tern, und immer mehr Licht und Aufklärung über die Menschheit bringen.
Allein es giebt noch ein Haupterfoderniß mehr. Es erfüllet die Bestimmung des Menschen nicht, wenn man ihn zu einem gutgezogenen und glücklichen Thiere macht. Er sollte ein glückliches selbstthätiges Wesen werden. Dieser Zweck erfodert, daß ihm auch so viele äußere Unabhängigkeit und Freyheit in seinen Handlun- gen gelassen werde, als das allgemeine Wohl erlauben will. Ohne diese äußerliche Bürgerfreyheit erstickt auch die Freyheit des Verstandes im Denken, welche ohnedieß nur bey wenigen der Weg ist, der zu Erhöhung der Selbstthätigkeit der Seele genommen werden kann. Für sich ist es freylich möglich, daß die Menschheit sich auch in der Sklaverey entwickele. Aber Seelen, wie des Epiktets, sind selten. Bey den meisten fällt die Frey- heit des Geistes von selbst weg, wenn der äußere Mensch gefesselt ist. Man mag die Vortheile, die der Geist aus der Unterdrückung ziehen kann, berechnen wie man will, so entstehet endlich das Resultat, worauf Stern durch den Staar, der aus dem Bauer heraus wollte, geführet ward. Sklaverey unterdrücket Muth und Thätigkeit. Aber wenn man glaubet, es gebe nur in Republiken das Klima, wo diese fruchtbare Witterung für die Menschheit gefunden werde, so hat man zu- verläßig die Sache zu einseitig beurtheilet. Mag es seyn, daß gewisse Regierungsformen für sich schädlich sind, wie es der Despotismus unläugbar ist; daß an- dere bestimmten Staaten, Ländern, Völkern, nach ihrer jezigen Denkungsart nicht angemessen sind; der Unterscheid würde zuletzt davon abhangen, wie viel leichter und natürlicher die Menschheit in der einen als in der andern erniedriget und verschlimmert werde: so ist es doch ein durch die Geschichte bestätigter Grundsatz, daß es nicht so wohl die Form der Regierung als die
Art
und Entwickelung des Menſchen.
tern, und immer mehr Licht und Aufklaͤrung uͤber die Menſchheit bringen.
Allein es giebt noch ein Haupterfoderniß mehr. Es erfuͤllet die Beſtimmung des Menſchen nicht, wenn man ihn zu einem gutgezogenen und gluͤcklichen Thiere macht. Er ſollte ein gluͤckliches ſelbſtthaͤtiges Weſen werden. Dieſer Zweck erfodert, daß ihm auch ſo viele aͤußere Unabhaͤngigkeit und Freyheit in ſeinen Handlun- gen gelaſſen werde, als das allgemeine Wohl erlauben will. Ohne dieſe aͤußerliche Buͤrgerfreyheit erſtickt auch die Freyheit des Verſtandes im Denken, welche ohnedieß nur bey wenigen der Weg iſt, der zu Erhoͤhung der Selbſtthaͤtigkeit der Seele genommen werden kann. Fuͤr ſich iſt es freylich moͤglich, daß die Menſchheit ſich auch in der Sklaverey entwickele. Aber Seelen, wie des Epiktets, ſind ſelten. Bey den meiſten faͤllt die Frey- heit des Geiſtes von ſelbſt weg, wenn der aͤußere Menſch gefeſſelt iſt. Man mag die Vortheile, die der Geiſt aus der Unterdruͤckung ziehen kann, berechnen wie man will, ſo entſtehet endlich das Reſultat, worauf Stern durch den Staar, der aus dem Bauer heraus wollte, gefuͤhret ward. Sklaverey unterdruͤcket Muth und Thaͤtigkeit. Aber wenn man glaubet, es gebe nur in Republiken das Klima, wo dieſe fruchtbare Witterung fuͤr die Menſchheit gefunden werde, ſo hat man zu- verlaͤßig die Sache zu einſeitig beurtheilet. Mag es ſeyn, daß gewiſſe Regierungsformen fuͤr ſich ſchaͤdlich ſind, wie es der Deſpotismus unlaͤugbar iſt; daß an- dere beſtimmten Staaten, Laͤndern, Voͤlkern, nach ihrer jezigen Denkungsart nicht angemeſſen ſind; der Unterſcheid wuͤrde zuletzt davon abhangen, wie viel leichter und natuͤrlicher die Menſchheit in der einen als in der andern erniedriget und verſchlimmert werde: ſo iſt es doch ein durch die Geſchichte beſtaͤtigter Grundſatz, daß es nicht ſo wohl die Form der Regierung als die
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und Entwickelung des Menſchen.
tern, und immer mehr Licht und Aufklaͤrung uͤber die
Menſchheit bringen.
Allein es giebt noch ein Haupterfoderniß mehr.
Es erfuͤllet die Beſtimmung des Menſchen nicht, wenn
man ihn zu einem gutgezogenen und gluͤcklichen Thiere
macht. Er ſollte ein gluͤckliches ſelbſtthaͤtiges Weſen
werden. Dieſer Zweck erfodert, daß ihm auch ſo viele
aͤußere Unabhaͤngigkeit und Freyheit in ſeinen Handlun-
gen gelaſſen werde, als das allgemeine Wohl erlauben
will. Ohne dieſe aͤußerliche Buͤrgerfreyheit erſtickt auch
die Freyheit des Verſtandes im Denken, welche ohnedieß
nur bey wenigen der Weg iſt, der zu Erhoͤhung der
Selbſtthaͤtigkeit der Seele genommen werden kann. Fuͤr
ſich iſt es freylich moͤglich, daß die Menſchheit ſich auch
in der Sklaverey entwickele. Aber Seelen, wie des
Epiktets, ſind ſelten. Bey den meiſten faͤllt die Frey-
heit des Geiſtes von ſelbſt weg, wenn der aͤußere Menſch
gefeſſelt iſt. Man mag die Vortheile, die der Geiſt aus
der Unterdruͤckung ziehen kann, berechnen wie man
will, ſo entſtehet endlich das Reſultat, worauf Stern
durch den Staar, der aus dem Bauer heraus wollte,
gefuͤhret ward. Sklaverey unterdruͤcket Muth und
Thaͤtigkeit. Aber wenn man glaubet, es gebe nur in
Republiken das Klima, wo dieſe fruchtbare Witterung
fuͤr die Menſchheit gefunden werde, ſo hat man zu-
verlaͤßig die Sache zu einſeitig beurtheilet. Mag es
ſeyn, daß gewiſſe Regierungsformen fuͤr ſich ſchaͤdlich
ſind, wie es der Deſpotismus unlaͤugbar iſt; daß an-
dere beſtimmten Staaten, Laͤndern, Voͤlkern, nach
ihrer jezigen Denkungsart nicht angemeſſen ſind;
der Unterſcheid wuͤrde zuletzt davon abhangen, wie viel
leichter und natuͤrlicher die Menſchheit in der einen als
in der andern erniedriget und verſchlimmert werde: ſo
iſt es doch ein durch die Geſchichte beſtaͤtigter Grundſatz,
daß es nicht ſo wohl die Form der Regierung als die
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 783. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/813>, abgerufen am 24.11.2024.
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