</hi> be&#x017F;tehet, beywohnet, hat ihren Grund theils von<lb/>
den Kra&#x0364;ften die&#x017F;er Partikeln, am mei&#x017F;ten aber von ihrer<lb/>
organi&#x017F;chen Verbindung unter einander. Wenn nun<lb/>
neue Materie hinzukommt, deren Partikeln, fu&#x0364;r &#x017F;ich<lb/>
einzeln genommen, mit wirkenden Kra&#x0364;ften, wie jene,<lb/>
begabet &#x017F;ind: &#x017F;o muß, indem die&#x017F;e vereiniget werden zu<lb/>
der Form <hi rendition="#aq">B,</hi> auch eine treibende entwickelnde Kraft in<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[530/0560] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt Materie hinzukommt, dieſe Materie auf eine aͤhnliche Art anſetzen und ſich verdoppeln. Alsdenn iſt die Grundform A von der bewirkten Form A unterſchieden der Zahl nach, wenn wir das Uebrige bey Seite ſetzen; und es ſind alſo zwo Formen da, an ſtatt Einer. Und dieſe Zahl aͤhnlicher Formen kann weiter anwachſen, weil die bildenden Kraͤfte in der erſtern und nun auch in der zwoten Form fortdauern und fortwirken, wenn es nur an Materie nicht fehlet. Bey den unaͤhnlichen Formen, die ſich erzeugen, kann es ſich eben ſo verhal- ten. Tauſend Blaͤtter und tauſend Saamenkoͤrner werden, auf dieſelbige Art, aus derſelbigen Pflanze her- vorgetrieben, wie Ein Blatt und Ein Korn. Es iſt nur die fortdaurende Wirkſamkeit derſelbigen Kraft zu wachſen, und der fortdaurende Zufluß von Nahrung, wovon dieſe Mehrheit aͤhnlicher Formen abhaͤngt, und wodurch in den warmen Laͤndern die Baͤume mehrmalen im Jahr Blaͤtter und Fruͤchte treiben, wenn ihnen die verdorrende Hitze der Sonne die vorhergehenden entzo- gen hat. Aber dieſe Mehrheit der Produkte fuͤhret auf keine Mehrheit der ſich entwickelnden Grundformen, wie es nach der bonnetiſchen Hypotheſe ſeyn muͤßte, ſon- dern nur auf eine wiederholte Entwickelung derſelbigen Formen. Jſt die Form B, welche aus der erſtern Form A erzeuget wird, von dieſer unterſchieden, ſo beſitzet die letztere zwar die hervorbringende Kraft zu der Form B, aber ſie enthaͤlt nicht die Form B ſelbſt in ſich. Die ent- wickelnde Kraft der Form A, welche den Partikeln, wor- aus A beſtehet, beywohnet, hat ihren Grund theils von den Kraͤften dieſer Partikeln, am meiſten aber von ihrer organiſchen Verbindung unter einander. Wenn nun neue Materie hinzukommt, deren Partikeln, fuͤr ſich einzeln genommen, mit wirkenden Kraͤften, wie jene, begabet ſind: ſo muß, indem dieſe vereiniget werden zu der Form B, auch eine treibende entwickelnde Kraft in der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/560
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/560>, abgerufen am 22.11.2024.