lig erweisen ließe. Aber je genauer man auf die Aeus- serungen des innern Lebens in den abnehmenden Jahren acht hat, desto mehr trifft man Beobachtungen an, die mit ihr übereinstimmen und sie unterstützen, und keine, die ihr entgegen sind. So weit ist es wohl nie mit der Ersteifung der weichern Theile im Körper gegangen, daß nicht das Gehirn, oder doch der innere Theil dessel- ben, weich und fließend genug, um sich auf mancherley Arten modificiren zu lassen, geblieben wäre. Laß es der Analogie gemäß seyn, daß sich die Verfestigung durch die ganze Natur ziehe: so ist es doch eben so sehr ihr gemäß anzunehmen, daß die Austrocknung an der Quelle der Säfte am wenigsten und am spätesten be- merkbar werden müsse.
Man findet nicht nur, was vorher schon angeführt ist, daß die Alten noch lange Bestrebungen durch den Körper äußern, wenn sie nicht mehr wirken können, und nur erst aus wiederholten Erfahrungen lernen müs- sen, daß ihr Wollen vergeblich sey, ehe sie davon ab- lassen; sondern auch daß, wenn sie schon sich in sich selbst zurückziehen, "sie dennoch lebhaft ihr Jch, dessen "Wollen und Bestreben, und so gar das Unvermögen, "fühlen und gewahrnehmen, und wohl eben so stark, als "ehemals ihre muntersten Kraftäußerungen." Der Unterschied dieser Selbstgefühle rühret nicht so wohl von dem verschiedenen Grade der Jntension, als von der Ausdehnung und Deutlichkeit her, die von dem Unterschiede der gefühlten Objekte abhängt. Dieß sind in einem Fall lebhafte, allseitige, mannichfaltige Kraftäus- serungen, und ihre zugehörigen Wirkungen in dem Ge- hirn; und in dem andern bloße Bestrebungen, die we- gen der Unbiegsamkeit des Organs keine so deutlich fühl- baren Abdrücke von sich hervorbringen. Und wenn das innere Gefühl selbst stumpf wird, so läßt sich auch diese
Verän-
und Entwickelung des Menſchen.
lig erweiſen ließe. Aber je genauer man auf die Aeuſ- ſerungen des innern Lebens in den abnehmenden Jahren acht hat, deſto mehr trifft man Beobachtungen an, die mit ihr uͤbereinſtimmen und ſie unterſtuͤtzen, und keine, die ihr entgegen ſind. So weit iſt es wohl nie mit der Erſteifung der weichern Theile im Koͤrper gegangen, daß nicht das Gehirn, oder doch der innere Theil deſſel- ben, weich und fließend genug, um ſich auf mancherley Arten modificiren zu laſſen, geblieben waͤre. Laß es der Analogie gemaͤß ſeyn, daß ſich die Verfeſtigung durch die ganze Natur ziehe: ſo iſt es doch eben ſo ſehr ihr gemaͤß anzunehmen, daß die Austrocknung an der Quelle der Saͤfte am wenigſten und am ſpaͤteſten be- merkbar werden muͤſſe.
Man findet nicht nur, was vorher ſchon angefuͤhrt iſt, daß die Alten noch lange Beſtrebungen durch den Koͤrper aͤußern, wenn ſie nicht mehr wirken koͤnnen, und nur erſt aus wiederholten Erfahrungen lernen muͤſ- ſen, daß ihr Wollen vergeblich ſey, ehe ſie davon ab- laſſen; ſondern auch daß, wenn ſie ſchon ſich in ſich ſelbſt zuruͤckziehen, „ſie dennoch lebhaft ihr Jch, deſſen „Wollen und Beſtreben, und ſo gar das Unvermoͤgen, „fuͤhlen und gewahrnehmen, und wohl eben ſo ſtark, als „ehemals ihre munterſten Kraftaͤußerungen.“ Der Unterſchied dieſer Selbſtgefuͤhle ruͤhret nicht ſo wohl von dem verſchiedenen Grade der Jntenſion, als von der Ausdehnung und Deutlichkeit her, die von dem Unterſchiede der gefuͤhlten Objekte abhaͤngt. Dieß ſind in einem Fall lebhafte, allſeitige, mannichfaltige Kraftaͤuſ- ſerungen, und ihre zugehoͤrigen Wirkungen in dem Ge- hirn; und in dem andern bloße Beſtrebungen, die we- gen der Unbiegſamkeit des Organs keine ſo deutlich fuͤhl- baren Abdruͤcke von ſich hervorbringen. Und wenn das innere Gefuͤhl ſelbſt ſtumpf wird, ſo laͤßt ſich auch dieſe
Veraͤn-
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und Entwickelung des Menſchen.
lig erweiſen ließe. Aber je genauer man auf die Aeuſ-
ſerungen des innern Lebens in den abnehmenden Jahren
acht hat, deſto mehr trifft man Beobachtungen an, die
mit ihr uͤbereinſtimmen und ſie unterſtuͤtzen, und keine,
die ihr entgegen ſind. So weit iſt es wohl nie mit der
Erſteifung der weichern Theile im Koͤrper gegangen,
daß nicht das Gehirn, oder doch der innere Theil deſſel-
ben, weich und fließend genug, um ſich auf mancherley
Arten modificiren zu laſſen, geblieben waͤre. Laß es
der Analogie gemaͤß ſeyn, daß ſich die Verfeſtigung
durch die ganze Natur ziehe: ſo iſt es doch eben ſo ſehr
ihr gemaͤß anzunehmen, daß die Austrocknung an der
Quelle der Saͤfte am wenigſten und am ſpaͤteſten be-
merkbar werden muͤſſe.
Man findet nicht nur, was vorher ſchon angefuͤhrt
iſt, daß die Alten noch lange Beſtrebungen durch den
Koͤrper aͤußern, wenn ſie nicht mehr wirken koͤnnen,
und nur erſt aus wiederholten Erfahrungen lernen muͤſ-
ſen, daß ihr Wollen vergeblich ſey, ehe ſie davon ab-
laſſen; ſondern auch daß, wenn ſie ſchon ſich in ſich
ſelbſt zuruͤckziehen, „ſie dennoch lebhaft ihr Jch, deſſen
„Wollen und Beſtreben, und ſo gar das Unvermoͤgen,
„fuͤhlen und gewahrnehmen, und wohl eben ſo ſtark, als
„ehemals ihre munterſten Kraftaͤußerungen.“ Der
Unterſchied dieſer Selbſtgefuͤhle ruͤhret nicht ſo wohl von
dem verſchiedenen Grade der Jntenſion, als von der
Ausdehnung und Deutlichkeit her, die von dem
Unterſchiede der gefuͤhlten Objekte abhaͤngt. Dieß ſind
in einem Fall lebhafte, allſeitige, mannichfaltige Kraftaͤuſ-
ſerungen, und ihre zugehoͤrigen Wirkungen in dem Ge-
hirn; und in dem andern bloße Beſtrebungen, die we-
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baren Abdruͤcke von ſich hervorbringen. Und wenn das
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 765. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/795>, abgerufen am 22.11.2024.
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