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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
bet, wenn die innere Kultur des Verstandes, die Auf-
klärung des Menschen über sich selbst und über seine
Pflichten, verhindert wird; wenn die Wirkungen der
Wissenschaften und Künste mehr ausschließungsweise
auf die Bequemlichkeit und Verschönerung des äußern
Lebens, auf Speise, Kleidung und Wohnungen gelenket
werden. Der innere Anbau der Seele, Einsichten des
Verstandes, Richtigkeit des Herzens und Herrschaft
über sich selbst sind Vollkommenheiten, davon nimmer-
mehr in irgend einem Staat ein Uebermaß zu befürch-
ten ist.

Jn der Wildheit und Barbarey sind die Menschen
fast alle einander gleich, die wenigen einzelnen ausgenom-
men, die durch ihre hervorstehenden Naturanlagen sich
auszeichnen. Je mehr die Gesellschaft in der Kultur
fortgeht, desto stärker wird die Verschiedenheit zwischen
den Jndividuen, weil der Einfluß der entwickelnden Ur-
sachen vorzüglich auf besondere Stände geleitet wird.
Aber je mehr die Kenntnisse und Kultur unter der Na-
tion gemeiner werden, desto mehr nähern sich auch die
Einzelnen wiederum einander. Die Lekture ist das wirk-
samste Mittel zu diesem Zweck, wenn sie recht genutzt
wird. Hierinn sind die äußerste Wildheit und die äus-
serste Kultur einander ähnlich. Unter den Wilden kann
jederman Fürst und Anführer seyn, der nur gesunde
Glieder hat, und höchstens ein bischen Mutterwitz oder
Munterkeit vor andern voraus. Eben so würde man,
wenn die Aufklärung des Verstandes sich allgemein ver-
breitete, wiederum wie ehemals Generals von den
Dreschdielen, Dictators vom Pfluge und Staatsmän-
ner aus den Werkstäten holen können.

Fünfter

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
bet, wenn die innere Kultur des Verſtandes, die Auf-
klaͤrung des Menſchen uͤber ſich ſelbſt und uͤber ſeine
Pflichten, verhindert wird; wenn die Wirkungen der
Wiſſenſchaften und Kuͤnſte mehr ausſchließungsweiſe
auf die Bequemlichkeit und Verſchoͤnerung des aͤußern
Lebens, auf Speiſe, Kleidung und Wohnungen gelenket
werden. Der innere Anbau der Seele, Einſichten des
Verſtandes, Richtigkeit des Herzens und Herrſchaft
uͤber ſich ſelbſt ſind Vollkommenheiten, davon nimmer-
mehr in irgend einem Staat ein Uebermaß zu befuͤrch-
ten iſt.

Jn der Wildheit und Barbarey ſind die Menſchen
faſt alle einander gleich, die wenigen einzelnen ausgenom-
men, die durch ihre hervorſtehenden Naturanlagen ſich
auszeichnen. Je mehr die Geſellſchaft in der Kultur
fortgeht, deſto ſtaͤrker wird die Verſchiedenheit zwiſchen
den Jndividuen, weil der Einfluß der entwickelnden Ur-
ſachen vorzuͤglich auf beſondere Staͤnde geleitet wird.
Aber je mehr die Kenntniſſe und Kultur unter der Na-
tion gemeiner werden, deſto mehr naͤhern ſich auch die
Einzelnen wiederum einander. Die Lekture iſt das wirk-
ſamſte Mittel zu dieſem Zweck, wenn ſie recht genutzt
wird. Hierinn ſind die aͤußerſte Wildheit und die aͤuſ-
ſerſte Kultur einander aͤhnlich. Unter den Wilden kann
jederman Fuͤrſt und Anfuͤhrer ſeyn, der nur geſunde
Glieder hat, und hoͤchſtens ein bischen Mutterwitz oder
Munterkeit vor andern voraus. Eben ſo wuͤrde man,
wenn die Aufklaͤrung des Verſtandes ſich allgemein ver-
breitete, wiederum wie ehemals Generals von den
Dreſchdielen, Dictators vom Pfluge und Staatsmaͤn-
ner aus den Werkſtaͤten holen koͤnnen.

Fuͤnfter
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[708/0738] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt bet, wenn die innere Kultur des Verſtandes, die Auf- klaͤrung des Menſchen uͤber ſich ſelbſt und uͤber ſeine Pflichten, verhindert wird; wenn die Wirkungen der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte mehr ausſchließungsweiſe auf die Bequemlichkeit und Verſchoͤnerung des aͤußern Lebens, auf Speiſe, Kleidung und Wohnungen gelenket werden. Der innere Anbau der Seele, Einſichten des Verſtandes, Richtigkeit des Herzens und Herrſchaft uͤber ſich ſelbſt ſind Vollkommenheiten, davon nimmer- mehr in irgend einem Staat ein Uebermaß zu befuͤrch- ten iſt. Jn der Wildheit und Barbarey ſind die Menſchen faſt alle einander gleich, die wenigen einzelnen ausgenom- men, die durch ihre hervorſtehenden Naturanlagen ſich auszeichnen. Je mehr die Geſellſchaft in der Kultur fortgeht, deſto ſtaͤrker wird die Verſchiedenheit zwiſchen den Jndividuen, weil der Einfluß der entwickelnden Ur- ſachen vorzuͤglich auf beſondere Staͤnde geleitet wird. Aber je mehr die Kenntniſſe und Kultur unter der Na- tion gemeiner werden, deſto mehr naͤhern ſich auch die Einzelnen wiederum einander. Die Lekture iſt das wirk- ſamſte Mittel zu dieſem Zweck, wenn ſie recht genutzt wird. Hierinn ſind die aͤußerſte Wildheit und die aͤuſ- ſerſte Kultur einander aͤhnlich. Unter den Wilden kann jederman Fuͤrſt und Anfuͤhrer ſeyn, der nur geſunde Glieder hat, und hoͤchſtens ein bischen Mutterwitz oder Munterkeit vor andern voraus. Eben ſo wuͤrde man, wenn die Aufklaͤrung des Verſtandes ſich allgemein ver- breitete, wiederum wie ehemals Generals von den Dreſchdielen, Dictators vom Pfluge und Staatsmaͤn- ner aus den Werkſtaͤten holen koͤnnen. Fuͤnfter

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 708. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/738>, abgerufen am 24.11.2024.