doch mehr geneigt seyn zu glauben, daß die Befruch- tung des Keims nur eine vorzügliche Erweckung der in- nern Kraft der Seele zur Folge habe, und daß ihre La- ge und ihr Wirkungskreis vorher in dem Keim ihr schon bereitet gewesen sey.
Wenn in Hinsicht des Körpers dem männlichen Saamen nichts weiter zukommt, als daß er die Anlage in dem Weibchen anfachet, belebet und ihm die erste Nahrung zur Ausbildung giebet: so würde man auch der Befruchtung in Hinsicht der Seele nichts mehr zuschrei- ben müssen, als daß die Grundkraft derselben gereizet und erwecket werde. Man kann ihr aber mehr beylegen, wenn man will. Man kann annehmen, daß, beson- ders in Hinsicht des Seelenwesens, die Befruchtung mehr oder minder modificire, nachdem das erzeugte Jn- dividuum dem Vater oder der Mutter am Geschlechte ähnlich wird. Jn keinem Falle folget daraus etwas, was nur ein wahrscheinlicher Grund gegen die Jmma- terialität der Seele seyn würde.
III. Jdee von der angebornen Seelennatur. Vermö- gen, Anlagen, Jnstinkte in derselben.
Jn dem embryonischen Zustande des Menschen, in welchem der Körper seine völlige Bildung empfängt, wird ohne Zweifel das Werkzeug der Seele und mit die- sem die Urkraft der Seele selbst eine ähnliche erhalten. Die Wirkung hievon führet endlich zu dem Zustande der Seele hin, worinn sie sich bey der Geburt befindet. Und dieser Zustand ihrer leidenden und thätigen Vermö- gen und Kräfte macht die angeborne Seelennatur aus.
Diese Natur, so modifikabel sie auch ist, hat inso- fern ihre festgesetzten Kräfte, Triebe und Emrichtun-
gen,
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
doch mehr geneigt ſeyn zu glauben, daß die Befruch- tung des Keims nur eine vorzuͤgliche Erweckung der in- nern Kraft der Seele zur Folge habe, und daß ihre La- ge und ihr Wirkungskreis vorher in dem Keim ihr ſchon bereitet geweſen ſey.
Wenn in Hinſicht des Koͤrpers dem maͤnnlichen Saamen nichts weiter zukommt, als daß er die Anlage in dem Weibchen anfachet, belebet und ihm die erſte Nahrung zur Ausbildung giebet: ſo wuͤrde man auch der Befruchtung in Hinſicht der Seele nichts mehr zuſchrei- ben muͤſſen, als daß die Grundkraft derſelben gereizet und erwecket werde. Man kann ihr aber mehr beylegen, wenn man will. Man kann annehmen, daß, beſon- ders in Hinſicht des Seelenweſens, die Befruchtung mehr oder minder modificire, nachdem das erzeugte Jn- dividuum dem Vater oder der Mutter am Geſchlechte aͤhnlich wird. Jn keinem Falle folget daraus etwas, was nur ein wahrſcheinlicher Grund gegen die Jmma- terialitaͤt der Seele ſeyn wuͤrde.
III. Jdee von der angebornen Seelennatur. Vermoͤ- gen, Anlagen, Jnſtinkte in derſelben.
Jn dem embryoniſchen Zuſtande des Menſchen, in welchem der Koͤrper ſeine voͤllige Bildung empfaͤngt, wird ohne Zweifel das Werkzeug der Seele und mit die- ſem die Urkraft der Seele ſelbſt eine aͤhnliche erhalten. Die Wirkung hievon fuͤhret endlich zu dem Zuſtande der Seele hin, worinn ſie ſich bey der Geburt befindet. Und dieſer Zuſtand ihrer leidenden und thaͤtigen Vermoͤ- gen und Kraͤfte macht die angeborne Seelennatur aus.
Dieſe Natur, ſo modifikabel ſie auch iſt, hat inſo- fern ihre feſtgeſetzten Kraͤfte, Triebe und Emrichtun-
gen,
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
doch mehr geneigt ſeyn zu glauben, daß die Befruch-
tung des Keims nur eine vorzuͤgliche Erweckung der in-
nern Kraft der Seele zur Folge habe, und daß ihre La-
ge und ihr Wirkungskreis vorher in dem Keim ihr ſchon
bereitet geweſen ſey.
Wenn in Hinſicht des Koͤrpers dem maͤnnlichen
Saamen nichts weiter zukommt, als daß er die Anlage
in dem Weibchen anfachet, belebet und ihm die erſte
Nahrung zur Ausbildung giebet: ſo wuͤrde man auch der
Befruchtung in Hinſicht der Seele nichts mehr zuſchrei-
ben muͤſſen, als daß die Grundkraft derſelben gereizet
und erwecket werde. Man kann ihr aber mehr beylegen,
wenn man will. Man kann annehmen, daß, beſon-
ders in Hinſicht des Seelenweſens, die Befruchtung
mehr oder minder modificire, nachdem das erzeugte Jn-
dividuum dem Vater oder der Mutter am Geſchlechte
aͤhnlich wird. Jn keinem Falle folget daraus etwas,
was nur ein wahrſcheinlicher Grund gegen die Jmma-
terialitaͤt der Seele ſeyn wuͤrde.
III.
Jdee von der angebornen Seelennatur. Vermoͤ-
gen, Anlagen, Jnſtinkte in derſelben.
Jn dem embryoniſchen Zuſtande des Menſchen, in
welchem der Koͤrper ſeine voͤllige Bildung empfaͤngt,
wird ohne Zweifel das Werkzeug der Seele und mit die-
ſem die Urkraft der Seele ſelbſt eine aͤhnliche erhalten.
Die Wirkung hievon fuͤhret endlich zu dem Zuſtande
der Seele hin, worinn ſie ſich bey der Geburt befindet.
Und dieſer Zuſtand ihrer leidenden und thaͤtigen Vermoͤ-
gen und Kraͤfte macht die angeborne Seelennatur
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Dieſe Natur, ſo modifikabel ſie auch iſt, hat inſo-
fern ihre feſtgeſetzten Kraͤfte, Triebe und Emrichtun-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/572>, abgerufen am 22.11.2024.
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