Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

und Entwickelung des Menschen.
menschlichen Vergnügungen auf einen andern, der eben
dieselbigen Folgen hat. Einige Vergnügen nämlich er-
fodern durchaus die Einwirkung oder das Zuthun äuße-
rer Wesen, und hangen von den Beziehungen des Men-
schen auf äußere Dinge ab. Andere verschaffet er sich
selbst aus seiner innern Quelle, durch seine eigene Thä-
tigkeit. Dieß habe ich nur erinnert um Mißverständnis-
sen vorzubeugen. Denn sonsten mag immer jede Unter-
haltung der Seele und ihrer Kräfte eine Thätigkeit ge-
nennet werden.

Darüber sind die Philosophen unter sich und mit dem
gemeinen Verstande einig, daß die Glückseligkeit des
Menschen aus der Summe seiner angenehmen Empfin-
dungen entspringe, die alsdann aber nur erst so heißen
kann, wenn sie die Summe der entgegenstehenden über-
wieget; und die als Glückseligkeit nur nach der Größe
dieses Uebergewichts geschätzet werden muß. Aber über
zwey Punkte gehen sie von einander ab. Der erstere da-
von gehöret zur Seelenlehre: "Was ist die eigentliche
"Quelle des Vergnügens? oder was ist in jedem ange-
"nehmen Gefühl die angenehm rührende, die ver-
"gnügende Kraft,
die Kausalität des Vergnügens,
"nach der Sprache der Alten?" Der zweete gehöret
zur Moral: "Wie groß ist der Antheil an dem gesamm-
"ten Wohl, den die verschiedenen Arten der angeneh-
"men Empfindungen, welche durch die Sinne, die Ein-
"dildungskraft, den Verstand und die äußere Thätig-
"keit erhalten werden, dazu hergeben? Wie wichtig sind
"diese Bestandtheile, gegen einander verglichen?" Jede
Empfindung hat ihre innere Größe, ihre Länge, Breite,
Stärke, Dauer; jede befördert andere ähnliche, oder hin-
dert sie. Wie hoch soll jedwede Gattung geschätzet wer-
den? Hier ist der Maßstab, den man in den verschiede-
nen Systemen gebraucht hat, sehr verschieden, welches
zum Theil schon davon abhängt, wie man die erstere

psycho-
E e e 3

und Entwickelung des Menſchen.
menſchlichen Vergnuͤgungen auf einen andern, der eben
dieſelbigen Folgen hat. Einige Vergnuͤgen naͤmlich er-
fodern durchaus die Einwirkung oder das Zuthun aͤuße-
rer Weſen, und hangen von den Beziehungen des Men-
ſchen auf aͤußere Dinge ab. Andere verſchaffet er ſich
ſelbſt aus ſeiner innern Quelle, durch ſeine eigene Thaͤ-
tigkeit. Dieß habe ich nur erinnert um Mißverſtaͤndniſ-
ſen vorzubeugen. Denn ſonſten mag immer jede Unter-
haltung der Seele und ihrer Kraͤfte eine Thaͤtigkeit ge-
nennet werden.

