IV. Die Ausbildung der Seele bestehet in einer Epi- genesis durch Evolution. Die Art, wie der Körper sich entwickelt, wird aus der Entwi- ckelung der Seele erläutert.
Was endlich bey der Entwickelung des Körpers die Nahrung ist, das sind bey der Seele die Em- pfindungen. So wie jene in den Körper aufgenommen, durch ihn vertheilet und mit ihm vereiniget wird, und dann die Fibern ausdehnet und vergrößert: so werden die Eindrücke von außen, und von innen, in die Seele aufgenommen und den schon vorhandenen Bestimmun- gen ihrer Natur einverleibet. Die entwickelten Fibern im Körper dehnen sich in gewisse Richtungen, die ver- schieden sind, je nachdem sie in verschiedenen Verhält- nissen, in der Länge, Breite und Dicke zunehmen. Daraus entstehen Veränderungen in der Lage derselben gegeneinander, welche neue Verbindungen und Formen veranlassen. Das Aehnliche davon nehmen wir in der Seele bey ihren Vorstellungen und Handlungen gewahr. Jede neue Empfindung, und jede neue Vorstellung, ver- bindet sich mit den vorhergehenden und wird nach dem Gesetz der Aehnlichkeit und der Coexistenz an sie gereihet. Daraus entstehet eine Vergrößerung, und zwar eine Verstärkung oder Vergrößerung an Jntension, inso- weit die hinzukommenden Empfindungen den vorhan- denen ähnlich sind, weil sie insoferne zusammenfallen. Es wird eine Erweiterung oder Ausdehnung daraus, insoferne die neuen zum Theil von den ältern verschie- den sind, sich zwischen diesen setzen und die Vorstel- lungsreihen verlängern. Aber diese Ausdehnungen geben zugleich Gelegenheit zu neuen und mehrfachen Verbindungen der Reihen unter einander. Hieraus
werden
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
IV. Die Ausbildung der Seele beſtehet in einer Epi- geneſis durch Evolution. Die Art, wie der Koͤrper ſich entwickelt, wird aus der Entwi- ckelung der Seele erlaͤutert.
Was endlich bey der Entwickelung des Koͤrpers die Nahrung iſt, das ſind bey der Seele die Em- pfindungen. So wie jene in den Koͤrper aufgenommen, durch ihn vertheilet und mit ihm vereiniget wird, und dann die Fibern ausdehnet und vergroͤßert: ſo werden die Eindruͤcke von außen, und von innen, in die Seele aufgenommen und den ſchon vorhandenen Beſtimmun- gen ihrer Natur einverleibet. Die entwickelten Fibern im Koͤrper dehnen ſich in gewiſſe Richtungen, die ver- ſchieden ſind, je nachdem ſie in verſchiedenen Verhaͤlt- niſſen, in der Laͤnge, Breite und Dicke zunehmen. Daraus entſtehen Veraͤnderungen in der Lage derſelben gegeneinander, welche neue Verbindungen und Formen veranlaſſen. Das Aehnliche davon nehmen wir in der Seele bey ihren Vorſtellungen und Handlungen gewahr. Jede neue Empfindung, und jede neue Vorſtellung, ver- bindet ſich mit den vorhergehenden und wird nach dem Geſetz der Aehnlichkeit und der Coexiſtenz an ſie gereihet. Daraus entſtehet eine Vergroͤßerung, und zwar eine Verſtaͤrkung oder Vergroͤßerung an Jntenſion, inſo- weit die hinzukommenden Empfindungen den vorhan- denen aͤhnlich ſind, weil ſie inſoferne zuſammenfallen. Es wird eine Erweiterung oder Ausdehnung daraus, inſoferne die neuen zum Theil von den aͤltern verſchie- den ſind, ſich zwiſchen dieſen ſetzen und die Vorſtel- lungsreihen verlaͤngern. Aber dieſe Ausdehnungen geben zugleich Gelegenheit zu neuen und mehrfachen Verbindungen der Reihen unter einander. Hieraus
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
IV.
Die Ausbildung der Seele beſtehet in einer Epi-
geneſis durch Evolution. Die Art, wie der
Koͤrper ſich entwickelt, wird aus der Entwi-
ckelung der Seele erlaͤutert.
Was endlich bey der Entwickelung des Koͤrpers die
Nahrung iſt, das ſind bey der Seele die Em-
pfindungen. So wie jene in den Koͤrper aufgenommen,
durch ihn vertheilet und mit ihm vereiniget wird, und
dann die Fibern ausdehnet und vergroͤßert: ſo werden
die Eindruͤcke von außen, und von innen, in die Seele
aufgenommen und den ſchon vorhandenen Beſtimmun-
gen ihrer Natur einverleibet. Die entwickelten Fibern
im Koͤrper dehnen ſich in gewiſſe Richtungen, die ver-
ſchieden ſind, je nachdem ſie in verſchiedenen Verhaͤlt-
niſſen, in der Laͤnge, Breite und Dicke zunehmen.
Daraus entſtehen Veraͤnderungen in der Lage derſelben
gegeneinander, welche neue Verbindungen und Formen
veranlaſſen. Das Aehnliche davon nehmen wir in der
Seele bey ihren Vorſtellungen und Handlungen gewahr.
Jede neue Empfindung, und jede neue Vorſtellung, ver-
bindet ſich mit den vorhergehenden und wird nach dem
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Es wird eine Erweiterung oder Ausdehnung daraus,
inſoferne die neuen zum Theil von den aͤltern verſchie-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/578>, abgerufen am 22.11.2024.
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