Empfindnissen, Nachempfindungen und Vorstellungen des Kindes? und überhaupt das Vergnügen nicht grös- ser seyn, wo mehr anhaltende Thätigkeit ist, als wo sie öfterer ohne Noth unterbrochen wird? vorausgesetzt daß die Phantasie nichts hinzu dichte und dadurch eitle Em- pfindnisse verursache. So lange der innere Trieb zur Wirksamkeit fortdauert, würden die dazwischen fallen- den Empfindnisse nur unangenehm seyn. Nur wenn die Kraft anfängt matter zu werden, und die Fortsetzung der Aktion widrig wird, so ist die Unterbrechung will- kommen, die der Seele Zeit läßt zurückzusehen und zu genießen. Jm Alter muß das beste Vergnügen aus dem Andenken verrichteter Thaten geschöpfet werden. Aber so lange die Kräfte innerlich noch selbstthätig sind, liegt in den begleitenden einzelnen Gefühlen der Wirksamkeit eine Lust, die in Vergleichung mit derjenigen, welche die Erinnerung allein gewähret, sich so verhält, wie eine Em- pfindung zu einer Einbildung. Es wird auch durch das Anhalten der Thätigkeit der Genuß aus der Wieder- vorstellung nicht aufgehoben, sondern nur etwas ausge- setzet, um in der Folge desto stärker zu werden.
Nun ist aber eine solche Anwendung der Kräfte eben- dieselbige, wodurch diese am besten entwickelt werden. Sobald die Thätigkeit schwächer oder stärker ist, als es mit der dermaligen Beschaffenheit der Kraft überein- stimmt, übet sich die letztere nicht in der gehörigen Ma- ße. *) Es ist zwar zuweilen dienlich, daß die Anstren- gung bis zur Ermüdung und etwas über die Grenze hinaus gehe, wo sie anfängt unangenehm zu werden, wenn man nämlich zum Zweck hat, daß die Kraft ge- stärket werden soll. Aber dennoch giebt es auch hiebey eine Grenze, die wiederum dieselbige ist, als sie da ist, wo man auf den größten Genuß Rücksicht nimmt. Die erstern kleinern Unbehaglichkeiten, die sich zeigen, wenn
eine
*) Oben erster Abschnitt II. 4. 7.
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
Empfindniſſen, Nachempfindungen und Vorſtellungen des Kindes? und uͤberhaupt das Vergnuͤgen nicht groͤſ- ſer ſeyn, wo mehr anhaltende Thaͤtigkeit iſt, als wo ſie oͤfterer ohne Noth unterbrochen wird? vorausgeſetzt daß die Phantaſie nichts hinzu dichte und dadurch eitle Em- pfindniſſe verurſache. So lange der innere Trieb zur Wirkſamkeit fortdauert, wuͤrden die dazwiſchen fallen- den Empfindniſſe nur unangenehm ſeyn. Nur wenn die Kraft anfaͤngt matter zu werden, und die Fortſetzung der Aktion widrig wird, ſo iſt die Unterbrechung will- kommen, die der Seele Zeit laͤßt zuruͤckzuſehen und zu genießen. Jm Alter muß das beſte Vergnuͤgen aus dem Andenken verrichteter Thaten geſchoͤpfet werden. Aber ſo lange die Kraͤfte innerlich noch ſelbſtthaͤtig ſind, liegt in den begleitenden einzelnen Gefuͤhlen der Wirkſamkeit eine Luſt, die in Vergleichung mit derjenigen, welche die Erinnerung allein gewaͤhret, ſich ſo verhaͤlt, wie eine Em- pfindung zu einer Einbildung. Es wird auch durch das Anhalten der Thaͤtigkeit der Genuß aus der Wieder- vorſtellung nicht aufgehoben, ſondern nur etwas ausge- ſetzet, um in der Folge deſto ſtaͤrker zu werden.
