Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.und Entwickelung des Menschen. Cook glaubten, daß es gerecht sey auf einen Jndia-ner zu schießen, der ihnen ihre Sachen entwenden wollte; aber darinn sahen sie auch keine Ungerechtigkeit, wenn sie die Gärten dieser Leute plünderten. Jhr menschen- freundlicher Befehlhaber belehrte sie durch Strafen ei- nes andern. Nach welchen Grundsätzen konnte aber eben dieser einsichtsvolle Mann es für gerecht halten, ein Land im Namen seines Herrn in Besitz zu nehmen, das seine Einwohner hatte, die nicht von selbst geneigt wa- ren sich einer fremden Herrschaft zu unterwerfen, und entweder in Freyheit lebten, oder doch in einer wilden Verfassung, in der sie zufrieden waren. Ein anderes ist es, wenn man bloses Erdreich und wüstes Land antrift. Vielleicht sollen dergleichen feyerliche Besitznehmungen nichts mehr als Ceremonien seyn, die eine Nation der andern nachmacht. Nicht eben in der Absicht, sich da- durch einen rechtmäßigen Titel zur Beherrschung des ent- deckten Volks zu erwerben, sondern nur um zu erklä- ren, daß man keinem andern in Zukunft mehr Recht darauf einräume, als man selbst verlanget, wenn gleich die Ansprüche von allen gleich ungegründet sind. Ue- berhaupt muß das, was sich über die Rechtmäßigkeit des europäischen Verfahrens in Hinsicht der Völker in den übrigen Welttheilen sagen läßt, sich auf die physi- schen Verhältnisse gründen, wenn diese richtig bestimmt sind. Dabey ist nicht zu läugnen, daß in einzelnen Fäl- len so manche verwickelte Umstände vorkommen, daß so wohl der Grund, als seine Folgen, schwer zu beurthei- len sind. VII. Von X x 2
und Entwickelung des Menſchen. Cook glaubten, daß es gerecht ſey auf einen Jndia-ner zu ſchießen, der ihnen ihre Sachen entwenden wollte; aber darinn ſahen ſie auch keine Ungerechtigkeit, wenn ſie die Gaͤrten dieſer Leute pluͤnderten. Jhr menſchen- freundlicher Befehlhaber belehrte ſie durch Strafen ei- nes andern. Nach welchen Grundſaͤtzen konnte aber eben dieſer einſichtsvolle Mann es fuͤr gerecht halten, ein Land im Namen ſeines Herrn in Beſitz zu nehmen, das ſeine Einwohner hatte, die nicht von ſelbſt geneigt wa- ren ſich einer fremden Herrſchaft zu unterwerfen, und entweder in Freyheit lebten, oder doch in einer wilden Verfaſſung, in der ſie zufrieden waren. Ein anderes iſt es, wenn man bloſes Erdreich und wuͤſtes Land antrift. Vielleicht ſollen dergleichen feyerliche Beſitznehmungen nichts mehr als Ceremonien ſeyn, die eine Nation der andern nachmacht. Nicht eben in der Abſicht, ſich da- durch einen rechtmaͤßigen Titel zur Beherrſchung des ent- deckten Volks zu erwerben, ſondern nur um zu erklaͤ- ren, daß man keinem andern in Zukunft mehr Recht darauf einraͤume, als man ſelbſt verlanget, wenn gleich die Anſpruͤche von allen gleich ungegruͤndet ſind. Ue- berhaupt muß das, was ſich uͤber die Rechtmaͤßigkeit des europaͤiſchen Verfahrens in Hinſicht der Voͤlker in den uͤbrigen Welttheilen ſagen laͤßt, ſich auf die phyſi- ſchen Verhaͤltniſſe gruͤnden, wenn dieſe richtig beſtimmt ſind. Dabey iſt nicht zu laͤugnen, daß in einzelnen Faͤl- len ſo manche verwickelte Umſtaͤnde vorkommen, daß ſo wohl der Grund, als ſeine Folgen, ſchwer zu beurthei- len ſind. VII. Von X x 2
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und Entwickelung des Menſchen.
Cook glaubten, daß es gerecht ſey auf einen Jndia-
ner zu ſchießen, der ihnen ihre Sachen entwenden wollte;
aber darinn ſahen ſie auch keine Ungerechtigkeit, wenn
ſie die Gaͤrten dieſer Leute pluͤnderten. Jhr menſchen-
freundlicher Befehlhaber belehrte ſie durch Strafen ei-
nes andern. Nach welchen Grundſaͤtzen konnte aber
eben dieſer einſichtsvolle Mann es fuͤr gerecht halten, ein
Land im Namen ſeines Herrn in Beſitz zu nehmen, das
ſeine Einwohner hatte, die nicht von ſelbſt geneigt wa-
ren ſich einer fremden Herrſchaft zu unterwerfen, und
entweder in Freyheit lebten, oder doch in einer wilden
Verfaſſung, in der ſie zufrieden waren. Ein anderes iſt
es, wenn man bloſes Erdreich und wuͤſtes Land antrift.
Vielleicht ſollen dergleichen feyerliche Beſitznehmungen
nichts mehr als Ceremonien ſeyn, die eine Nation der
andern nachmacht. Nicht eben in der Abſicht, ſich da-
durch einen rechtmaͤßigen Titel zur Beherrſchung des ent-
deckten Volks zu erwerben, ſondern nur um zu erklaͤ-
ren, daß man keinem andern in Zukunft mehr Recht
darauf einraͤume, als man ſelbſt verlanget, wenn gleich
die Anſpruͤche von allen gleich ungegruͤndet ſind. Ue-
berhaupt muß das, was ſich uͤber die Rechtmaͤßigkeit
des europaͤiſchen Verfahrens in Hinſicht der Voͤlker in
den uͤbrigen Welttheilen ſagen laͤßt, ſich auf die phyſi-
ſchen Verhaͤltniſſe gruͤnden, wenn dieſe richtig beſtimmt
ſind. Dabey iſt nicht zu laͤugnen, daß in einzelnen Faͤl-
len ſo manche verwickelte Umſtaͤnde vorkommen, daß ſo
wohl der Grund, als ſeine Folgen, ſchwer zu beurthei-
len ſind.
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