bequemer und angenehmer zu machen, gewissermaßen allen übrigen, die näher auf die Erziehung, die Anfüh- rung und den Unterricht abzielen, vorgehen. Man biete keinem Volk den Unterricht und die Schulen an, so lan- ge nicht dafür gesorgt ist, daß es sich ihrer bedienen kann, ohne dafür zu hungern, nackt zu gehen, oder in Skla- verey zu schmachten. Jndessen giebt es auch auf der andern Seite hierinn ein Aeußerstes. Die körperlichen Bedürfnisse müssen nicht ganz fehlen. Sie sind der erste, und bey den meisten auch in der Folge noch, der mächtigste Reiz der Natur gegen die Trägheit. Jm Ganzen ist die vortheilhafteste Lage der Menschheit da, wo die Erde gebauet seyn will im Schweiß des Ange- sichts, aber die Arbeit auch mit noch etwas mehr belohnt, als mit dem blos Nothwendigen; besser als da, wo sie kaum das Nöthigste sich abzwingen läßt; und auch als da, wo sie freywillig ohne Mühe alles hergiebt.
5.
Wenn das thierische Leben besorget ist, so folgen die Bedürfnisse der Vorstellungskraft und des Verstandes. Diese entwickeln sich aus den ersten sinnlichen und thie- rischen. Wenn der Mensch satt und ruhig ist, will er auch innerlich unterhalten seyn. Aber da er im Anfange die Beschäfftigungen des Selbstgefühls, der Vorstel- lungskraft und des Denkens mehr für etwas ansieht, das zu seinen thierischen Absichten nothwendig ist, als was für sich selbst einen Werth haben und ihm ein be- sonderes Leben und Wohl gewähren könne; und da der Geschmack bey dem größten Haufen, in dem nicht we- nigstens Ehr- und Ruhmsucht angefachet wird, fast be- ständig diesen überwiegenden Hang zu dem Vergnügen der gröbern Sinne behält: so gehören zu den Mitteln der Entwickelung diejenigen, die in ihm die feinern Be- dürfnisse der Empfindsamkeit, der Phantasie und des Verstandes erregen, und ihm solche zu wichtigen Ange-
legen-
C c c 5
und Entwickelung des Menſchen.
bequemer und angenehmer zu machen, gewiſſermaßen allen uͤbrigen, die naͤher auf die Erziehung, die Anfuͤh- rung und den Unterricht abzielen, vorgehen. Man biete keinem Volk den Unterricht und die Schulen an, ſo lan- ge nicht dafuͤr geſorgt iſt, daß es ſich ihrer bedienen kann, ohne dafuͤr zu hungern, nackt zu gehen, oder in Skla- verey zu ſchmachten. Jndeſſen giebt es auch auf der andern Seite hierinn ein Aeußerſtes. Die koͤrperlichen Beduͤrfniſſe muͤſſen nicht ganz fehlen. Sie ſind der erſte, und bey den meiſten auch in der Folge noch, der maͤchtigſte Reiz der Natur gegen die Traͤgheit. Jm Ganzen iſt die vortheilhafteſte Lage der Menſchheit da, wo die Erde gebauet ſeyn will im Schweiß des Ange- ſichts, aber die Arbeit auch mit noch etwas mehr belohnt, als mit dem blos Nothwendigen; beſſer als da, wo ſie kaum das Noͤthigſte ſich abzwingen laͤßt; und auch als da, wo ſie freywillig ohne Muͤhe alles hergiebt.
5.
Wenn das thieriſche Leben beſorget iſt, ſo folgen die Beduͤrfniſſe der Vorſtellungskraft und des Verſtandes. Dieſe entwickeln ſich aus den erſten ſinnlichen und thie- riſchen. Wenn der Menſch ſatt und ruhig iſt, will er auch innerlich unterhalten ſeyn. Aber da er im Anfange die Beſchaͤfftigungen des Selbſtgefuͤhls, der Vorſtel- lungskraft und des Denkens mehr fuͤr etwas anſieht, das zu ſeinen thieriſchen Abſichten nothwendig iſt, als was fuͤr ſich ſelbſt einen Werth haben und ihm ein be- ſonderes Leben und Wohl gewaͤhren koͤnne; und da der Geſchmack bey dem groͤßten Haufen, in dem nicht we- nigſtens Ehr- und Ruhmſucht angefachet wird, faſt be- ſtaͤndig dieſen uͤberwiegenden Hang zu dem Vergnuͤgen der groͤbern Sinne behaͤlt: ſo gehoͤren zu den Mitteln der Entwickelung diejenigen, die in ihm die feinern Be- duͤrfniſſe der Empfindſamkeit, der Phantaſie und des Verſtandes erregen, und ihm ſolche zu wichtigen Ange-
legen-
C c c 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0807"n="777"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">und Entwickelung des Menſchen.</hi></fw><lb/>
bequemer und angenehmer zu machen, gewiſſermaßen<lb/>
allen uͤbrigen, die naͤher auf die Erziehung, die Anfuͤh-<lb/>
rung und den Unterricht abzielen, vorgehen. Man biete<lb/>
