niger dafür geboten werden kann. Denn es gehöret Verstand, Empfindsamkeit und Geistesgröße dazu, leb- haft zu begreifen, wozu sie eigentlich genutzet werden könne. Eine andere Frage ist es, ob es wohl gethan sey sie zu kaufen, wenn man kann, und ob man auch die freywillige sklavische Unterwerfung eines Menschen annehmen müsse? wie weit und ob man sie länger be- halten solle, als ihr eigenes Wohl es heischet? Wer den Menschen zu einer Absicht zwinget, wozu es genug gewesen wäre ihm zu rathen, der beraubet ihn einer Gelegenheit seine Selbstthätigkeit zu üben. Es ist ein allgemein anerkanntes Princip der Moral, daß man das Wohl der Menschen nach Möglichkeit befördern solle. Aber es ist nicht minder ein allgemeines wahres, obgleich minder erkanntes Princip, "daß man sich mög- "lichst bestreben müsse, sie zu selbstthätigen Menschen "zu machen."
Diese Anerkennungen sind nichts mehr, als einige hie und da gesteckte Grenzpfähle in der weitläuftigen Untersuchung über die beste Lage des Menschen zu seiner Entwickelung. Sie sollen auch nichts mehr seyn. Jm Allgemeinen läßt sich leicht sagen, wie der äußere Zustand des Menschen in dieser Hinsicht seyn müßte. Laß ihn Bedürfnisse haben und sie fühlen, aber solche, deren er sich durch seine eigene Thätigkeit erledigen kann; man bringe ihm Muth und Zuversicht zu sich selbst bey, zum mindesten die Hoffnung durch sein Selbstbestreben sich glücklich zu machen. Dieß sind die Erfodernisse, wenn der Entwickelungstrieb gereizet werden soll. Je meh- rere und je mannigfaltiger die gefühlten Bedürfnisse sind, und je mehr es Bedürfnisse sind, welchen abzuhelfen die innern und höhern selbstthätigen Kräfte wirken müs- sen, je mehr sie nämlich Seelen- und Geistesbedürf- nisse sind, auf deren Gefühl die körperlichen Bedürf- nisse hinleiten; und je mehr solche in einer angemessenen
Bezie-
und Entwickelung des Menſchen.
niger dafuͤr geboten werden kann. Denn es gehoͤret Verſtand, Empfindſamkeit und Geiſtesgroͤße dazu, leb- haft zu begreifen, wozu ſie eigentlich genutzet werden koͤnne. Eine andere Frage iſt es, ob es wohl gethan ſey ſie zu kaufen, wenn man kann, und ob man auch die freywillige ſklaviſche Unterwerfung eines Menſchen annehmen muͤſſe? wie weit und ob man ſie laͤnger be- halten ſolle, als ihr eigenes Wohl es heiſchet? Wer den Menſchen zu einer Abſicht zwinget, wozu es genug geweſen waͤre ihm zu rathen, der beraubet ihn einer Gelegenheit ſeine Selbſtthaͤtigkeit zu uͤben. Es iſt ein allgemein anerkanntes Princip der Moral, daß man das Wohl der Menſchen nach Moͤglichkeit befoͤrdern ſolle. Aber es iſt nicht minder ein allgemeines wahres, obgleich minder erkanntes Princip, „daß man ſich moͤg- „lichſt beſtreben muͤſſe, ſie zu ſelbſtthaͤtigen Menſchen „zu machen.‟
Dieſe Anerkennungen ſind nichts mehr, als einige hie und da geſteckte Grenzpfaͤhle in der weitlaͤuftigen Unterſuchung uͤber die beſte Lage des Menſchen zu ſeiner Entwickelung. Sie ſollen auch nichts mehr ſeyn. Jm Allgemeinen laͤßt ſich leicht ſagen, wie der aͤußere Zuſtand des Menſchen in dieſer Hinſicht ſeyn muͤßte. Laß ihn Beduͤrfniſſe haben und ſie fuͤhlen, aber ſolche, deren er ſich durch ſeine eigene Thaͤtigkeit erledigen kann; man bringe ihm Muth und Zuverſicht zu ſich ſelbſt bey, zum mindeſten die Hoffnung durch ſein Selbſtbeſtreben ſich gluͤcklich zu machen. Dieß ſind die Erfoderniſſe, wenn der Entwickelungstrieb gereizet werden ſoll. Je meh- rere und je mannigfaltiger die gefuͤhlten Beduͤrfniſſe ſind, und je mehr es Beduͤrfniſſe ſind, welchen abzuhelfen die innern und hoͤhern ſelbſtthaͤtigen Kraͤfte wirken muͤſ- ſen, je mehr ſie naͤmlich Seelen- und Geiſtesbeduͤrf- niſſe ſind, auf deren Gefuͤhl die koͤrperlichen Beduͤrf- niſſe hinleiten; und je mehr ſolche in einer angemeſſenen
Bezie-
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und Entwickelung des Menſchen.
niger dafuͤr geboten werden kann. Denn es gehoͤret
Verſtand, Empfindſamkeit und Geiſtesgroͤße dazu, leb-
haft zu begreifen, wozu ſie eigentlich genutzet werden
koͤnne. Eine andere Frage iſt es, ob es wohl gethan
ſey ſie zu kaufen, wenn man kann, und ob man auch
die freywillige ſklaviſche Unterwerfung eines Menſchen
annehmen muͤſſe? wie weit und ob man ſie laͤnger be-
halten ſolle, als ihr eigenes Wohl es heiſchet? Wer
den Menſchen zu einer Abſicht zwinget, wozu es genug
geweſen waͤre ihm zu rathen, der beraubet ihn einer
Gelegenheit ſeine Selbſtthaͤtigkeit zu uͤben. Es iſt ein
allgemein anerkanntes Princip der Moral, daß man
das Wohl der Menſchen nach Moͤglichkeit befoͤrdern
ſolle. Aber es iſt nicht minder ein allgemeines wahres,
obgleich minder erkanntes Princip, „daß man ſich moͤg-
„lichſt beſtreben muͤſſe, ſie zu ſelbſtthaͤtigen Menſchen
„zu machen.‟
Dieſe Anerkennungen ſind nichts mehr, als einige
hie und da geſteckte Grenzpfaͤhle in der weitlaͤuftigen
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Beduͤrfniſſe haben und ſie fuͤhlen, aber ſolche, deren er
ſich durch ſeine eigene Thaͤtigkeit erledigen kann; man
bringe ihm Muth und Zuverſicht zu ſich ſelbſt bey, zum
mindeſten die Hoffnung durch ſein Selbſtbeſtreben ſich
gluͤcklich zu machen. Dieß ſind die Erfoderniſſe, wenn
der Entwickelungstrieb gereizet werden ſoll. Je meh-
rere und je mannigfaltiger die gefuͤhlten Beduͤrfniſſe ſind,
und je mehr es Beduͤrfniſſe ſind, welchen abzuhelfen
die innern und hoͤhern ſelbſtthaͤtigen Kraͤfte wirken muͤſ-
ſen, je mehr ſie naͤmlich Seelen- und Geiſtesbeduͤrf-
niſſe ſind, auf deren Gefuͤhl die koͤrperlichen Beduͤrf-
niſſe hinleiten; und je mehr ſolche in einer angemeſſenen
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/733>, abgerufen am 24.11.2024.
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