Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität legenheiten machen können. Dieß thun sie aber, indemsie durch ihren Einfluß ihn neue Ergötzungen kennen lehren. Hier ist zuerst die Stelle der Künste, am mei- sten der schönen, aber auch der mechanischen, insoferne sie die Einbildungskraft reizen, wenn gleich ihre Ein- drücke noch mehr stark und verwirrt, als fein und ent- wickelt sind. So erfolgt der Uebergang, von dem Ge- schmack an dem bloß thierischen Wohl, zum Geschmack an den Gütern der Einbildungskraft und der feinern Empfindsamkeit. Dieser ist für sich schon wichtig, und auch natürlich. Viele Jndividuen kommen bis dahin; und die daraus entspringende Ausbildung kann bey ei- nem Volke sehr allgemein werden, obgleich selten in sol- cher Maße, als es zu der Zeit in Griechenland war, da auch der Pöbel die Schönheiten der Redekunst zu beurtheilen wußte. Jeder Mensch von gesundem natür- lichem Verstande ist der angenehmen Empfindungen fä- hig, welche Ordnung, Zierlichkeit, Schönheit der Na- tur, die Harmonie der Töne, der Anblick der Gemälde und Statuen, und die übrigen Wirkungen der schönen Künste hervorbringen. Es verfolge ihn nur die Sorge für seinen und der Seinigen Unterhalt nicht; man lasse seinem Geist einige sorgenfreye Muße; und halte ihm dann Gegenstände vor, die ihn rühren, besonders sol- che, die, indem sie belustigen, zugleich auch von einer Seite ihm als nützlich zum bequemern Leben sich darstel- len, und ihm auch darum interessant werden: so wird sich die Neubegierde äußern, es wird ein Bedürfniß werden mehr zu erfahren, mehr zu lernen und mehr zu wissen, und Geschichte und Künste werden Lieblings- kenntnisse seyn. Wenn der niedrige Haufe des Volks einigen so stumpf am Verstande, so unbiegsam und so empfindungslos bey allem, was nicht den thierischen Sinn rühret, vorgekommen ist, daß es ihnen geschie- nen, als wenn sich weiter nichts mit ihm anfangen lasse, als
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt legenheiten machen koͤnnen. Dieß thun ſie aber, indemſie durch ihren Einfluß ihn neue Ergoͤtzungen kennen lehren. Hier iſt zuerſt die Stelle der Kuͤnſte, am mei- ſten der ſchoͤnen, aber auch der mechaniſchen, inſoferne ſie die Einbildungskraft reizen, wenn gleich ihre Ein- druͤcke noch mehr ſtark und verwirrt, als fein und ent- wickelt ſind. So erfolgt der Uebergang, von dem Ge- ſchmack an dem bloß thieriſchen Wohl, zum Geſchmack an den Guͤtern der Einbildungskraft und der feinern Empfindſamkeit. Dieſer iſt fuͤr ſich ſchon wichtig, und auch natuͤrlich. Viele Jndividuen kommen bis dahin; und die daraus entſpringende Ausbildung kann bey ei- nem Volke ſehr allgemein werden, obgleich ſelten in ſol- cher Maße, als es zu der Zeit in Griechenland war, da auch der Poͤbel die Schoͤnheiten der Redekunſt zu beurtheilen wußte. Jeder Menſch von geſundem natuͤr- lichem Verſtande iſt der angenehmen Empfindungen faͤ- hig, welche Ordnung, Zierlichkeit, Schoͤnheit der Na- tur, die Harmonie der Toͤne, der Anblick der Gemaͤlde und Statuen, und die uͤbrigen Wirkungen der ſchoͤnen Kuͤnſte hervorbringen. Es verfolge ihn nur die Sorge fuͤr ſeinen und der Seinigen Unterhalt nicht; man laſſe ſeinem Geiſt einige ſorgenfreye Muße; und halte ihm dann Gegenſtaͤnde vor, die ihn ruͤhren, beſonders ſol- che, die, indem ſie beluſtigen, zugleich auch von einer Seite ihm als nuͤtzlich zum bequemern Leben ſich darſtel- len, und ihm auch darum intereſſant werden: ſo wird ſich die Neubegierde aͤußern, es wird ein Beduͤrfniß werden mehr zu erfahren, mehr zu lernen und mehr zu wiſſen, und Geſchichte und Kuͤnſte werden Lieblings- kenntniſſe ſeyn. Wenn der niedrige Haufe des Volks einigen ſo ſtumpf am Verſtande, ſo unbiegſam und ſo empfindungslos bey allem, was nicht den thieriſchen Sinn ruͤhret, vorgekommen iſt, daß es ihnen geſchie- nen, als wenn ſich weiter nichts mit ihm anfangen laſſe, als
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ſie durch ihren Einfluß ihn neue Ergoͤtzungen kennen
lehren. Hier iſt zuerſt die Stelle der Kuͤnſte, am mei-
ſten der ſchoͤnen, aber auch der mechaniſchen, inſoferne
ſie die Einbildungskraft reizen, wenn gleich ihre Ein-
druͤcke noch mehr ſtark und verwirrt, als fein und ent-
wickelt ſind. So erfolgt der Uebergang, von dem Ge-
ſchmack an dem bloß thieriſchen Wohl, zum Geſchmack
an den Guͤtern der Einbildungskraft und der feinern
Empfindſamkeit. Dieſer iſt fuͤr ſich ſchon wichtig, und
auch natuͤrlich. Viele Jndividuen kommen bis dahin;
und die daraus entſpringende Ausbildung kann bey ei-
nem Volke ſehr allgemein werden, obgleich ſelten in ſol-
cher Maße, als es zu der Zeit in Griechenland war,
da auch der Poͤbel die Schoͤnheiten der Redekunſt zu
beurtheilen wußte. Jeder Menſch von geſundem natuͤr-
lichem Verſtande iſt der angenehmen Empfindungen faͤ-
hig, welche Ordnung, Zierlichkeit, Schoͤnheit der Na-
tur, die Harmonie der Toͤne, der Anblick der Gemaͤlde
und Statuen, und die uͤbrigen Wirkungen der ſchoͤnen
Kuͤnſte hervorbringen. Es verfolge ihn nur die Sorge
fuͤr ſeinen und der Seinigen Unterhalt nicht; man laſſe
ſeinem Geiſt einige ſorgenfreye Muße; und halte ihm
dann Gegenſtaͤnde vor, die ihn ruͤhren, beſonders ſol-
che, die, indem ſie beluſtigen, zugleich auch von einer
Seite ihm als nuͤtzlich zum bequemern Leben ſich darſtel-
len, und ihm auch darum intereſſant werden: ſo wird
ſich die Neubegierde aͤußern, es wird ein Beduͤrfniß
werden mehr zu erfahren, mehr zu lernen und mehr zu
wiſſen, und Geſchichte und Kuͤnſte werden Lieblings-
kenntniſſe ſeyn. Wenn der niedrige Haufe des Volks
einigen ſo ſtumpf am Verſtande, ſo unbiegſam und ſo
empfindungslos bey allem, was nicht den thieriſchen
Sinn ruͤhret, vorgekommen iſt, daß es ihnen geſchie-
nen, als wenn ſich weiter nichts mit ihm anfangen laſſe,
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