ger nicht ankommt: so ist es dennoch auch schwer genug, und in einzelnen Fällen fast unmöglich, nur das Aeus- serste in diesen Grenzen anzugeben. Gleichwohl würde ich es für einen vortreflichen Beytrag zu der Philosophie über den Menschen ansehen, wenn man nach Anleitung des obigen allgemeinen Grundsatzes weiter gehen, seine Folgen entwickeln, und sie mit der Geschichte der Mensch- heit und mit der Geschichte der Erziehung vergleichen würde.
Wären die natürlichen Anlagen der Menschen alle einander gleich, so würden auch dieselbigen Umstände, worunter das eine Jndividuum am vollkommensten ent- wickelt wird, die schicklichsten für alle seyn. Aber diese Folge ist, wie der Grundsatz, der Erfahrung entgegen. Es offenbaret sich in so vielen Beyspielen, daß die Er- ziehungsart und Umstände, unter denen einige Köpfe so gut gedeihen als sie können, bey andern ein großes Hinderniß sind das zu werden, was sonsten aus ihnen werden konnte, und unter andern Umständen vielleicht geworden seyn möchte. Schon deßwegen kann es keine allgemeine Erziehungsart geben, die nicht bey einigen Kindern ihres Zwecks verfehlen müßte, sobald solche ge- nauer bestimmt ist. Man muß nur diejenige als eine allgemein gute ansehen, die sich zu den mehresten schicket.
4.
Noch eine Anmerkung, mit der ich schließe. Hr. Rousseau hat unsern polizirten Gesellschaften viel Bö- ses nachgesagt. Sie machen den Menschen seiner Mei- nung nach unglücklicher, als er es von Natur seyn wür- de. Hätte dieser Philosoph auf die physische Entwicke- lung überall Rücksicht genommen, wie er zuweilen that, so möchte er zwar auf der einen Seite manches aus der Liste der Unglückseligkeiten weggestrichen, aber auf der andern vielleicht auch einen neuen fruchtbaren Gemeinort
zu
IITheil. Y y
und Entwickelung des Menſchen.
ger nicht ankommt: ſo iſt es dennoch auch ſchwer genug, und in einzelnen Faͤllen faſt unmoͤglich, nur das Aeuſ- ſerſte in dieſen Grenzen anzugeben. Gleichwohl wuͤrde ich es fuͤr einen vortreflichen Beytrag zu der Philoſophie uͤber den Menſchen anſehen, wenn man nach Anleitung des obigen allgemeinen Grundſatzes weiter gehen, ſeine Folgen entwickeln, und ſie mit der Geſchichte der Menſch- heit und mit der Geſchichte der Erziehung vergleichen wuͤrde.
Waͤren die natuͤrlichen Anlagen der Menſchen alle einander gleich, ſo wuͤrden auch dieſelbigen Umſtaͤnde, worunter das eine Jndividuum am vollkommenſten ent- wickelt wird, die ſchicklichſten fuͤr alle ſeyn. Aber dieſe Folge iſt, wie der Grundſatz, der Erfahrung entgegen. Es offenbaret ſich in ſo vielen Beyſpielen, daß die Er- ziehungsart und Umſtaͤnde, unter denen einige Koͤpfe ſo gut gedeihen als ſie koͤnnen, bey andern ein großes Hinderniß ſind das zu werden, was ſonſten aus ihnen werden konnte, und unter andern Umſtaͤnden vielleicht geworden ſeyn moͤchte. Schon deßwegen kann es keine allgemeine Erziehungsart geben, die nicht bey einigen Kindern ihres Zwecks verfehlen muͤßte, ſobald ſolche ge- nauer beſtimmt iſt. Man muß nur diejenige als eine allgemein gute anſehen, die ſich zu den mehreſten ſchicket.
4.
Noch eine Anmerkung, mit der ich ſchließe. Hr. Rouſſeau hat unſern polizirten Geſellſchaften viel Boͤ- ſes nachgeſagt. Sie machen den Menſchen ſeiner Mei- nung nach ungluͤcklicher, als er es von Natur ſeyn wuͤr- de. Haͤtte dieſer Philoſoph auf die phyſiſche Entwicke- lung uͤberall Ruͤckſicht genommen, wie er zuweilen that, ſo moͤchte er zwar auf der einen Seite manches aus der Liſte der Ungluͤckſeligkeiten weggeſtrichen, aber auf der andern vielleicht auch einen neuen fruchtbaren Gemeinort
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und Entwickelung des Menſchen.
ger nicht ankommt: ſo iſt es dennoch auch ſchwer genug,
und in einzelnen Faͤllen faſt unmoͤglich, nur das Aeuſ-
ſerſte in dieſen Grenzen anzugeben. Gleichwohl wuͤrde
ich es fuͤr einen vortreflichen Beytrag zu der Philoſophie
uͤber den Menſchen anſehen, wenn man nach Anleitung
des obigen allgemeinen Grundſatzes weiter gehen, ſeine
Folgen entwickeln, und ſie mit der Geſchichte der Menſch-
heit und mit der Geſchichte der Erziehung vergleichen
wuͤrde.
Waͤren die natuͤrlichen Anlagen der Menſchen alle
einander gleich, ſo wuͤrden auch dieſelbigen Umſtaͤnde,
worunter das eine Jndividuum am vollkommenſten ent-
wickelt wird, die ſchicklichſten fuͤr alle ſeyn. Aber dieſe
Folge iſt, wie der Grundſatz, der Erfahrung entgegen.
Es offenbaret ſich in ſo vielen Beyſpielen, daß die Er-
ziehungsart und Umſtaͤnde, unter denen einige Koͤpfe
ſo gut gedeihen als ſie koͤnnen, bey andern ein großes
Hinderniß ſind das zu werden, was ſonſten aus ihnen
werden konnte, und unter andern Umſtaͤnden vielleicht
geworden ſeyn moͤchte. Schon deßwegen kann es keine
allgemeine Erziehungsart geben, die nicht bey einigen
Kindern ihres Zwecks verfehlen muͤßte, ſobald ſolche ge-
nauer beſtimmt iſt. Man muß nur diejenige als eine
allgemein gute anſehen, die ſich zu den mehreſten ſchicket.
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Noch eine Anmerkung, mit der ich ſchließe. Hr.
Rouſſeau hat unſern polizirten Geſellſchaften viel Boͤ-
ſes nachgeſagt. Sie machen den Menſchen ſeiner Mei-
nung nach ungluͤcklicher, als er es von Natur ſeyn wuͤr-
de. Haͤtte dieſer Philoſoph auf die phyſiſche Entwicke-
lung uͤberall Ruͤckſicht genommen, wie er zuweilen that,
ſo moͤchte er zwar auf der einen Seite manches aus der
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 705. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/735>, abgerufen am 24.11.2024.
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