die Anmerkung wiederholen, die oben über den Geist der Stände gemacht ist, *) daß nämlich "jeder Zustand "etwas Eigenes in seinem Einfluß auf die Entwicke- "lung habe, was man als einen Vorzug bey ihm an- "sehen muß." Jeder für sich enthält Veranlassungen, Eines oder das andere von den menschlichen Vermögen mehr und vorzüglicher zu entwickeln, als die übrigen. Aber auch daraus folgt nichts weniger, als daß sie alle gleich gut sind. Es kann eine blos thierische Voll- kommenheit, oder gar nur eine mechanische Fertigkeit im Körper seyn, die in der wilden Lebensart ausneh- mend erhöhet wird, deren Werth in Vergleichung mit der innern Seelengröße, am Gefühl und Vernunft, ge- ringe ist.
Wenn man den Werth der äußern Zustände blos nach den Veranlassungen und Gelegenheiten schätzen will, die sie dem Entwickelungstriebe der Seele geben, und nicht auch das mitrechnen will, daß solche Veranlassun- gen in dem einem Fall mehr thätig und wirksam sind, für sich stärker eindringen und bewegen, als in dem andern: so vergleicht man sie von einer Seite, wo sie mehr einan- der gleich sind. Jn jedem Zustande, in jeder Beschäff- tigung und Lebensart wirken die äußern Objekte auf die Sinne, mit unzähligen Eindrücken, welche die mensch- lichen Kräfte beschäfftigen, wenn sie nur die Aufmerk- samkeit auf sich ziehen, und wahrgenommen werden. Der Fuhrmann sieht eine Mannichfaltigkeit in den Be- wegungen seiner Pferde, worauf er seine Augen geheftet hat, davon der Reisende in dem Wagen nichts weiß. Wäre jener so lebhaft, wie der Tanzmeister, der bey dem Anschaun eines schönen Schritts im Tanzen aus- rief: Wie viel Wunder in einem Pas? vielleicht ge- rieth er auch zuweilen in Entzückung über die schönen Schritte seiner Pferde.
Es
*) Vierter Abschnitt, II. 4.
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und Entwickelung des Menſchen.
die Anmerkung wiederholen, die oben uͤber den Geiſt der Staͤnde gemacht iſt, *) daß naͤmlich „jeder Zuſtand „etwas Eigenes in ſeinem Einfluß auf die Entwicke- „lung habe, was man als einen Vorzug bey ihm an- „ſehen muß.‟ Jeder fuͤr ſich enthaͤlt Veranlaſſungen, Eines oder das andere von den menſchlichen Vermoͤgen mehr und vorzuͤglicher zu entwickeln, als die uͤbrigen. Aber auch daraus folgt nichts weniger, als daß ſie alle gleich gut ſind. Es kann eine blos thieriſche Voll- kommenheit, oder gar nur eine mechaniſche Fertigkeit im Koͤrper ſeyn, die in der wilden Lebensart ausneh- mend erhoͤhet wird, deren Werth in Vergleichung mit der innern Seelengroͤße, am Gefuͤhl und Vernunft, ge- ringe iſt.
Wenn man den Werth der aͤußern Zuſtaͤnde blos nach den Veranlaſſungen und Gelegenheiten ſchaͤtzen will, die ſie dem Entwickelungstriebe der Seele geben, und nicht auch das mitrechnen will, daß ſolche Veranlaſſun- gen in dem einem Fall mehr thaͤtig und wirkſam ſind, fuͤr ſich ſtaͤrker eindringen und bewegen, als in dem andern: ſo vergleicht man ſie von einer Seite, wo ſie mehr einan- der gleich ſind. Jn jedem Zuſtande, in jeder Beſchaͤff- tigung und Lebensart wirken die aͤußern Objekte auf die Sinne, mit unzaͤhligen Eindruͤcken, welche die menſch- lichen Kraͤfte beſchaͤfftigen, wenn ſie nur die Aufmerk- ſamkeit auf ſich ziehen, und wahrgenommen werden. Der Fuhrmann ſieht eine Mannichfaltigkeit in den Be- wegungen ſeiner Pferde, worauf er ſeine Augen geheftet hat, davon der Reiſende in dem Wagen nichts weiß. Waͤre jener ſo lebhaft, wie der Tanzmeiſter, der bey dem Anſchaun eines ſchoͤnen Schritts im Tanzen aus- rief: Wie viel Wunder in einem Pas? vielleicht ge- rieth er auch zuweilen in Entzuͤckung uͤber die ſchoͤnen Schritte ſeiner Pferde.
Es
*) Vierter Abſchnitt, II. 4.
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und Entwickelung des Menſchen.
die Anmerkung wiederholen, die oben uͤber den Geiſt
der Staͤnde gemacht iſt, *) daß naͤmlich „jeder Zuſtand
„etwas Eigenes in ſeinem Einfluß auf die Entwicke-
„lung habe, was man als einen Vorzug bey ihm an-
„ſehen muß.‟ Jeder fuͤr ſich enthaͤlt Veranlaſſungen,
Eines oder das andere von den menſchlichen Vermoͤgen
mehr und vorzuͤglicher zu entwickeln, als die uͤbrigen.
Aber auch daraus folgt nichts weniger, als daß ſie alle
gleich gut ſind. Es kann eine blos thieriſche Voll-
kommenheit, oder gar nur eine mechaniſche Fertigkeit
im Koͤrper ſeyn, die in der wilden Lebensart ausneh-
mend erhoͤhet wird, deren Werth in Vergleichung mit
der innern Seelengroͤße, am Gefuͤhl und Vernunft, ge-
ringe iſt.
Wenn man den Werth der aͤußern Zuſtaͤnde blos
nach den Veranlaſſungen und Gelegenheiten ſchaͤtzen will,
die ſie dem Entwickelungstriebe der Seele geben, und
nicht auch das mitrechnen will, daß ſolche Veranlaſſun-
gen in dem einem Fall mehr thaͤtig und wirkſam ſind, fuͤr
ſich ſtaͤrker eindringen und bewegen, als in dem andern:
ſo vergleicht man ſie von einer Seite, wo ſie mehr einan-
der gleich ſind. Jn jedem Zuſtande, in jeder Beſchaͤff-
tigung und Lebensart wirken die aͤußern Objekte auf die
Sinne, mit unzaͤhligen Eindruͤcken, welche die menſch-
lichen Kraͤfte beſchaͤfftigen, wenn ſie nur die Aufmerk-
ſamkeit auf ſich ziehen, und wahrgenommen werden.
Der Fuhrmann ſieht eine Mannichfaltigkeit in den Be-
wegungen ſeiner Pferde, worauf er ſeine Augen geheftet
hat, davon der Reiſende in dem Wagen nichts weiß.
Waͤre jener ſo lebhaft, wie der Tanzmeiſter, der bey
dem Anſchaun eines ſchoͤnen Schritts im Tanzen aus-
rief: Wie viel Wunder in einem Pas? vielleicht ge-
rieth er auch zuweilen in Entzuͤckung uͤber die ſchoͤnen
Schritte ſeiner Pferde.
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*) Vierter Abſchnitt, II. 4.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 695. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/725>, abgerufen am 25.11.2024.
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