keinem Volk den Unterricht und die Schulen an, ſo lan-<lb/>
ge nicht dafuͤr geſorgt iſt, daß es ſich ihrer bedienen kann,<lb/>
ohne dafuͤr zu hungern, nackt zu gehen, oder in Skla-<lb/>
verey zu ſchmachten. Jndeſſen giebt es auch auf der<lb/>
andern Seite hierinn ein Aeußerſtes. Die koͤrperlichen<lb/>
Beduͤrfniſſe muͤſſen nicht ganz fehlen. Sie ſind der<lb/>
erſte, und bey den meiſten auch in der Folge noch, der<lb/>
maͤchtigſte Reiz der Natur gegen die Traͤgheit. Jm<lb/>
Ganzen iſt die vortheilhafteſte Lage der Menſchheit da,<lb/>
wo die Erde gebauet ſeyn will im Schweiß des Ange-<lb/>ſichts, aber die Arbeit auch mit noch etwas mehr belohnt,<lb/>
als mit dem blos Nothwendigen; beſſer als da, wo ſie<lb/>
kaum das Noͤthigſte ſich abzwingen laͤßt; und auch als<lb/>
da, wo ſie freywillig ohne Muͤhe alles hergiebt.</p></div><lb/><divn="3"><head>5.</head><lb/><p>Wenn das thieriſche Leben beſorget iſt, ſo folgen die<lb/>
Beduͤrfniſſe der Vorſtellungskraft und des Verſtandes.<lb/>
Dieſe entwickeln ſich aus den erſten ſinnlichen und thie-<lb/>
riſchen. Wenn der Menſch ſatt und ruhig iſt, will er<lb/>
auch innerlich unterhalten ſeyn. Aber da er im Anfange<lb/>
die Beſchaͤfftigungen des Selbſtgefuͤhls, der Vorſtel-<lb/>
lungskraft und des Denkens mehr fuͤr etwas anſieht,<lb/>
das zu ſeinen thieriſchen Abſichten nothwendig iſt, als<lb/>
was fuͤr ſich ſelbſt einen Werth haben und ihm ein be-<lb/>ſonderes Leben und Wohl gewaͤhren koͤnne; und da der<lb/>
Geſchmack bey dem groͤßten Haufen, in dem nicht we-<lb/>
nigſtens Ehr- und Ruhmſucht angefachet wird, faſt be-<lb/>ſtaͤndig dieſen uͤberwiegenden Hang zu dem Vergnuͤgen<lb/>
der groͤbern Sinne behaͤlt: ſo gehoͤren zu den Mitteln<lb/>
der Entwickelung diejenigen, die in ihm die feinern Be-<lb/>
duͤrfniſſe der Empfindſamkeit, der Phantaſie und des<lb/>
Verſtandes erregen, und ihm ſolche zu wichtigen Ange-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">C c c 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">legen-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[777/0807]
und Entwickelung des Menſchen.
bequemer und angenehmer zu machen, gewiſſermaßen
allen uͤbrigen, die naͤher auf die Erziehung, die Anfuͤh-
rung und den Unterricht abzielen, vorgehen. Man biete
keinem Volk den Unterricht und die Schulen an, ſo lan-
ge nicht dafuͤr geſorgt iſt, daß es ſich ihrer bedienen kann,
ohne dafuͤr zu hungern, nackt zu gehen, oder in Skla-
verey zu ſchmachten. Jndeſſen giebt es auch auf der
andern Seite hierinn ein Aeußerſtes. Die koͤrperlichen
Beduͤrfniſſe muͤſſen nicht ganz fehlen. Sie ſind der
erſte, und bey den meiſten auch in der Folge noch, der
maͤchtigſte Reiz der Natur gegen die Traͤgheit. Jm
Ganzen iſt die vortheilhafteſte Lage der Menſchheit da,
wo die Erde gebauet ſeyn will im Schweiß des Ange-
ſichts, aber die Arbeit auch mit noch etwas mehr belohnt,
als mit dem blos Nothwendigen; beſſer als da, wo ſie
kaum das Noͤthigſte ſich abzwingen laͤßt; und auch als
da, wo ſie freywillig ohne Muͤhe alles hergiebt.
5.
Wenn das thieriſche Leben beſorget iſt, ſo folgen die
Beduͤrfniſſe der Vorſtellungskraft und des Verſtandes.
Dieſe entwickeln ſich aus den erſten ſinnlichen und thie-
riſchen. Wenn der Menſch ſatt und ruhig iſt, will er
auch innerlich unterhalten ſeyn. Aber da er im Anfange
die Beſchaͤfftigungen des Selbſtgefuͤhls, der Vorſtel-
lungskraft und des Denkens mehr fuͤr etwas anſieht,
das zu ſeinen thieriſchen Abſichten nothwendig iſt, als
was fuͤr ſich ſelbſt einen Werth haben und ihm ein be-
ſonderes Leben und Wohl gewaͤhren koͤnne; und da der
Geſchmack bey dem groͤßten Haufen, in dem nicht we-
nigſtens Ehr- und Ruhmſucht angefachet wird, faſt be-
ſtaͤndig dieſen uͤberwiegenden Hang zu dem Vergnuͤgen
der groͤbern Sinne behaͤlt: ſo gehoͤren zu den Mitteln
der Entwickelung diejenigen, die in ihm die feinern Be-
duͤrfniſſe der Empfindſamkeit, der Phantaſie und des
Verſtandes erregen, und ihm ſolche zu wichtigen Ange-
legen-
C c c 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 777. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/807>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.