Daruͤber ſind die Philoſophen unter ſich und mit dem
gemeinen Verſtande einig, daß die Gluͤckſeligkeit des
Menſchen aus der Summe ſeiner angenehmen Empfin-
dungen entſpringe, die alsdann aber nur erſt ſo heißen
kann, wenn ſie die Summe der entgegenſtehenden uͤber-
wieget; und die als Gluͤckſeligkeit nur nach der Groͤße
dieſes Uebergewichts geſchaͤtzet werden muß. Aber uͤber
zwey Punkte gehen ſie von einander ab. Der erſtere da-
von gehoͤret zur Seelenlehre: „Was iſt die eigentliche
„Quelle des Vergnuͤgens? oder was iſt in jedem ange-
„nehmen Gefuͤhl die angenehm ruͤhrende, die ver-
„gnuͤgende Kraft,
die Kauſalitaͤt des Vergnuͤgens,
„nach der Sprache der Alten?“ Der zweete gehoͤret
zur Moral: „Wie groß iſt der Antheil an dem geſamm-
„ten Wohl, den die verſchiedenen Arten der angeneh-
„men Empfindungen, welche durch die Sinne, die Ein-
„dildungskraft, den Verſtand und die aͤußere Thaͤtig-
„keit erhalten werden, dazu hergeben? Wie wichtig ſind
„dieſe Beſtandtheile, gegen einander verglichen?“ Jede
Empfindung hat ihre innere Groͤße, ihre Laͤnge, Breite,
Staͤrke, Dauer; jede befoͤrdert andere aͤhnliche, oder hin-
dert ſie. Wie hoch ſoll jedwede Gattung geſchaͤtzet wer-
den? Hier iſt der Maßſtab, den man in den verſchiede-
nen Syſtemen gebraucht hat, ſehr verſchieden, welches
zum Theil ſchon davon abhaͤngt, wie man die erſtere

