Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
Art sey, wie sie verwaltet wird, wovon ihr Gutes und
ihr Schlimmes abhängt. Es hat Despotismus genug
in Freystaaten gegeben, der die natürliche Freyheit und
das Eigenthum des Bürgers wenig geachtet. Dage-
gen hat der Unterthan in Monarchien wahre Freyheit
genossen, und geniesset sie noch, unter der Regierung
der Gesetze, und was die Hauptsache ist, (denn sonsten
giebt es auch eine Sklaverey unter Gesetzen) unter der
Regierung solcher Gesetze, welche die natürlichen Rechte,
Besitzungen und Freyheiten des Bürgers als ein Heilig-
thum ansehen, worinn, das abgerechnet, was zu dem
gemeinen Besten aufgeopfert werden muß und wobey
doch die Einzelnen am Ende gewinnen, außer dem Noth-
fall kein Eingriff geschehen darf. Je mehr die Auf-
klärung des Verstandes und die Freyheit des Geistes zu-
nimmt, desto mehr, läßt sich auch hoffen, werde diese Mil-
de der Regierungen allgemeiner werden.

7.

Dieß sind schöne Möglichkeiten. Das Bild von
dem künftigen Zustande der Menschheit, das sie uns
zeigen, würde ungemein reizend seyn, wenn jemand Lust
hätte es auszumalen. Viele Menschenfreunde haben
hierauf ihre Vorhersagung gegründet, die Kultur der
Menschheit werde noch größer und allgemeiner werden,
als sie jemalen auf der Erde gewesen ist. Aber sollte ihr
edles Herz, welches vor andern so leicht das Gute hoffet,
das es selbst zu leisten willig ist, ihre Aufmerksamkeit
nicht zu weit von den großen Hindernissen abgezogen
haben, die jenen wirkenden Ursachen entgegenstehen?
Wozu kann ein einzelner Mensch gemacht werden? Wel-
cher Entwickelung ist er fähig; welcher Aufklärung und
welches Wohls für sich allein genommen? Dieß ist eine
andre Frage, als die folgende: was kann aus der gan-
zen Menschheit, aus dem ganzen Jnbegriff aller Jndivi-
duen werden, die nebeneinander auf der Erde zu ver-

voll-

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
Art ſey, wie ſie verwaltet wird, wovon ihr Gutes und
ihr Schlimmes abhaͤngt. Es hat Deſpotismus genug
in Freyſtaaten gegeben, der die natuͤrliche Freyheit und
das Eigenthum des Buͤrgers wenig geachtet. Dage-
gen hat der Unterthan in Monarchien wahre Freyheit
genoſſen, und genieſſet ſie noch, unter der Regierung
der Geſetze, und was die Hauptſache iſt, (denn ſonſten
giebt es auch eine Sklaverey unter Geſetzen) unter der
Regierung ſolcher Geſetze, welche die natuͤrlichen Rechte,
Beſitzungen und Freyheiten des Buͤrgers als ein Heilig-
thum anſehen, worinn, das abgerechnet, was zu dem
gemeinen Beſten aufgeopfert werden muß und wobey
doch die Einzelnen am Ende gewinnen, außer dem Noth-
fall kein Eingriff geſchehen darf. Je mehr die Auf-
klaͤrung des Verſtandes und die Freyheit des Geiſtes zu-
nimmt, deſto mehr, laͤßt ſich auch hoffen, werde dieſe Mil-
de der Regierungen allgemeiner werden.

7.

Dieß ſind ſchoͤne Moͤglichkeiten. Das Bild von
dem kuͤnftigen Zuſtande der Menſchheit, das ſie uns
zeigen, wuͤrde ungemein reizend ſeyn, wenn jemand Luſt
haͤtte es auszumalen. Viele Menſchenfreunde haben
hierauf ihre Vorherſagung gegruͤndet, die Kultur der
Menſchheit werde noch groͤßer und allgemeiner werden,
als ſie jemalen auf der Erde geweſen iſt. Aber ſollte ihr
edles Herz, welches vor andern ſo leicht das Gute hoffet,
das es ſelbſt zu leiſten willig iſt, ihre Aufmerkſamkeit
nicht zu weit von den großen Hinderniſſen abgezogen
haben, die jenen wirkenden Urſachen entgegenſtehen?
Wozu kann ein einzelner Menſch gemacht werden? Wel-
cher Entwickelung iſt er faͤhig; welcher Aufklaͤrung und
welches Wohls fuͤr ſich allein genommen? Dieß iſt eine
andre Frage, als die folgende: was kann aus der gan-
zen Menſchheit, aus dem ganzen Jnbegriff aller Jndivi-
duen werden, die nebeneinander auf der Erde zu ver-

