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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
an, der im Anfang das Geld suchet, um es zu gebrau-
chen, nachher aber um es zu besitzen. Sie ist un-
gemein natürlich *). Der Geiz ist etwas unvernünfti-
ges, nur wegen des Objekts, worauf die Neigung fällt,
und wegen des Uebermaßes; nicht deswegen, weil es
unnatürlich oder thöricht überhaupt ist, das Vergnügen
in den Ursachen und Mitteln zu finden, was man an-
fangs nur in ihren letzten Wirkungen suchte.

Die Vorstellung von einem Vermögen, dessen
wir uns als des unsrigen bewußt sind, enthält einen
Auszug von allen den angenehmen Gefühlen, die den
Gebrauch desselben begleiten, und die wir entweder selbst
wirklich gehabt haben, oder uns durch eine Zusammen-
setzung aus Gefühlen erdichten. Eine solche Vorstellung
ist sehr vielbefassend und mächtig, obgleich dunkel und
unentwickelt. Fühlen wir den Besitz eines Vermögens
in uns, so ist mit der Vorstellung davon auch ein An-
fang von Thätigkeit
verbunden, und zwar einer sol-
chen, die wir für die Wirkung und für das Merkmal
der vorhandenen Kraft erkennen. Und diesen Anfang
fühlen wir. Aus diesem Gefühl unsrer gegenwärtigen
Beschaffenheit, vermischt mit der Vorstellung von dem
Vermögen, entspringet die angenehme Empfindung, die
in dem Bewußtseyn, als einem gegenwärtigen klaren
Gefühl der Vollkommenheit, liegt. Diese Empfindung
fehlet, wenn wir uns nur eine fremde Vollkommenheit
vorstellen, nämlich als eine solche, welche uns mangelt.
Sonsten ist jedwede Vorstellung von einer Vollkommen-
heit für sich mit einem Vergnügen verbunden, und dieß
ist desto lebhafter, je anschaulicher die Vorstellung ist.

Denn
*) Zweeter Versuch I. 5. VI. 2. 3. Zehnter Versuch
II. 4.

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
an, der im Anfang das Geld ſuchet, um es zu gebrau-
chen, nachher aber um es zu beſitzen. Sie iſt un-
gemein natuͤrlich *). Der Geiz iſt etwas unvernuͤnfti-
ges, nur wegen des Objekts, worauf die Neigung faͤllt,
und wegen des Uebermaßes; nicht deswegen, weil es
unnatuͤrlich oder thoͤricht uͤberhaupt iſt, das Vergnuͤgen
in den Urſachen und Mitteln zu finden, was man an-
fangs nur in ihren letzten Wirkungen ſuchte.

Die Vorſtellung von einem Vermoͤgen, deſſen
wir uns als des unſrigen bewußt ſind, enthaͤlt einen
Auszug von allen den angenehmen Gefuͤhlen, die den
Gebrauch deſſelben begleiten, und die wir entweder ſelbſt
wirklich gehabt haben, oder uns durch eine Zuſammen-
ſetzung aus Gefuͤhlen erdichten. Eine ſolche Vorſtellung
iſt ſehr vielbefaſſend und maͤchtig, obgleich dunkel und
unentwickelt. Fuͤhlen wir den Beſitz eines Vermoͤgens
in uns, ſo iſt mit der Vorſtellung davon auch ein An-
fang von Thaͤtigkeit
verbunden, und zwar einer ſol-
chen, die wir fuͤr die Wirkung und fuͤr das Merkmal
der vorhandenen Kraft erkennen. Und dieſen Anfang
fuͤhlen wir. Aus dieſem Gefuͤhl unſrer gegenwaͤrtigen
Beſchaffenheit, vermiſcht mit der Vorſtellung von dem
Vermoͤgen, entſpringet die angenehme Empfindung, die
in dem Bewußtſeyn, als einem gegenwaͤrtigen klaren
Gefuͤhl der Vollkommenheit, liegt. Dieſe Empfindung
fehlet, wenn wir uns nur eine fremde Vollkommenheit
vorſtellen, naͤmlich als eine ſolche, welche uns mangelt.
Sonſten iſt jedwede Vorſtellung von einer Vollkommen-
heit fuͤr ſich mit einem Vergnuͤgen verbunden, und dieß
iſt deſto lebhafter, je anſchaulicher die Vorſtellung iſt.

Denn
*) Zweeter Verſuch I. 5. VI. 2. 3. Zehnter Verſuch
II. 4.
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[828/0858] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt an, der im Anfang das Geld ſuchet, um es zu gebrau- chen, nachher aber um es zu beſitzen. Sie iſt un- gemein natuͤrlich *). Der Geiz iſt etwas unvernuͤnfti- ges, nur wegen des Objekts, worauf die Neigung faͤllt, und wegen des Uebermaßes; nicht deswegen, weil es unnatuͤrlich oder thoͤricht uͤberhaupt iſt, das Vergnuͤgen in den Urſachen und Mitteln zu finden, was man an- fangs nur in ihren letzten Wirkungen ſuchte. Die Vorſtellung von einem Vermoͤgen, deſſen wir uns als des unſrigen bewußt ſind, enthaͤlt einen Auszug von allen den angenehmen Gefuͤhlen, die den Gebrauch deſſelben begleiten, und die wir entweder ſelbſt wirklich gehabt haben, oder uns durch eine Zuſammen- ſetzung aus Gefuͤhlen erdichten. Eine ſolche Vorſtellung iſt ſehr vielbefaſſend und maͤchtig, obgleich dunkel und unentwickelt. Fuͤhlen wir den Beſitz eines Vermoͤgens in uns, ſo iſt mit der Vorſtellung davon auch ein An- fang von Thaͤtigkeit verbunden, und zwar einer ſol- chen, die wir fuͤr die Wirkung und fuͤr das Merkmal der vorhandenen Kraft erkennen. Und dieſen Anfang fuͤhlen wir. Aus dieſem Gefuͤhl unſrer gegenwaͤrtigen Beſchaffenheit, vermiſcht mit der Vorſtellung von dem Vermoͤgen, entſpringet die angenehme Empfindung, die in dem Bewußtſeyn, als einem gegenwaͤrtigen klaren Gefuͤhl der Vollkommenheit, liegt. Dieſe Empfindung fehlet, wenn wir uns nur eine fremde Vollkommenheit vorſtellen, naͤmlich als eine ſolche, welche uns mangelt. Sonſten iſt jedwede Vorſtellung von einer Vollkommen- heit fuͤr ſich mit einem Vergnuͤgen verbunden, und dieß iſt deſto lebhafter, je anſchaulicher die Vorſtellung iſt. Denn *) Zweeter Verſuch I. 5. VI. 2. 3. Zehnter Verſuch II. 4.

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 828. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/858>, abgerufen am 24.11.2024.