gen fühle und sich ihrer bewußt werde. Der äußere Ein- fluß entzieht sich, womit der Reiz weggeht, ohne den es im Leben nicht thätig ist.
Jn dem körperlichen Bestandtheile des Menschen bestehen die Formen nicht länger, als bis er aufgelöset wird und zergehet. Alsdenn fallen alle Spuren, und was von den ehemaligen Veränderungen übrig ist, von selbst weg. Und wir finden nicht, wenigstens in den beob- achtbaren Theilen des Seelenorgans nicht, daß vor die- ser Zerstörung noch einmal eine Erneuerung ihrer vori- gen Biegsamkeit vor sich gehe. Die Fibern werden nicht von neuem mit einer Lebenskraft durchdrungen, und wieder zum geschmeidigen Organ gemacht. Würde nun dasselbige Schicksal das unkörperliche Wesen treffen, so würde alles das, was an Vorstellungen und Vermögen sich in dem Menschen erhalten hat, so gut als auf immer für ihn verloren seyn. So fruchtbar also der Begriff von den aufbewahrten Vermögen, auf den die vorherge- hende Betrachtung geführet hat, auch seyn mag: so bringt uns solcher doch nur zu der äußersten Pforte der Ein- sicht, die noch zu suchen ist, nämlich wie weit dieselbige Unbiegfamkeit und Schwäche in das Jnnere des See- lenwesens eindringe, und ob und wie ferne unser Jch selbst davon leiden müsse? Die Fackel der Beobachtung verlöscht hier, oder wirft doch nur einen schwachen Schimmer für die weiter gehende Vernunft, die sich am Ende an die Analogie halten muß. Dieß ist die Analo- gie, davon vorher schon Gebrauch gemacht worden ist: die Analogie von der thierischen Natur im Menschen auf die Natur seines Seelenwesens. Jst die Seele nichts mehr, als sie nach der Vorstellung des Herrn Bon- nets ist, nämlich die fühlende und thätige Gehirnskraft: so behält sie keine Spuren ehemaliger Veränderungen, und steht, wenn das ganze Organ aufgelöset ist, welches denn doch nach der bonnetischen Hypothese nicht gesehe-
hen
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
gen fuͤhle und ſich ihrer bewußt werde. Der aͤußere Ein- fluß entzieht ſich, womit der Reiz weggeht, ohne den es im Leben nicht thaͤtig iſt.
Jn dem koͤrperlichen Beſtandtheile des Menſchen beſtehen die Formen nicht laͤnger, als bis er aufgeloͤſet wird und zergehet. Alsdenn fallen alle Spuren, und was von den ehemaligen Veraͤnderungen uͤbrig iſt, von ſelbſt weg. Und wir finden nicht, wenigſtens in den beob- achtbaren Theilen des Seelenorgans nicht, daß vor die- ſer Zerſtoͤrung noch einmal eine Erneuerung ihrer vori- gen Biegſamkeit vor ſich gehe. Die Fibern werden nicht von neuem mit einer Lebenskraft durchdrungen, und wieder zum geſchmeidigen Organ gemacht. Wuͤrde nun daſſelbige Schickſal das unkoͤrperliche Weſen treffen, ſo wuͤrde alles das, was an Vorſtellungen und Vermoͤgen ſich in dem Menſchen erhalten hat, ſo gut als auf immer fuͤr ihn verloren ſeyn. So fruchtbar alſo der Begriff von den aufbewahrten Vermoͤgen, auf den die vorherge- hende Betrachtung gefuͤhret hat, auch ſeyn mag: ſo bringt uns ſolcher doch nur zu der aͤußerſten Pforte der Ein- ſicht, die noch zu ſuchen iſt, naͤmlich wie weit dieſelbige Unbiegfamkeit und Schwaͤche in das Jnnere des See- lenweſens eindringe, und ob und wie ferne unſer Jch ſelbſt davon leiden muͤſſe? Die Fackel der Beobachtung verloͤſcht hier, oder wirft doch nur einen ſchwachen Schimmer fuͤr die weiter gehende Vernunft, die ſich am Ende an die Analogie halten muß. Dieß iſt die Analo- gie, davon vorher ſchon Gebrauch gemacht worden iſt: die Analogie von der thieriſchen Natur im Menſchen auf die Natur ſeines Seelenweſens. Jſt die Seele nichts mehr, als ſie nach der Vorſtellung des Herrn Bon- nets iſt, naͤmlich die fuͤhlende und thaͤtige Gehirnskraft: ſo behaͤlt ſie keine Spuren ehemaliger Veraͤnderungen, und ſteht, wenn das ganze Organ aufgeloͤſet iſt, welches denn doch nach der bonnetiſchen Hypotheſe nicht geſehe-
hen
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
gen fuͤhle und ſich ihrer bewußt werde. Der aͤußere Ein-
fluß entzieht ſich, womit der Reiz weggeht, ohne den
es im Leben nicht thaͤtig iſt.
Jn dem koͤrperlichen Beſtandtheile des Menſchen
beſtehen die Formen nicht laͤnger, als bis er aufgeloͤſet
wird und zergehet. Alsdenn fallen alle Spuren, und was
von den ehemaligen Veraͤnderungen uͤbrig iſt, von ſelbſt
weg. Und wir finden nicht, wenigſtens in den beob-
achtbaren Theilen des Seelenorgans nicht, daß vor die-
ſer Zerſtoͤrung noch einmal eine Erneuerung ihrer vori-
gen Biegſamkeit vor ſich gehe. Die Fibern werden nicht
von neuem mit einer Lebenskraft durchdrungen, und
wieder zum geſchmeidigen Organ gemacht. Wuͤrde nun
daſſelbige Schickſal das unkoͤrperliche Weſen treffen, ſo
wuͤrde alles das, was an Vorſtellungen und Vermoͤgen
ſich in dem Menſchen erhalten hat, ſo gut als auf immer
fuͤr ihn verloren ſeyn. So fruchtbar alſo der Begriff
von den aufbewahrten Vermoͤgen, auf den die vorherge-
hende Betrachtung gefuͤhret hat, auch ſeyn mag: ſo bringt
uns ſolcher doch nur zu der aͤußerſten Pforte der Ein-
ſicht, die noch zu ſuchen iſt, naͤmlich wie weit dieſelbige
Unbiegfamkeit und Schwaͤche in das Jnnere des See-
lenweſens eindringe, und ob und wie ferne unſer Jch
ſelbſt davon leiden muͤſſe? Die Fackel der Beobachtung
verloͤſcht hier, oder wirft doch nur einen ſchwachen
Schimmer fuͤr die weiter gehende Vernunft, die ſich am
Ende an die Analogie halten muß. Dieß iſt die Analo-
gie, davon vorher ſchon Gebrauch gemacht worden iſt:
die Analogie von der thieriſchen Natur im Menſchen
auf die Natur ſeines Seelenweſens. Jſt die Seele nichts
mehr, als ſie nach der Vorſtellung des Herrn Bon-
nets iſt, naͤmlich die fuͤhlende und thaͤtige Gehirnskraft:
ſo behaͤlt ſie keine Spuren ehemaliger Veraͤnderungen,
und ſteht, wenn das ganze Organ aufgeloͤſet iſt, welches
denn doch nach der bonnetiſchen Hypotheſe nicht geſehe-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 760. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/790>, abgerufen am 22.11.2024.
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