dem Thron. Wer wird daraus folgern, daß die Skla- verey eben so gut geschickt sey, die menschlichen Geistes- vermögen zu entwickeln, als der Stand eines Regenten?
Jn das Besondere kann ich mich hiebey nicht einlas- sen, wenigstens nicht ausführlich. Diese Arbeit ist zu groß, und zu meinen jetzigen Absichten nicht erfoderlich. Nur bey allgemeinen Anmerkungen muß ich stehen blei- ben, auf die man, als auf Grundsätze, zurückzusehen hat, wenn auf der einen Seite die wahren Vortheile der äußern Umstände erkannt, und auf der andern auch der übertriebenen Einbildung von ihrem Werth und dem verachtenden Stolz, womit man gern auf andere her- absieht, die nicht so vortheilhaft gesetzt sind, vorgebeugt werden soll.
2.
Jn allen Umständen, unter denen Menschen auf der Erde leben, entwickeln sich die natürlichen Vermö- gen bis dahin, daß der Mensch auf die Stufe eines selbstthätigen Wesens kommt, unter den Polen, unter dem Aequator, im Jäger - und Fischerstande, beym Eigenthum und Landbau, in Staaten- und Familienge- sellschaften, in Dürftigkeit und im Ueberfluß, in der Freyheit oder in der Sklaverey. Allenthalben giebt es Empfindungen, Bedürfnisse und Reize für die Kräfte der Seele, wodurch sie thätig werden. Jst der Mensch zu dem männlichen Alter gelangt, so ist ein Schritt in der Entwickelung der Seele vollendet, der der größte und schwerste von denen ist, die in diesem Leben auf der Erde zu thun sind. Jnsofern sind auch alle äußere Zu- stände einander gleich, bey aller ihrer sonstigen Verschie- denheit. Es liegt, so zu sagen, ein Grad von Entwi- ckelungskraft in allen, der größer ist, als der Ueber- schuß derselben, wo sie am größten ist, vor derjenigen, wo sie am kleinsten ist. Man kann ebenfalls auch hier
die
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
dem Thron. Wer wird daraus folgern, daß die Skla- verey eben ſo gut geſchickt ſey, die menſchlichen Geiſtes- vermoͤgen zu entwickeln, als der Stand eines Regenten?
Jn das Beſondere kann ich mich hiebey nicht einlaſ- ſen, wenigſtens nicht ausfuͤhrlich. Dieſe Arbeit iſt zu groß, und zu meinen jetzigen Abſichten nicht erfoderlich. Nur bey allgemeinen Anmerkungen muß ich ſtehen blei- ben, auf die man, als auf Grundſaͤtze, zuruͤckzuſehen hat, wenn auf der einen Seite die wahren Vortheile der aͤußern Umſtaͤnde erkannt, und auf der andern auch der uͤbertriebenen Einbildung von ihrem Werth und dem verachtenden Stolz, womit man gern auf andere her- abſieht, die nicht ſo vortheilhaft geſetzt ſind, vorgebeugt werden ſoll.
2.
Jn allen Umſtaͤnden, unter denen Menſchen auf der Erde leben, entwickeln ſich die natuͤrlichen Vermoͤ- gen bis dahin, daß der Menſch auf die Stufe eines ſelbſtthaͤtigen Weſens kommt, unter den Polen, unter dem Aequator, im Jaͤger - und Fiſcherſtande, beym Eigenthum und Landbau, in Staaten- und Familienge- ſellſchaften, in Duͤrftigkeit und im Ueberfluß, in der Freyheit oder in der Sklaverey. Allenthalben giebt es Empfindungen, Beduͤrfniſſe und Reize fuͤr die Kraͤfte der Seele, wodurch ſie thaͤtig werden. Jſt der Menſch zu dem maͤnnlichen Alter gelangt, ſo iſt ein Schritt in der Entwickelung der Seele vollendet, der der groͤßte und ſchwerſte von denen iſt, die in dieſem Leben auf der Erde zu thun ſind. Jnſofern ſind auch alle aͤußere Zu- ſtaͤnde einander gleich, bey aller ihrer ſonſtigen Verſchie- denheit. Es liegt, ſo zu ſagen, ein Grad von Entwi- ckelungskraft in allen, der groͤßer iſt, als der Ueber- ſchuß derſelben, wo ſie am groͤßten iſt, vor derjenigen, wo ſie am kleinſten iſt. Man kann ebenfalls auch hier
die
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
dem Thron. Wer wird daraus folgern, daß die Skla-
verey eben ſo gut geſchickt ſey, die menſchlichen Geiſtes-
vermoͤgen zu entwickeln, als der Stand eines Regenten?
Jn das Beſondere kann ich mich hiebey nicht einlaſ-
ſen, wenigſtens nicht ausfuͤhrlich. Dieſe Arbeit iſt zu
groß, und zu meinen jetzigen Abſichten nicht erfoderlich.
Nur bey allgemeinen Anmerkungen muß ich ſtehen blei-
ben, auf die man, als auf Grundſaͤtze, zuruͤckzuſehen
hat, wenn auf der einen Seite die wahren Vortheile der
aͤußern Umſtaͤnde erkannt, und auf der andern auch der
uͤbertriebenen Einbildung von ihrem Werth und dem
verachtenden Stolz, womit man gern auf andere her-
abſieht, die nicht ſo vortheilhaft geſetzt ſind, vorgebeugt
werden ſoll.
2.
Jn allen Umſtaͤnden, unter denen Menſchen auf
der Erde leben, entwickeln ſich die natuͤrlichen Vermoͤ-
gen bis dahin, daß der Menſch auf die Stufe eines
ſelbſtthaͤtigen Weſens kommt, unter den Polen, unter
dem Aequator, im Jaͤger - und Fiſcherſtande, beym
Eigenthum und Landbau, in Staaten- und Familienge-
ſellſchaften, in Duͤrftigkeit und im Ueberfluß, in der
Freyheit oder in der Sklaverey. Allenthalben giebt es
Empfindungen, Beduͤrfniſſe und Reize fuͤr die Kraͤfte
der Seele, wodurch ſie thaͤtig werden. Jſt der Menſch
zu dem maͤnnlichen Alter gelangt, ſo iſt ein Schritt in
der Entwickelung der Seele vollendet, der der groͤßte
und ſchwerſte von denen iſt, die in dieſem Leben auf der
Erde zu thun ſind. Jnſofern ſind auch alle aͤußere Zu-
ſtaͤnde einander gleich, bey aller ihrer ſonſtigen Verſchie-
denheit. Es liegt, ſo zu ſagen, ein Grad von Entwi-
ckelungskraft in allen, der groͤßer iſt, als der Ueber-
ſchuß derſelben, wo ſie am groͤßten iſt, vor derjenigen,
wo ſie am kleinſten iſt. Man kann ebenfalls auch hier
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 694. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/724>, abgerufen am 25.11.2024.
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