großen und fruchtbaren Betrachtungen? Jch kann mei- ne Absicht nicht weiter ausdehnen, als dahin, daß ich nur bey einigen sich auszeichnenden Stellen mich etwas verweile, die es vor andern verdienen wiederholt und aufmerksam untersucht zu werden. Es fällt zuerst auf, daß es unter den Menschen, aller ihrer Verschiedenheit ohngeachtet, eine gewisse allgemeine Gleichheit an innerer menschlichen Realität gebe. Dieß ist nicht bloß die angeborne Gleichheit der Natur, sondern sie ist auch noch da, wenn man sie in ihrer Ausbildung gegen einander hält. Um desto leichter zu sehen, was diese Gleichheit auf sich habe, laßt uns solche Jndivi- duen auswählen, bey welchen die Verschiedenheit am größten ist, die also am stärksten von einander abste- chen. Man setze einen Patagonier, oder einen Be- wohner des Feuerlandes, einen Neuseeländer oder Neu- holländer auf einer Seite, auf der andern einen Cook, oder Banks, oder Seeländer; auf einer Seite den kindereinfältigen Kalifornier, und auf der andern den Abbe Chappe d'Auteroche, der den Durchgang der Venus durch die Sonne bey ihnen beobachtete; Conda- mine gegen einen Jndianer am Amazonenfluß; Frank- lin gegen einen Huronen; Maupertuis gegen einen Lappen. Und in der That brauchen wir soweit die Beyspiele nicht zu suchen. Wir haben ähnliche in der Nähe. Mit einem Wort: man vergleiche den Aufge- klärtesten mit dem Wildesten, nur mit dieser Bedin- gung, daß der letztere mit allen gesunden Sinnen verse- hen sey und sie so zu brauchen gelernet habe, als es in der rohesten Gesellschaft möglich ist. Nur die wenigen einzelnen unglücklichen Menschengeschöpfe, die ganz aus- ser aller menschlichen Gesellschaft unter Thieren entwi- ckelt waren, muß man hier weglassen. Einige von ih- nen sind wahnsinnig gewesen, und können also zu den vollständig organisirten nicht gerechnet werden. Die
übrigen,
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und Entwickelung des Menſchen.
großen und fruchtbaren Betrachtungen? Jch kann mei- ne Abſicht nicht weiter ausdehnen, als dahin, daß ich nur bey einigen ſich auszeichnenden Stellen mich etwas verweile, die es vor andern verdienen wiederholt und aufmerkſam unterſucht zu werden. Es faͤllt zuerſt auf, daß es unter den Menſchen, aller ihrer Verſchiedenheit ohngeachtet, eine gewiſſe allgemeine Gleichheit an innerer menſchlichen Realitaͤt gebe. Dieß iſt nicht bloß die angeborne Gleichheit der Natur, ſondern ſie iſt auch noch da, wenn man ſie in ihrer Ausbildung gegen einander haͤlt. Um deſto leichter zu ſehen, was dieſe Gleichheit auf ſich habe, laßt uns ſolche Jndivi- duen auswaͤhlen, bey welchen die Verſchiedenheit am groͤßten iſt, die alſo am ſtaͤrkſten von einander abſte- chen. Man ſetze einen Patagonier, oder einen Be- wohner des Feuerlandes, einen Neuſeelaͤnder oder Neu- hollaͤnder auf einer Seite, auf der andern einen Cook, oder Banks, oder Seelaͤnder; auf einer Seite den kindereinfaͤltigen Kalifornier, und auf der andern den Abbe Chappe d’Auteroche, der den Durchgang der Venus durch die Sonne bey ihnen beobachtete; Conda- mine gegen einen Jndianer am Amazonenfluß; Frank- lin gegen einen Huronen; Maupertuis gegen einen Lappen. Und in der That brauchen wir ſoweit die Beyſpiele nicht zu ſuchen. Wir haben aͤhnliche in der Naͤhe. Mit einem Wort: man vergleiche den Aufge- klaͤrteſten mit dem Wildeſten, nur mit dieſer Bedin- gung, daß der letztere mit allen geſunden Sinnen verſe- hen ſey und ſie ſo zu brauchen gelernet habe, als es in der roheſten Geſellſchaft moͤglich iſt. Nur die wenigen einzelnen ungluͤcklichen Menſchengeſchoͤpfe, die ganz auſ- ſer aller menſchlichen Geſellſchaft unter Thieren entwi- ckelt waren, muß man hier weglaſſen. Einige von ih- nen ſind wahnſinnig geweſen, und koͤnnen alſo zu den vollſtaͤndig organiſirten nicht gerechnet werden. Die
uͤbrigen,
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und Entwickelung des Menſchen.
großen und fruchtbaren Betrachtungen? Jch kann mei-
ne Abſicht nicht weiter ausdehnen, als dahin, daß ich
nur bey einigen ſich auszeichnenden Stellen mich etwas
verweile, die es vor andern verdienen wiederholt und
aufmerkſam unterſucht zu werden. Es faͤllt zuerſt auf,
daß es unter den Menſchen, aller ihrer Verſchiedenheit
ohngeachtet, eine gewiſſe allgemeine Gleichheit an
innerer menſchlichen Realitaͤt gebe. Dieß iſt nicht
bloß die angeborne Gleichheit der Natur, ſondern
ſie iſt auch noch da, wenn man ſie in ihrer Ausbildung
gegen einander haͤlt. Um deſto leichter zu ſehen, was
dieſe Gleichheit auf ſich habe, laßt uns ſolche Jndivi-
duen auswaͤhlen, bey welchen die Verſchiedenheit am
groͤßten iſt, die alſo am ſtaͤrkſten von einander abſte-
chen. Man ſetze einen Patagonier, oder einen Be-
wohner des Feuerlandes, einen Neuſeelaͤnder oder Neu-
hollaͤnder auf einer Seite, auf der andern einen Cook,
oder Banks, oder Seelaͤnder; auf einer Seite den
kindereinfaͤltigen Kalifornier, und auf der andern
den Abbe Chappe d’Auteroche, der den Durchgang der
Venus durch die Sonne bey ihnen beobachtete; Conda-
mine gegen einen Jndianer am Amazonenfluß; Frank-
lin gegen einen Huronen; Maupertuis gegen einen
Lappen. Und in der That brauchen wir ſoweit die
Beyſpiele nicht zu ſuchen. Wir haben aͤhnliche in der
Naͤhe. Mit einem Wort: man vergleiche den Aufge-
klaͤrteſten mit dem Wildeſten, nur mit dieſer Bedin-
gung, daß der letztere mit allen geſunden Sinnen verſe-
hen ſey und ſie ſo zu brauchen gelernet habe, als es in
der roheſten Geſellſchaft moͤglich iſt. Nur die wenigen
einzelnen ungluͤcklichen Menſchengeſchoͤpfe, die ganz auſ-
ſer aller menſchlichen Geſellſchaft unter Thieren entwi-
ckelt waren, muß man hier weglaſſen. Einige von ih-
nen ſind wahnſinnig geweſen, und koͤnnen alſo zu den
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 677. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/707>, abgerufen am 26.06.2024.
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