pſycho-
E e e 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0835" n="805"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Entwickelung des Men&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
men&#x017F;chlichen Vergnu&#x0364;gungen auf einen andern, der eben<lb/>
die&#x017F;elbigen Folgen hat. Einige Vergnu&#x0364;gen na&#x0364;mlich er-<lb/>
fodern durchaus die Einwirkung oder das Zuthun a&#x0364;uße-<lb/>
rer We&#x017F;en, und hangen von den Beziehungen des Men-<lb/>
&#x017F;chen auf a&#x0364;ußere Dinge ab. Andere ver&#x017F;chaffet er &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t aus &#x017F;einer innern Quelle, durch &#x017F;eine eigene Tha&#x0364;-<lb/>
tigkeit. Dieß habe ich nur erinnert um Mißver&#x017F;ta&#x0364;ndni&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en vorzubeugen. Denn &#x017F;on&#x017F;ten mag immer jede Unter-<lb/>
haltung der Seele und ihrer Kra&#x0364;fte eine Tha&#x0364;tigkeit ge-<lb/>
nennet werden.</p><lb/>
            <p>Daru&#x0364;ber &#x017F;ind die Philo&#x017F;ophen unter &#x017F;ich und mit dem<lb/>
gemeinen Ver&#x017F;tande einig, daß die <hi rendition="#fr">Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit</hi> des<lb/>
Men&#x017F;chen aus der Summe &#x017F;einer angenehmen Empfin-<lb/>
dungen ent&#x017F;pringe, die alsdann aber nur er&#x017F;t &#x017F;o heißen<lb/>
kann, wenn &#x017F;ie die Summe der entgegen&#x017F;tehenden u&#x0364;ber-<lb/>
wieget; und die als Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit nur nach der Gro&#x0364;ße<lb/>
die&#x017F;es Uebergewichts ge&#x017F;cha&#x0364;tzet werden muß. Aber u&#x0364;ber<lb/>
zwey Punkte gehen &#x017F;ie von einander ab. Der er&#x017F;tere da-<lb/>
von geho&#x0364;ret zur Seelenlehre: &#x201E;Was i&#x017F;t die eigentliche<lb/>
&#x201E;Quelle des Vergnu&#x0364;gens? oder was i&#x017F;t in jedem ange-<lb/>
&#x201E;nehmen Gefu&#x0364;hl die <hi rendition="#fr">angenehm ru&#x0364;hrende,</hi> die <hi rendition="#fr">ver-<lb/>
&#x201E;gnu&#x0364;gende Kraft,</hi> die Kau&#x017F;alita&#x0364;t des Vergnu&#x0364;gens,<lb/>
&#x201E;nach der Sprache der Alten?&#x201C; Der zweete geho&#x0364;ret<lb/>
zur Moral: &#x201E;Wie groß i&#x017F;t der Antheil an dem ge&#x017F;amm-<lb/>
&#x201E;ten Wohl, den die ver&#x017F;chiedenen Arten der angeneh-<lb/>
&#x201E;men Empfindungen, welche durch die Sinne, die Ein-<lb/>
&#x201E;dildungskraft, den Ver&#x017F;tand und die a&#x0364;ußere Tha&#x0364;tig-<lb/>
&#x201E;keit erhalten werden, dazu hergeben? Wie wichtig &#x017F;ind<lb/>
&#x201E;die&#x017F;e Be&#x017F;tandtheile, gegen einander verglichen?&#x201C; Jede<lb/>
Empfindung hat ihre innere Gro&#x0364;ße, ihre La&#x0364;nge, Breite,<lb/>
Sta&#x0364;rke, Dauer; jede befo&#x0364;rdert andere a&#x0364;hnliche, oder hin-<lb/>
dert &#x017F;ie. Wie hoch &#x017F;oll jedwede Gattung ge&#x017F;cha&#x0364;tzet wer-<lb/>
den? Hier i&#x017F;t der Maß&#x017F;tab, den man in den ver&#x017F;chiede-<lb/>
nen Sy&#x017F;temen gebraucht hat, &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden, welches<lb/>
zum Theil &#x017F;chon davon abha&#x0364;ngt, wie man die er&#x017F;tere<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E e e 3</fw><fw place="bottom" type="catch">p&#x017F;ycho-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[805/0835] und Entwickelung des Menſchen. menſchlichen Vergnuͤgungen auf einen andern, der eben dieſelbigen Folgen hat. Einige Vergnuͤgen naͤmlich er- fodern durchaus die Einwirkung oder das Zuthun aͤuße- rer Weſen, und hangen von den Beziehungen des Men- ſchen auf aͤußere Dinge ab. Andere verſchaffet er ſich ſelbſt aus ſeiner innern Quelle, durch ſeine eigene Thaͤ- tigkeit. Dieß habe ich nur erinnert um Mißverſtaͤndniſ- ſen vorzubeugen. Denn ſonſten mag immer jede Unter- haltung der Seele und ihrer Kraͤfte eine Thaͤtigkeit ge- nennet werden. Daruͤber ſind die Philoſophen unter ſich und mit dem gemeinen Verſtande einig, daß die Gluͤckſeligkeit des Menſchen aus der Summe ſeiner angenehmen Empfin- dungen entſpringe, die alsdann aber nur erſt ſo heißen kann, wenn ſie die Summe der entgegenſtehenden uͤber- wieget; und die als Gluͤckſeligkeit nur nach der Groͤße dieſes Uebergewichts geſchaͤtzet werden muß. Aber uͤber zwey Punkte gehen ſie von einander ab. Der erſtere da- von gehoͤret zur Seelenlehre: „Was iſt die eigentliche „Quelle des Vergnuͤgens? oder was iſt in jedem ange- „nehmen Gefuͤhl die angenehm ruͤhrende, die ver- „gnuͤgende Kraft, die Kauſalitaͤt des Vergnuͤgens, „nach der Sprache der Alten?“ Der zweete gehoͤret zur Moral: „Wie groß iſt der Antheil an dem geſamm- „ten Wohl, den die verſchiedenen Arten der angeneh- „men Empfindungen, welche durch die Sinne, die Ein- „dildungskraft, den Verſtand und die aͤußere Thaͤtig- „keit erhalten werden, dazu hergeben? Wie wichtig ſind „dieſe Beſtandtheile, gegen einander verglichen?“ Jede Empfindung hat ihre innere Groͤße, ihre Laͤnge, Breite, Staͤrke, Dauer; jede befoͤrdert andere aͤhnliche, oder hin- dert ſie. Wie hoch ſoll jedwede Gattung geſchaͤtzet wer- den? Hier iſt der Maßſtab, den man in den verſchiede- nen Syſtemen gebraucht hat, ſehr verſchieden, welches zum Theil ſchon davon abhaͤngt, wie man die erſtere pſycho- E e e 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/835
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 805. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/835>, abgerufen am 24.11.2024.