eine Thätigkeit anfängt widrig zu werden, sind nichts mehr als die Dissonanzen in der Musik, welche das Ge- fühl der Harmonie erhöhen. Es gewinnt also noch das Vergnügen, wie die Kraft selbst, wenn die Aktion fort- gesetzt wird. Dagegen sobald die Unlust und der Ver- druß an ihr überwiegend wird, so muß sie aufhören, wenn sie das Vermögen selbst nicht mehr schwächen als stärken soll.
Wenn die Arbeit mühselig und lästig wird, so ist es gewiß nicht allemal die Thätigkeit selbst, die dieß wird. Das Bedürfniß, welches man durch die Arbeit abwen- den will, die Furcht die Absicht zu verfehlen, die zu gro- ße Sehnsucht nach ihr, der Zwang, dann auch die äus- sern Hindernisse, die nicht zu überwinden sind und ein Gefühl von Schwäche verursachen, die Ueberspannung der Kräfte und andere begleitende äußere und innere Empfindnisse, die mehr von den Vorstellungen der Ge- genstände, mit denen man zu thun hat, als von dem Ge- fühl der Aktion selbst abhangen: dieß sind die Ursachen, welche die Arbeit zum Uebel machen, die ohne sie Lust und Vergnügen seyn würde, und desto mehr dieß letzte- re seyn würde, je mehr sie in der Maße vorgenommen wird, wie sie zur Vervollkommnung der Kräfte gereichet.
Eine Einwendung bliebe vielleicht übrig. Jede Thä- tigkeit wird der Seele anfangs durch das Gefühl eines Bedürfnisses, welches widrig ist, es entstehe aus einer innern oder äußern zu starken Spannung, abgenöthiget. Daraus möchte man folgern, jene sey ihrer Natur nach jedesmal unangenehm, so daß nur die leidentlichen Veränderungen allein für sich angenehme Empfindnisse gewähren könnten. Man kann antworten. Erstlich ist es nur im Anfang nöthig, daß die natürliche Trägheit durch ein widriges Gefühl erwecket werde; nicht mehr so, wenn einmal das Angenehme in der Thätigkeit und der Aus- führung selbst geschmecket ist, und man diese für sich
selbst
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und Entwickelung des Menſchen.
eine Thaͤtigkeit anfaͤngt widrig zu werden, ſind nichts mehr als die Diſſonanzen in der Muſik, welche das Ge- fuͤhl der Harmonie erhoͤhen. Es gewinnt alſo noch das Vergnuͤgen, wie die Kraft ſelbſt, wenn die Aktion fort- geſetzt wird. Dagegen ſobald die Unluſt und der Ver- druß an ihr uͤberwiegend wird, ſo muß ſie aufhoͤren, wenn ſie das Vermoͤgen ſelbſt nicht mehr ſchwaͤchen als ſtaͤrken ſoll.
Wenn die Arbeit muͤhſelig und laͤſtig wird, ſo iſt es gewiß nicht allemal die Thaͤtigkeit ſelbſt, die dieß wird. Das Beduͤrfniß, welches man durch die Arbeit abwen- den will, die Furcht die Abſicht zu verfehlen, die zu gro- ße Sehnſucht nach ihr, der Zwang, dann auch die aͤuſ- ſern Hinderniſſe, die nicht zu uͤberwinden ſind und ein Gefuͤhl von Schwaͤche verurſachen, die Ueberſpannung der Kraͤfte und andere begleitende aͤußere und innere Empfindniſſe, die mehr von den Vorſtellungen der Ge- genſtaͤnde, mit denen man zu thun hat, als von dem Ge- fuͤhl der Aktion ſelbſt abhangen: dieß ſind die Urſachen, welche die Arbeit zum Uebel machen, die ohne ſie Luſt und Vergnuͤgen ſeyn wuͤrde, und deſto mehr dieß letzte- re ſeyn wuͤrde, je mehr ſie in der Maße vorgenommen wird, wie ſie zur Vervollkommnung der Kraͤfte gereichet.
Eine Einwendung bliebe vielleicht uͤbrig. Jede Thaͤ- tigkeit wird der Seele anfangs durch das Gefuͤhl eines Beduͤrfniſſes, welches widrig iſt, es entſtehe aus einer innern oder aͤußern zu ſtarken Spannung, abgenoͤthiget. Daraus moͤchte man folgern, jene ſey ihrer Natur nach jedesmal unangenehm, ſo daß nur die leidentlichen Veraͤnderungen allein fuͤr ſich angenehme Empfindniſſe gewaͤhren koͤnnten. Man kann antworten. Erſtlich iſt es nur im Anfang noͤthig, daß die natuͤrliche Traͤgheit durch ein widriges Gefuͤhl erwecket werde; nicht mehr ſo, wenn einmal das Angenehme in der Thaͤtigkeit und der Aus- fuͤhrung ſelbſt geſchmecket iſt, und man dieſe fuͤr ſich
ſelbſt
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und Entwickelung des Menſchen.
eine Thaͤtigkeit anfaͤngt widrig zu werden, ſind nichts
mehr als die Diſſonanzen in der Muſik, welche das Ge-
fuͤhl der Harmonie erhoͤhen. Es gewinnt alſo noch das
Vergnuͤgen, wie die Kraft ſelbſt, wenn die Aktion fort-
geſetzt wird. Dagegen ſobald die Unluſt und der Ver-
druß an ihr uͤberwiegend wird, ſo muß ſie aufhoͤren,
wenn ſie das Vermoͤgen ſelbſt nicht mehr ſchwaͤchen als
ſtaͤrken ſoll.
Wenn die Arbeit muͤhſelig und laͤſtig wird, ſo iſt es
gewiß nicht allemal die Thaͤtigkeit ſelbſt, die dieß wird.
Das Beduͤrfniß, welches man durch die Arbeit abwen-
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ße Sehnſucht nach ihr, der Zwang, dann auch die aͤuſ-
ſern Hinderniſſe, die nicht zu uͤberwinden ſind und ein
Gefuͤhl von Schwaͤche verurſachen, die Ueberſpannung
der Kraͤfte und andere begleitende aͤußere und innere
Empfindniſſe, die mehr von den Vorſtellungen der Ge-
genſtaͤnde, mit denen man zu thun hat, als von dem Ge-
fuͤhl der Aktion ſelbſt abhangen: dieß ſind die Urſachen,
welche die Arbeit zum Uebel machen, die ohne ſie Luſt
und Vergnuͤgen ſeyn wuͤrde, und deſto mehr dieß letzte-
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wird, wie ſie zur Vervollkommnung der Kraͤfte gereichet.
Eine Einwendung bliebe vielleicht uͤbrig. Jede Thaͤ-
tigkeit wird der Seele anfangs durch das Gefuͤhl eines
Beduͤrfniſſes, welches widrig iſt, es entſtehe aus einer
innern oder aͤußern zu ſtarken Spannung, abgenoͤthiget.
Daraus moͤchte man folgern, jene ſey ihrer Natur nach
jedesmal unangenehm, ſo daß nur die leidentlichen
Veraͤnderungen allein fuͤr ſich angenehme Empfindniſſe
gewaͤhren koͤnnten. Man kann antworten. Erſtlich iſt es
nur im Anfang noͤthig, daß die natuͤrliche Traͤgheit durch
ein widriges Gefuͤhl erwecket werde; nicht mehr ſo, wenn
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 803. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/833>, abgerufen am 24.11.2024.
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