Nun iſt aber eine ſolche Anwendung der Kraͤfte eben- dieſelbige, wodurch dieſe am beſten entwickelt werden. Sobald die Thaͤtigkeit ſchwaͤcher oder ſtaͤrker iſt, als es mit der dermaligen Beſchaffenheit der Kraft uͤberein- ſtimmt, uͤbet ſich die letztere nicht in der gehoͤrigen Ma- ße. *) Es iſt zwar zuweilen dienlich, daß die Anſtren- gung bis zur Ermuͤdung und etwas uͤber die Grenze hinaus gehe, wo ſie anfaͤngt unangenehm zu werden, wenn man naͤmlich zum Zweck hat, daß die Kraft ge- ſtaͤrket werden ſoll. Aber dennoch giebt es auch hiebey eine Grenze, die wiederum dieſelbige iſt, als ſie da iſt, wo man auf den groͤßten Genuß Ruͤckſicht nimmt. Die erſtern kleinern Unbehaglichkeiten, die ſich zeigen, wenn
eine
*) Oben erſter Abſchnitt II. 4. 7.
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
Empfindniſſen, Nachempfindungen und Vorſtellungen
des Kindes? und uͤberhaupt das Vergnuͤgen nicht groͤſ-
ſer ſeyn, wo mehr anhaltende Thaͤtigkeit iſt, als wo ſie
oͤfterer ohne Noth unterbrochen wird? vorausgeſetzt daß
die Phantaſie nichts hinzu dichte und dadurch eitle Em-
pfindniſſe verurſache. So lange der innere Trieb zur
Wirkſamkeit fortdauert, wuͤrden die dazwiſchen fallen-
den Empfindniſſe nur unangenehm ſeyn. Nur wenn die
Kraft anfaͤngt matter zu werden, und die Fortſetzung
der Aktion widrig wird, ſo iſt die Unterbrechung will-
kommen, die der Seele Zeit laͤßt zuruͤckzuſehen und zu
genießen. Jm Alter muß das beſte Vergnuͤgen aus dem
Andenken verrichteter Thaten geſchoͤpfet werden. Aber
ſo lange die Kraͤfte innerlich noch ſelbſtthaͤtig ſind, liegt
in den begleitenden einzelnen Gefuͤhlen der Wirkſamkeit
eine Luſt, die in Vergleichung mit derjenigen, welche die
Erinnerung allein gewaͤhret, ſich ſo verhaͤlt, wie eine Em-
pfindung zu einer Einbildung. Es wird auch durch das
Anhalten der Thaͤtigkeit der Genuß aus der Wieder-
vorſtellung nicht aufgehoben, ſondern nur etwas ausge-
ſetzet, um in der Folge deſto ſtaͤrker zu werden.
Nun iſt aber eine ſolche Anwendung der Kraͤfte eben-
dieſelbige, wodurch dieſe am beſten entwickelt werden.
Sobald die Thaͤtigkeit ſchwaͤcher oder ſtaͤrker iſt, als es
mit der dermaligen Beſchaffenheit der Kraft uͤberein-
ſtimmt, uͤbet ſich die letztere nicht in der gehoͤrigen Ma-
ße. *) Es iſt zwar zuweilen dienlich, daß die Anſtren-
gung bis zur Ermuͤdung und etwas uͤber die Grenze
hinaus gehe, wo ſie anfaͤngt unangenehm zu werden,
wenn man naͤmlich zum Zweck hat, daß die Kraft ge-
ſtaͤrket werden ſoll. Aber dennoch giebt es auch hiebey
eine Grenze, die wiederum dieſelbige iſt, als ſie da iſt,
wo man auf den groͤßten Genuß Ruͤckſicht nimmt. Die
erſtern kleinern Unbehaglichkeiten, die ſich zeigen, wenn
eine
*) Oben erſter Abſchnitt II. 4. 7.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 802. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/832>, abgerufen am 24.11.2024.
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