schlechterdings keine Vorstellung, da wir keinen Sinn haben, durch welchen wir solche erhalten könnten. Was unsere Vermögen betrifft, die wir in uns selbst uns vor- stellen, so sind die Jdeen davon Abstraktionen aus den innern Empfindungen der Thätigkeiten, die wir alsdenn verrichten, wenn wir uns selbst zu beobachten im Stande sind. Diese mögen vielleicht von solchen Abstraktio- nen, als wir von den Seelenthätigkeiten erlangen wür- den, wenn wir die ersten Kraftäußerungen der Kindes- seele beobachteten, beynahe, wenn nicht völlig, so sehr verschieden seyn, als es die jetzigen Empfindungen von den embryonischen Eindrücken vor der Geburt sind. Die äußern Empfindungen durch die Sinnglieder wer- den das, was sie jetzo für uns sind, nämlich solche Ein- drücke auf solche Art gefühlet, erst durch die Wiederho- lung. Der erste Eindruck von dem, was wir Roth nennen, möchte vielleicht, wenn wir ihn ganz allein in uns haben könnten, so wie er auf die frischen Sinnglie- der fällt, die durch keine vorhergehende Eindrücke be- arbeitet und vorbereitet sind, für nichts weniger als für Roth erkannt werden können. Die schon empfind- lich gemachten Fibern im Auge nehmen nun den Ein- druck des rothen Lichts ihrer Empfindlichkeit gemäß auf; und dieser Eindruck ist es, den wir den Eindruck des rothen Lichts nennen. Was ist solcher in dem neuge- bornen Kinde?
IV. Die
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und Entwickelung des Menſchen.
ſchlechterdings keine Vorſtellung, da wir keinen Sinn haben, durch welchen wir ſolche erhalten koͤnnten. Was unſere Vermoͤgen betrifft, die wir in uns ſelbſt uns vor- ſtellen, ſo ſind die Jdeen davon Abſtraktionen aus den innern Empfindungen der Thaͤtigkeiten, die wir alsdenn verrichten, wenn wir uns ſelbſt zu beobachten im Stande ſind. Dieſe moͤgen vielleicht von ſolchen Abſtraktio- nen, als wir von den Seelenthaͤtigkeiten erlangen wuͤr- den, wenn wir die erſten Kraftaͤußerungen der Kindes- ſeele beobachteten, beynahe, wenn nicht voͤllig, ſo ſehr verſchieden ſeyn, als es die jetzigen Empfindungen von den embryoniſchen Eindruͤcken vor der Geburt ſind. Die aͤußern Empfindungen durch die Sinnglieder wer- den das, was ſie jetzo fuͤr uns ſind, naͤmlich ſolche Ein- druͤcke auf ſolche Art gefuͤhlet, erſt durch die Wiederho- lung. Der erſte Eindruck von dem, was wir Roth nennen, moͤchte vielleicht, wenn wir ihn ganz allein in uns haben koͤnnten, ſo wie er auf die friſchen Sinnglie- der faͤllt, die durch keine vorhergehende Eindruͤcke be- arbeitet und vorbereitet ſind, fuͤr nichts weniger als fuͤr Roth erkannt werden koͤnnen. Die ſchon empfind- lich gemachten Fibern im Auge nehmen nun den Ein- druck des rothen Lichts ihrer Empfindlichkeit gemaͤß auf; und dieſer Eindruck iſt es, den wir den Eindruck des rothen Lichts nennen. Was iſt ſolcher in dem neuge- bornen Kinde?
IV. Die
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und Entwickelung des Menſchen.
ſchlechterdings keine Vorſtellung, da wir keinen Sinn
haben, durch welchen wir ſolche erhalten koͤnnten. Was
unſere Vermoͤgen betrifft, die wir in uns ſelbſt uns vor-
ſtellen, ſo ſind die Jdeen davon Abſtraktionen aus den
innern Empfindungen der Thaͤtigkeiten, die wir alsdenn
verrichten, wenn wir uns ſelbſt zu beobachten im Stande
ſind. Dieſe moͤgen vielleicht von ſolchen Abſtraktio-
nen, als wir von den Seelenthaͤtigkeiten erlangen wuͤr-
den, wenn wir die erſten Kraftaͤußerungen der Kindes-
ſeele beobachteten, beynahe, wenn nicht voͤllig, ſo ſehr
verſchieden ſeyn, als es die jetzigen Empfindungen von
den embryoniſchen Eindruͤcken vor der Geburt ſind.
Die aͤußern Empfindungen durch die Sinnglieder wer-
den das, was ſie jetzo fuͤr uns ſind, naͤmlich ſolche Ein-
druͤcke auf ſolche Art gefuͤhlet, erſt durch die Wiederho-
lung. Der erſte Eindruck von dem, was wir Roth
nennen, moͤchte vielleicht, wenn wir ihn ganz allein in
uns haben koͤnnten, ſo wie er auf die friſchen Sinnglie-
der faͤllt, die durch keine vorhergehende Eindruͤcke be-
arbeitet und vorbereitet ſind, fuͤr nichts weniger als fuͤr
Roth erkannt werden koͤnnen. Die ſchon empfind-
lich gemachten Fibern im Auge nehmen nun den Ein-
druck des rothen Lichts ihrer Empfindlichkeit gemaͤß auf;
und dieſer Eindruck iſt es, den wir den Eindruck des
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/577>, abgerufen am 22.11.2024.
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