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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
eine Folge von der Verhärtung ist, können hiebey über-
sehen werden. Jn dieser vergrößerten Rigidität, oder
in der verminderten Geschmeidigkeit und Bewegbarkeit
der Theile, bestehet eben das Wesentliche des körperli-
chen Alterns.
Diese ist es, welche nicht zuläßt, daß
die noch thätige und treibende Lebenskraft mit der ehema-
ligen Leichtigkeit die willkürlichen Bewegungen hervor-
bringen kann. Die übrigen Symptome des Altwer-
dens sind Folgen von dieser wachsenden Unbewegbarkeit.
Diese hindert die Absonderungen der Säfte und beson-
ders der Lebensgeister, welche wiederum eine Ursache
wird, die die Rigidität vergrößert. Die Abnahme je-
ner wirksamen Materie macht, daß alle Bewegungen in
der Maschine ermatten, und die schon etwas starrer ge-
wordenen Theile durch das Ansetzen neuer fester Parti-
keln noch mehr sich verhärten. Beides nimmt also ab:
die bewegende Kraft, und die Bewegbarkeit der
Glieder.
Ohne Zweifel die letztere zuerst. Denn sie
ist eine nothwendige Folge von dem Wachsen und selbst
von den Bestrebungen und Wirkungen, die während des
Stillstandes in den Fibern vor sich gehen, wenn noch
kein Grund vorhanden ist, warum die Kraft verringert
seyn sollte. Aber bey welcher von beiden auch die Ab-
nahme anfängt, so hat die eine Ursache die andere zur
Wirkung, die wiederum jene, wie in einem Kreise von
Ursachen und Wirkungen, befördert.

Eben so wenig kann die Abnahme in den See-
lenkräften,
die nämlich das Alter mit sich bringet, als
eine Wiedereinwickelung in diesem Verstande vor-
gestellet werden. An dem Ausdrucke ist nichts gelegen,
wenn nur keine unrichtige Jdee durch ihn veranlasset wird.
Keine Fertigkeit, kein Vermögen, geht in die ersten
Anlagen zurück. Es giebt eine andere Abnahme der
Vermögen, die aus dem Nichtgebrauch entstehet, auf
welche die Jdee von einer Einwickelung mehr passet.

Aber

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
eine Folge von der Verhaͤrtung iſt, koͤnnen hiebey uͤber-
ſehen werden. Jn dieſer vergroͤßerten Rigiditaͤt, oder
in der verminderten Geſchmeidigkeit und Bewegbarkeit
der Theile, beſtehet eben das Weſentliche des koͤrperli-
chen Alterns.
Dieſe iſt es, welche nicht zulaͤßt, daß
die noch thaͤtige und treibende Lebenskraft mit der ehema-
ligen Leichtigkeit die willkuͤrlichen Bewegungen hervor-
bringen kann. Die uͤbrigen Symptome des Altwer-
dens ſind Folgen von dieſer wachſenden Unbewegbarkeit.
Dieſe hindert die Abſonderungen der Saͤfte und beſon-
ders der Lebensgeiſter, welche wiederum eine Urſache
wird, die die Rigiditaͤt vergroͤßert. Die Abnahme je-
ner wirkſamen Materie macht, daß alle Bewegungen in
der Maſchine ermatten, und die ſchon etwas ſtarrer ge-
wordenen Theile durch das Anſetzen neuer feſter Parti-
keln noch mehr ſich verhaͤrten. Beides nimmt alſo ab:
die bewegende Kraft, und die Bewegbarkeit der
Glieder.
Ohne Zweifel die letztere zuerſt. Denn ſie
iſt eine nothwendige Folge von dem Wachſen und ſelbſt
von den Beſtrebungen und Wirkungen, die waͤhrend des
Stillſtandes in den Fibern vor ſich gehen, wenn noch
kein Grund vorhanden iſt, warum die Kraft verringert
ſeyn ſollte. Aber bey welcher von beiden auch die Ab-
nahme anfaͤngt, ſo hat die eine Urſache die andere zur
Wirkung, die wiederum jene, wie in einem Kreiſe von
Urſachen und Wirkungen, befoͤrdert.

Eben ſo wenig kann die Abnahme in den See-
lenkraͤften,
die naͤmlich das Alter mit ſich bringet, als
eine Wiedereinwickelung in dieſem Verſtande vor-
geſtellet werden. An dem Ausdrucke iſt nichts gelegen,
wenn nur keine unrichtige Jdee durch ihn veranlaſſet wird.
Keine Fertigkeit, kein Vermoͤgen, geht in die erſten
Anlagen zuruͤck. Es giebt eine andere Abnahme der
Vermoͤgen, die aus dem Nichtgebrauch entſtehet, auf
welche die Jdee von einer Einwickelung mehr paſſet.

Aber
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[728/0758] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt eine Folge von der Verhaͤrtung iſt, koͤnnen hiebey uͤber- ſehen werden. Jn dieſer vergroͤßerten Rigiditaͤt, oder in der verminderten Geſchmeidigkeit und Bewegbarkeit der Theile, beſtehet eben das Weſentliche des koͤrperli- chen Alterns. Dieſe iſt es, welche nicht zulaͤßt, daß die noch thaͤtige und treibende Lebenskraft mit der ehema- ligen Leichtigkeit die willkuͤrlichen Bewegungen hervor- bringen kann. Die uͤbrigen Symptome des Altwer- dens ſind Folgen von dieſer wachſenden Unbewegbarkeit. Dieſe hindert die Abſonderungen der Saͤfte und beſon- ders der Lebensgeiſter, welche wiederum eine Urſache wird, die die Rigiditaͤt vergroͤßert. Die Abnahme je- ner wirkſamen Materie macht, daß alle Bewegungen in der Maſchine ermatten, und die ſchon etwas ſtarrer ge- wordenen Theile durch das Anſetzen neuer feſter Parti- keln noch mehr ſich verhaͤrten. Beides nimmt alſo ab: die bewegende Kraft, und die Bewegbarkeit der Glieder. Ohne Zweifel die letztere zuerſt. Denn ſie iſt eine nothwendige Folge von dem Wachſen und ſelbſt von den Beſtrebungen und Wirkungen, die waͤhrend des Stillſtandes in den Fibern vor ſich gehen, wenn noch kein Grund vorhanden iſt, warum die Kraft verringert ſeyn ſollte. Aber bey welcher von beiden auch die Ab- nahme anfaͤngt, ſo hat die eine Urſache die andere zur Wirkung, die wiederum jene, wie in einem Kreiſe von Urſachen und Wirkungen, befoͤrdert. Eben ſo wenig kann die Abnahme in den See- lenkraͤften, die naͤmlich das Alter mit ſich bringet, als eine Wiedereinwickelung in dieſem Verſtande vor- geſtellet werden. An dem Ausdrucke iſt nichts gelegen, wenn nur keine unrichtige Jdee durch ihn veranlaſſet wird. Keine Fertigkeit, kein Vermoͤgen, geht in die erſten Anlagen zuruͤck. Es giebt eine andere Abnahme der Vermoͤgen, die aus dem Nichtgebrauch entſtehet, auf welche die Jdee von einer Einwickelung mehr paſſet. Aber

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 728. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/758>, abgerufen am 22.11.2024.