chen, oder auch aus einer innern Beschaffenheit der vor- handenen Spuren, die in ihnen etwas ähnliches ist von Erstarrung oder Steifigkeit in den Fibern und die, so wie vorher (IV. 1.) gesagt worden ist, psychologisch er- klärt werden kann. Die thätige Kraft kann ihre Mun- terkeit und Stärke behalten, und die Vorstellungen für sich so unterscheidbar vorhanden seyn, als die Formen in dem Körper, aber dennoch ihrer innern Beschaffenheit wegen schwerer zu erwecken.
Dieß ist in der Seele, wie in dem Körper, der An- fang von der Abnahme der Kräfte. Wenn jene, der vorhergegebenen Erklärung zufolge, als eine Wir- kung der zu stark in gewissen Hauptzügen aufgehäuften und zu stark vereinigten dunklen Vorstellungen angese- hen wird: so ist sie auch, wie die Steifigkeit in den Fi- bern des Körpers, eine Folge von eben derselbigen Wir- kungsart der Kräfte, wodurch die Vermögen sich entwi- ckeln. Sie wirken über die Grenzen hinaus, wo die Reproducibilität der Jdeen ihr Maximum hat. So etwas ist die Abnahme in dem Menschen, und in dem menschlichen Seelenwesen. Was sie in der Seele selbst ist, davon nachher.
Die erste Folge von dieser Ersteifung der Vor- stellungen ist, daß die Empfänglichkeit der Seele zu neuen Eindrücken schwächer oder stumpfer wird. Die neuen Modifikationen können nicht mehr so leicht und so lebhaft aufgenommen werden, eben weil die vor- handenen Jdeen, an welche sie gereihet werden müssen, sich nicht so leicht darstellen, noch sich an sie anlegen, sie anziehen und dadurch gleichsam in Empfang nehmen. Die Alten vergessen allein aus dieser Ursache so leicht dasjenige, was ihnen begegnet, und dieß um desto mehr, je weiter sie in der Periode des Abnehmens fortgehen. Das Gedächtniß wird schwach, insofern es das Ver- mögen ist die empfangenen Vorstellungen so aufzube-
wahren,
und Entwickelung des Menſchen.
chen, oder auch aus einer innern Beſchaffenheit der vor- handenen Spuren, die in ihnen etwas aͤhnliches iſt von Erſtarrung oder Steifigkeit in den Fibern und die, ſo wie vorher (IV. 1.) geſagt worden iſt, pſychologiſch er- klaͤrt werden kann. Die thaͤtige Kraft kann ihre Mun- terkeit und Staͤrke behalten, und die Vorſtellungen fuͤr ſich ſo unterſcheidbar vorhanden ſeyn, als die Formen in dem Koͤrper, aber dennoch ihrer innern Beſchaffenheit wegen ſchwerer zu erwecken.
Dieß iſt in der Seele, wie in dem Koͤrper, der An- fang von der Abnahme der Kraͤfte. Wenn jene, der vorhergegebenen Erklaͤrung zufolge, als eine Wir- kung der zu ſtark in gewiſſen Hauptzuͤgen aufgehaͤuften und zu ſtark vereinigten dunklen Vorſtellungen angeſe- hen wird: ſo iſt ſie auch, wie die Steifigkeit in den Fi- bern des Koͤrpers, eine Folge von eben derſelbigen Wir- kungsart der Kraͤfte, wodurch die Vermoͤgen ſich entwi- ckeln. Sie wirken uͤber die Grenzen hinaus, wo die Reproducibilitaͤt der Jdeen ihr Maximum hat. So etwas iſt die Abnahme in dem Menſchen, und in dem menſchlichen Seelenweſen. Was ſie in der Seele ſelbſt iſt, davon nachher.
Die erſte Folge von dieſer Erſteifung der Vor- ſtellungen iſt, daß die Empfaͤnglichkeit der Seele zu neuen Eindruͤcken ſchwaͤcher oder ſtumpfer wird. Die neuen Modifikationen koͤnnen nicht mehr ſo leicht und ſo lebhaft aufgenommen werden, eben weil die vor- handenen Jdeen, an welche ſie gereihet werden muͤſſen, ſich nicht ſo leicht darſtellen, noch ſich an ſie anlegen, ſie anziehen und dadurch gleichſam in Empfang nehmen. Die Alten vergeſſen allein aus dieſer Urſache ſo leicht dasjenige, was ihnen begegnet, und dieß um deſto mehr, je weiter ſie in der Periode des Abnehmens fortgehen. Das Gedaͤchtniß wird ſchwach, inſofern es das Ver- moͤgen iſt die empfangenen Vorſtellungen ſo aufzube-
wahren,
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und Entwickelung des Menſchen.
chen, oder auch aus einer innern Beſchaffenheit der vor-
handenen Spuren, die in ihnen etwas aͤhnliches iſt von
Erſtarrung oder Steifigkeit in den Fibern und die, ſo
wie vorher (IV. 1.) geſagt worden iſt, pſychologiſch er-
klaͤrt werden kann. Die thaͤtige Kraft kann ihre Mun-
terkeit und Staͤrke behalten, und die Vorſtellungen fuͤr
ſich ſo unterſcheidbar vorhanden ſeyn, als die Formen in
dem Koͤrper, aber dennoch ihrer innern Beſchaffenheit
wegen ſchwerer zu erwecken.
Dieß iſt in der Seele, wie in dem Koͤrper, der An-
fang von der Abnahme der Kraͤfte. Wenn jene, der
vorhergegebenen Erklaͤrung zufolge, als eine Wir-
kung der zu ſtark in gewiſſen Hauptzuͤgen aufgehaͤuften
und zu ſtark vereinigten dunklen Vorſtellungen angeſe-
hen wird: ſo iſt ſie auch, wie die Steifigkeit in den Fi-
bern des Koͤrpers, eine Folge von eben derſelbigen Wir-
kungsart der Kraͤfte, wodurch die Vermoͤgen ſich entwi-
ckeln. Sie wirken uͤber die Grenzen hinaus, wo die
Reproducibilitaͤt der Jdeen ihr Maximum hat. So
etwas iſt die Abnahme in dem Menſchen, und in dem
menſchlichen Seelenweſen. Was ſie in der Seele ſelbſt
iſt, davon nachher.
Die erſte Folge von dieſer Erſteifung der Vor-
ſtellungen iſt, daß die Empfaͤnglichkeit der Seele
zu neuen Eindruͤcken ſchwaͤcher oder ſtumpfer wird.
Die neuen Modifikationen koͤnnen nicht mehr ſo leicht
und ſo lebhaft aufgenommen werden, eben weil die vor-
handenen Jdeen, an welche ſie gereihet werden muͤſſen,
ſich nicht ſo leicht darſtellen, noch ſich an ſie anlegen, ſie
anziehen und dadurch gleichſam in Empfang nehmen.
Die Alten vergeſſen allein aus dieſer Urſache ſo leicht
dasjenige, was ihnen begegnet, und dieß um deſto mehr,
je weiter ſie in der Periode des Abnehmens fortgehen.
Das Gedaͤchtniß wird ſchwach, inſofern es das Ver-
moͤgen iſt die empfangenen Vorſtellungen ſo aufzube-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 749. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/779>, abgerufen am 22.11.2024.
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