ten Vermögen zu handeln, und die Handlung zu unter- lassen, sondern von ihrem Verhältnisse gegen einander; und sie ist desto größer, je größer das Vermögen zum Gegentheil in Beziehung auf das Vermö- gen ist, welches sich wirklich äußert. Die Tu- gend, welche im Kampfe gegen Leidenschaften und Ver- suchungen unterlieget, kann noch mehr werth seyn, und unsere Achtung und Mitleiden für sie beweiset es, daß wir ihren Werth empfinden, als die schwache Tugend, die nur da thätig ist, wo das Vermögen zum Bösen ge- ringe ist. Die wirkende Kraft, die von einer stärkern überwunden wird, kann wohl viel mehr innere Stärke besitzen, als die, welche über eine schwächere den Sieg erhält. Man schließe also nicht, daß lebhafte Perso- nen, die so oft von ihrer Leidenschaft hingerissen werden, ein schwächeres Vermögen, sich zu beherrschen, besitzen müssen, als die Temperamentsweisen, die immer bey sich selbst sind, und sich fassen, weil sie zu wenig em- pfindsam sind, um in starke Bewegung gesetzt zu wer- den. Aber dennoch ist diejenige Kraft immer noch ed- ler und größer, die auch stärkere Triebe besiegen kann.
Diese relative Größe der Freyheit, die Leich- tigkeit sich zum Gegentheile zu bestimmen, die von dem Verhältniß der beiden Vermögen zu der Handlung und zu ihrem Gegentheil entspringet, macht eigentlich die innere Unabhängigkeit aus, sowohl von den äußern Dingen, die einen Einfluß in die Handlung haben, als auch von den innern Modifikationen, die dazu reizen und bewegen. Je weniger diese auf die thätige Kraft einen bestimmenden Einfluß haben, desto weniger wird die letztere mit Gewalt zu der Handlung fortgetrieben; desto gleichgültiger ist die Handlung, und desto ehe kann sie unterlassen, oder anders eingerichtet werden. Hiezu wird nicht allemal ein gleich großes Vermögen erfodert. Wenn die Wage mit einem geringen Uebergewicht an
einer
und Freyheit.
ten Vermoͤgen zu handeln, und die Handlung zu unter- laſſen, ſondern von ihrem Verhaͤltniſſe gegen einander; und ſie iſt deſto groͤßer, je groͤßer das Vermoͤgen zum Gegentheil in Beziehung auf das Vermoͤ- gen iſt, welches ſich wirklich aͤußert. Die Tu- gend, welche im Kampfe gegen Leidenſchaften und Ver- ſuchungen unterlieget, kann noch mehr werth ſeyn, und unſere Achtung und Mitleiden fuͤr ſie beweiſet es, daß wir ihren Werth empfinden, als die ſchwache Tugend, die nur da thaͤtig iſt, wo das Vermoͤgen zum Boͤſen ge- ringe iſt. Die wirkende Kraft, die von einer ſtaͤrkern uͤberwunden wird, kann wohl viel mehr innere Staͤrke beſitzen, als die, welche uͤber eine ſchwaͤchere den Sieg erhaͤlt. Man ſchließe alſo nicht, daß lebhafte Perſo- nen, die ſo oft von ihrer Leidenſchaft hingeriſſen werden, ein ſchwaͤcheres Vermoͤgen, ſich zu beherrſchen, beſitzen muͤſſen, als die Temperamentsweiſen, die immer bey ſich ſelbſt ſind, und ſich faſſen, weil ſie zu wenig em- pfindſam ſind, um in ſtarke Bewegung geſetzt zu wer- den. Aber dennoch iſt diejenige Kraft immer noch ed- ler und groͤßer, die auch ſtaͤrkere Triebe beſiegen kann.
Dieſe relative Groͤße der Freyheit, die Leich- tigkeit ſich zum Gegentheile zu beſtimmen, die von dem Verhaͤltniß der beiden Vermoͤgen zu der Handlung und zu ihrem Gegentheil entſpringet, macht eigentlich die innere Unabhaͤngigkeit aus, ſowohl von den aͤußern Dingen, die einen Einfluß in die Handlung haben, als auch von den innern Modifikationen, die dazu reizen und bewegen. Je weniger dieſe auf die thaͤtige Kraft einen beſtimmenden Einfluß haben, deſto weniger wird die letztere mit Gewalt zu der Handlung fortgetrieben; deſto gleichguͤltiger iſt die Handlung, und deſto ehe kann ſie unterlaſſen, oder anders eingerichtet werden. Hiezu wird nicht allemal ein gleich großes Vermoͤgen erfodert. Wenn die Wage mit einem geringen Uebergewicht an
einer
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und Freyheit.
ten Vermoͤgen zu handeln, und die Handlung zu unter-
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und ſie iſt deſto groͤßer, je groͤßer das Vermoͤgen
zum Gegentheil in Beziehung auf das Vermoͤ-
gen iſt, welches ſich wirklich aͤußert. Die Tu-
gend, welche im Kampfe gegen Leidenſchaften und Ver-
ſuchungen unterlieget, kann noch mehr werth ſeyn, und
unſere Achtung und Mitleiden fuͤr ſie beweiſet es, daß
wir ihren Werth empfinden, als die ſchwache Tugend,
die nur da thaͤtig iſt, wo das Vermoͤgen zum Boͤſen ge-
ringe iſt. Die wirkende Kraft, die von einer ſtaͤrkern
uͤberwunden wird, kann wohl viel mehr innere Staͤrke
beſitzen, als die, welche uͤber eine ſchwaͤchere den Sieg
erhaͤlt. Man ſchließe alſo nicht, daß lebhafte Perſo-
nen, die ſo oft von ihrer Leidenſchaft hingeriſſen werden,
ein ſchwaͤcheres Vermoͤgen, ſich zu beherrſchen, beſitzen
muͤſſen, als die Temperamentsweiſen, die immer bey
ſich ſelbſt ſind, und ſich faſſen, weil ſie zu wenig em-
pfindſam ſind, um in ſtarke Bewegung geſetzt zu wer-
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ler und groͤßer, die auch ſtaͤrkere Triebe beſiegen kann.
Dieſe relative Groͤße der Freyheit, die Leich-
tigkeit ſich zum Gegentheile zu beſtimmen, die von dem
Verhaͤltniß der beiden Vermoͤgen zu der Handlung und
zu ihrem Gegentheil entſpringet, macht eigentlich die
innere Unabhaͤngigkeit aus, ſowohl von den aͤußern
Dingen, die einen Einfluß in die Handlung haben, als
auch von den innern Modifikationen, die dazu reizen und
bewegen. Je weniger dieſe auf die thaͤtige Kraft einen
beſtimmenden Einfluß haben, deſto weniger wird die
letztere mit Gewalt zu der Handlung fortgetrieben; deſto
gleichguͤltiger iſt die Handlung, und deſto ehe kann ſie
unterlaſſen, oder anders eingerichtet werden. Hiezu
wird nicht allemal ein gleich großes Vermoͤgen erfodert.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/59>, abgerufen am 24.11.2024.
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