psychologische Frage, über die Ursache des Vergnügens, beantwortet. Anders schätzte sie der Stoiker, anders der Epikuräer, zwischen welchen die Peripatetiker und nach ihnen Cicero das Mittel fand. *) Sollte man nicht darinn schon einen Fehler begangen haben, "daß "man dasselbige Verhältniß bey allen Menschen ohne "Ausnahme als das schicklichste festsetzen wollen?" Bey den verschiedenen Gattungen empfindender Wesen muß es doch verschieden seyn. Denn für die Thierseele gehö- ret das Vergnügen des Denkens nicht. Sollte nicht auch, obgleich in einem mindern Grade, darauf Rücksicht bey den Menschen genommen werden müssen, so viel nämlich in der zufälligen Verschiedenheit ihrer individuellen Natu- ren gegründet ist? Damit fällt es nicht weg, daß es nicht eine allgemeine Moral gebe. Die wesentliche Aehnlich- keit ihrer Naturen giebt auch ihrer Glückseligkeit diesel- bigen wesentlichen Beschaffenheiten, und hat die allge- meine Aehnlichkeit ihrer Pflichten zur Folge.
Was aber die allgemeine Quelle des Vergnügens und der Glückseligkeit betrifft, so will ich nur blos einige Anmerkungen hersetzen, die hierzu gehören, ohne mich weder auf eine nähere Untersuchung der Sache selbst, noch auf eine Prüfung der verschiedenen Gedanken der Philosophen darüber, einzulassen. Jene sollen nur allein die Absicht haben, den zu einseitigen Begriffen vorzu- beugen, zu welchen man auch hier, bey dem allgemei- nen Princip des Vergnügens, das den gemeinschaftli- chen Charakter aller angenehmen Gefühle angeben soll, verleitet wird, so bald man nicht auf die ganze Vielsei- tigkeit unserer Natur siehet.
1) Erstlich hat jedes Gefühl nur absolute gegenwär- tige Beschaffenheiten der Seele zum Objekt, und noch nähere Veränderungen unsers Zustandes. Denn die bleibenden Beschaffenheiten, die Kräfte und Ver-
mögen
*)De finibus bonorum et malorum.
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
pſychologiſche Frage, uͤber die Urſache des Vergnuͤgens, beantwortet. Anders ſchaͤtzte ſie der Stoiker, anders der Epikuraͤer, zwiſchen welchen die Peripatetiker und nach ihnen Cicero das Mittel fand. *) Sollte man nicht darinn ſchon einen Fehler begangen haben, „daß „man daſſelbige Verhaͤltniß bey allen Menſchen ohne „Ausnahme als das ſchicklichſte feſtſetzen wollen?“ Bey den verſchiedenen Gattungen empfindender Weſen muß es doch verſchieden ſeyn. Denn fuͤr die Thierſeele gehoͤ- ret das Vergnuͤgen des Denkens nicht. Sollte nicht auch, obgleich in einem mindern Grade, darauf Ruͤckſicht bey den Menſchen genommen werden muͤſſen, ſo viel naͤmlich in der zufaͤlligen Verſchiedenheit ihrer individuellen Natu- ren gegruͤndet iſt? Damit faͤllt es nicht weg, daß es nicht eine allgemeine Moral gebe. Die weſentliche Aehnlich- keit ihrer Naturen giebt auch ihrer Gluͤckſeligkeit dieſel- bigen weſentlichen Beſchaffenheiten, und hat die allge- meine Aehnlichkeit ihrer Pflichten zur Folge.
Was aber die allgemeine Quelle des Vergnuͤgens und der Gluͤckſeligkeit betrifft, ſo will ich nur blos einige Anmerkungen herſetzen, die hierzu gehoͤren, ohne mich weder auf eine naͤhere Unterſuchung der Sache ſelbſt, noch auf eine Pruͤfung der verſchiedenen Gedanken der Philoſophen daruͤber, einzulaſſen. Jene ſollen nur allein die Abſicht haben, den zu einſeitigen Begriffen vorzu- beugen, zu welchen man auch hier, bey dem allgemei- nen Princip des Vergnuͤgens, das den gemeinſchaftli- chen Charakter aller angenehmen Gefuͤhle angeben ſoll, verleitet wird, ſo bald man nicht auf die ganze Vielſei- tigkeit unſerer Natur ſiehet.
1) Erſtlich hat jedes Gefuͤhl nur abſolute gegenwaͤr- tige Beſchaffenheiten der Seele zum Objekt, und noch naͤhere Veraͤnderungen unſers Zuſtandes. Denn die bleibenden Beſchaffenheiten, die Kraͤfte und Ver-
moͤgen
*)De finibus bonorum et malorum.
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
pſychologiſche Frage, uͤber die Urſache des Vergnuͤgens,
beantwortet. Anders ſchaͤtzte ſie der Stoiker, anders der
Epikuraͤer, zwiſchen welchen die Peripatetiker und
nach ihnen Cicero das Mittel fand. *) Sollte man
nicht darinn ſchon einen Fehler begangen haben, „daß
„man daſſelbige Verhaͤltniß bey allen Menſchen ohne
„Ausnahme als das ſchicklichſte feſtſetzen wollen?“ Bey
den verſchiedenen Gattungen empfindender Weſen muß
es doch verſchieden ſeyn. Denn fuͤr die Thierſeele gehoͤ-
ret das Vergnuͤgen des Denkens nicht. Sollte nicht auch,
obgleich in einem mindern Grade, darauf Ruͤckſicht bey
den Menſchen genommen werden muͤſſen, ſo viel naͤmlich
in der zufaͤlligen Verſchiedenheit ihrer individuellen Natu-
ren gegruͤndet iſt? Damit faͤllt es nicht weg, daß es nicht
eine allgemeine Moral gebe. Die weſentliche Aehnlich-
keit ihrer Naturen giebt auch ihrer Gluͤckſeligkeit dieſel-
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meine Aehnlichkeit ihrer Pflichten zur Folge.
Was aber die allgemeine Quelle des Vergnuͤgens
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noch auf eine Pruͤfung der verſchiedenen Gedanken der
Philoſophen daruͤber, einzulaſſen. Jene ſollen nur allein
die Abſicht haben, den zu einſeitigen Begriffen vorzu-
beugen, zu welchen man auch hier, bey dem allgemei-
nen Princip des Vergnuͤgens, das den gemeinſchaftli-
chen Charakter aller angenehmen Gefuͤhle angeben ſoll,
verleitet wird, ſo bald man nicht auf die ganze Vielſei-
tigkeit unſerer Natur ſiehet.
1) Erſtlich hat jedes Gefuͤhl nur abſolute gegenwaͤr-
tige Beſchaffenheiten der Seele zum Objekt, und noch
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die bleibenden Beſchaffenheiten, die Kraͤfte und Ver-
moͤgen
*) De finibus bonorum et malorum.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 806. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/836>, abgerufen am 24.11.2024.
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