voll-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0814" n="784"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIV.</hi> Ver&#x017F;. Ueber die Perfektibilita&#x0364;t</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">Art</hi> &#x017F;ey, wie &#x017F;ie verwaltet wird, wovon ihr Gutes und<lb/>
ihr Schlimmes abha&#x0364;ngt. Es hat De&#x017F;potismus genug<lb/>
in Frey&#x017F;taaten gegeben, der die natu&#x0364;rliche Freyheit und<lb/>
das Eigenthum des Bu&#x0364;rgers wenig geachtet. Dage-<lb/>
gen hat der Unterthan in Monarchien wahre Freyheit<lb/>
geno&#x017F;&#x017F;en, und genie&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ie noch, unter der Regierung<lb/>
der Ge&#x017F;etze, und was die Haupt&#x017F;ache i&#x017F;t, (denn &#x017F;on&#x017F;ten<lb/>
giebt es auch eine Sklaverey unter Ge&#x017F;etzen) unter der<lb/>
Regierung &#x017F;olcher Ge&#x017F;etze, welche die natu&#x0364;rlichen Rechte,<lb/>
Be&#x017F;itzungen und Freyheiten des Bu&#x0364;rgers als ein Heilig-<lb/>
thum an&#x017F;ehen, worinn, das abgerechnet, was zu dem<lb/>
gemeinen Be&#x017F;ten aufgeopfert werden muß und wobey<lb/>
doch die Einzelnen am Ende gewinnen, außer dem Noth-<lb/>
fall kein Eingriff ge&#x017F;chehen darf. Je mehr die Auf-<lb/>
kla&#x0364;rung des Ver&#x017F;tandes und die Freyheit des Gei&#x017F;tes zu-<lb/>
nimmt, de&#x017F;to mehr, la&#x0364;ßt &#x017F;ich auch hoffen, werde die&#x017F;e Mil-<lb/>
de der Regierungen allgemeiner werden.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>7.</head><lb/>
            <p>Dieß &#x017F;ind &#x017F;cho&#x0364;ne Mo&#x0364;glichkeiten. Das Bild von<lb/>
dem ku&#x0364;nftigen Zu&#x017F;tande der Men&#x017F;chheit, das &#x017F;ie uns<lb/>
zeigen, wu&#x0364;rde ungemein reizend &#x017F;eyn, wenn jemand Lu&#x017F;t<lb/>
ha&#x0364;tte es auszumalen. Viele Men&#x017F;chenfreunde haben<lb/>
hierauf ihre Vorher&#x017F;agung gegru&#x0364;ndet, die Kultur der<lb/>
Men&#x017F;chheit werde noch gro&#x0364;ßer und allgemeiner werden,<lb/>
als &#x017F;ie jemalen auf der Erde gewe&#x017F;en i&#x017F;t. Aber &#x017F;ollte ihr<lb/>
edles Herz, welches vor andern &#x017F;o leicht das Gute hoffet,<lb/>
das es &#x017F;elb&#x017F;t zu lei&#x017F;ten willig i&#x017F;t, ihre Aufmerk&#x017F;amkeit<lb/>
nicht zu weit von den großen Hinderni&#x017F;&#x017F;en abgezogen<lb/>
haben, die jenen wirkenden Ur&#x017F;achen entgegen&#x017F;tehen?<lb/>
Wozu kann ein einzelner Men&#x017F;ch gemacht werden? Wel-<lb/>
cher Entwickelung i&#x017F;t er fa&#x0364;hig; welcher Aufkla&#x0364;rung und<lb/>
welches Wohls fu&#x0364;r &#x017F;ich allein genommen? Dieß i&#x017F;t eine<lb/>
andre Frage, als die folgende: was kann aus der gan-<lb/>
zen Men&#x017F;chheit, aus dem ganzen Jnbegriff aller Jndivi-<lb/>
duen werden, die nebeneinander auf der Erde zu ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">voll-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[784/0814] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt Art ſey, wie ſie verwaltet wird, wovon ihr Gutes und ihr Schlimmes abhaͤngt. Es hat Deſpotismus genug in Freyſtaaten gegeben, der die natuͤrliche Freyheit und das Eigenthum des Buͤrgers wenig geachtet. Dage- gen hat der Unterthan in Monarchien wahre Freyheit genoſſen, und genieſſet ſie noch, unter der Regierung der Geſetze, und was die Hauptſache iſt, (denn ſonſten giebt es auch eine Sklaverey unter Geſetzen) unter der Regierung ſolcher Geſetze, welche die natuͤrlichen Rechte, Beſitzungen und Freyheiten des Buͤrgers als ein Heilig- thum anſehen, worinn, das abgerechnet, was zu dem gemeinen Beſten aufgeopfert werden muß und wobey doch die Einzelnen am Ende gewinnen, außer dem Noth- fall kein Eingriff geſchehen darf. Je mehr die Auf- klaͤrung des Verſtandes und die Freyheit des Geiſtes zu- nimmt, deſto mehr, laͤßt ſich auch hoffen, werde dieſe Mil- de der Regierungen allgemeiner werden. 7. Dieß ſind ſchoͤne Moͤglichkeiten. Das Bild von dem kuͤnftigen Zuſtande der Menſchheit, das ſie uns zeigen, wuͤrde ungemein reizend ſeyn, wenn jemand Luſt haͤtte es auszumalen. Viele Menſchenfreunde haben hierauf ihre Vorherſagung gegruͤndet, die Kultur der Menſchheit werde noch groͤßer und allgemeiner werden, als ſie jemalen auf der Erde geweſen iſt. Aber ſollte ihr edles Herz, welches vor andern ſo leicht das Gute hoffet, das es ſelbſt zu leiſten willig iſt, ihre Aufmerkſamkeit nicht zu weit von den großen Hinderniſſen abgezogen haben, die jenen wirkenden Urſachen entgegenſtehen? Wozu kann ein einzelner Menſch gemacht werden? Wel- cher Entwickelung iſt er faͤhig; welcher Aufklaͤrung und welches Wohls fuͤr ſich allein genommen? Dieß iſt eine andre Frage, als die folgende: was kann aus der gan- zen Menſchheit, aus dem ganzen Jnbegriff aller Jndivi- duen werden, die nebeneinander auf der Erde zu ver- voll-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/814
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 784. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/814>, abgerufen am 24.11.2024.