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Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 1. Berlin, 1809.

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Der Fruchtwechsel.
solle? So wie die Frage hier gestellt war, mußte sie bei längern Beobachtungen
und Versuchen nothwendig dahin entschieden werden: daß jede Pflanze nicht
eines eigenthümlichen Nahrungsstoffes bedürfe, sondern ihr eigener Organismus
aus jeder Pflanzennahrung ihre besondern Säfte bereite. Pflanzen von den ver-
schiedensten Eigenschaften, die schärfsten und giftigsten wachsen mit den mildesten
und zuträglichsten in demselben Ballen Erde. Pflanzen der verschiedensten Art
entziehen sich nebeneinanderstehend die Nahrung, welches sie nicht thun würden,
wenn sie von ganz verschiedenen Nahrungsstoffen lebten. Auch bestehen alle
Pflanzen und alle verschiedenen Theile und Säfte derselben, wie man freilich erst
späterhin entdeckte, aus denselben Urstoffen. Die Hauptbestandtheile aller sind
Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff, denen sich mehrentheils etwas Azot, je-
doch nur bei wenigen in beträchtlicher Menge beimischt, wozu noch wenige Erde
und einiges Kali, bei einzelnen auch Phosphor und Schwefel sich hinzugesellt.
Diese Bestandtheile finden sie in jedem fruchtbaren Boden sämmtlich, in sofern
sie solche nicht aus der Atmosphäre erhalten. Die mannigfaltige quantitative Ver-
bindung dieser Stoffe, woraus die unendliche Verschiedenheit der vegetabilischen
Materien hervorgeht, bewirken die Pflanzen durch ihren eigenthümlichen Organis-
mus. Und hieraus schlossen die meisten, daß ein Boden, der Fruchtbarkeit genug
für eine Pflanz besitze, sie auch für die andere haben müsse, und daß etwa nur die
physische Eigenschaft des Bodens ihn der einen günstiger als der andern mache.

§. 355.

Allein wenn es auf Theorie und apriorisches Raisonnement hier ankommt, so
ist es schon genug für die entgegengesetzte Meinung, daß die Pflanzen diese Ur-
stoffe in verschiedenem Verhältnisse haben und zusammensetzen müssen. Höchst
wahrscheinlich haben ihre Wurzeln eine elektive Kraft und Sinn, wodurch sie sich
die Urstoffe gerade in dem Verhältnisse anziehen und auswählen, wie sie solche
ihrer Natur nach gebrauchen. Zu ihrem vorzüglichen Gedeihen ist es aber nöthig,
daß sie in ihrem Wirkungskreise diese Stoffe in einem angemessenen Verhältnisse
schon antreffen, und vielleicht in solchen Verbindungen, die jenem schon analog
sind. Ist dieses Verhältniß nicht vorhanden, sind einige jener Urstoffe zwar da,
aber in geringerer Menge und in solchen Verbindungen, welche die Thätigkeit des

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Der Fruchtwechſel.
ſolle? So wie die Frage hier geſtellt war, mußte ſie bei laͤngern Beobachtungen
und Verſuchen nothwendig dahin entſchieden werden: daß jede Pflanze nicht
eines eigenthuͤmlichen Nahrungsſtoffes beduͤrfe, ſondern ihr eigener Organismus
aus jeder Pflanzennahrung ihre beſondern Saͤfte bereite. Pflanzen von den ver-
ſchiedenſten Eigenſchaften, die ſchaͤrfſten und giftigſten wachſen mit den mildeſten
und zutraͤglichſten in demſelben Ballen Erde. Pflanzen der verſchiedenſten Art
entziehen ſich nebeneinanderſtehend die Nahrung, welches ſie nicht thun wuͤrden,
wenn ſie von ganz verſchiedenen Nahrungsſtoffen lebten. Auch beſtehen alle
Pflanzen und alle verſchiedenen Theile und Saͤfte derſelben, wie man freilich erſt
ſpaͤterhin entdeckte, aus denſelben Urſtoffen. Die Hauptbeſtandtheile aller ſind
Kohlenſtoff, Sauerſtoff und Waſſerſtoff, denen ſich mehrentheils etwas Azot, je-
doch nur bei wenigen in betraͤchtlicher Menge beimiſcht, wozu noch wenige Erde
und einiges Kali, bei einzelnen auch Phosphor und Schwefel ſich hinzugeſellt.
Dieſe Beſtandtheile finden ſie in jedem fruchtbaren Boden ſaͤmmtlich, in ſofern
ſie ſolche nicht aus der Atmoſphaͤre erhalten. Die mannigfaltige quantitative Ver-
bindung dieſer Stoffe, woraus die unendliche Verſchiedenheit der vegetabiliſchen
Materien hervorgeht, bewirken die Pflanzen durch ihren eigenthuͤmlichen Organis-
mus. Und hieraus ſchloſſen die meiſten, daß ein Boden, der Fruchtbarkeit genug
fuͤr eine Pflanz beſitze, ſie auch fuͤr die andere haben muͤſſe, und daß etwa nur die
phyſiſche Eigenſchaft des Bodens ihn der einen guͤnſtiger als der andern mache.

§. 355.

Allein wenn es auf Theorie und aprioriſches Raiſonnement hier ankommt, ſo
iſt es ſchon genug fuͤr die entgegengeſetzte Meinung, daß die Pflanzen dieſe Ur-
ſtoffe in verſchiedenem Verhaͤltniſſe haben und zuſammenſetzen muͤſſen. Hoͤchſt
wahrſcheinlich haben ihre Wurzeln eine elektive Kraft und Sinn, wodurch ſie ſich
die Urſtoffe gerade in dem Verhaͤltniſſe anziehen und auswaͤhlen, wie ſie ſolche
ihrer Natur nach gebrauchen. Zu ihrem vorzuͤglichen Gedeihen iſt es aber noͤthig,
daß ſie in ihrem Wirkungskreiſe dieſe Stoffe in einem angemeſſenen Verhaͤltniſſe
ſchon antreffen, und vielleicht in ſolchen Verbindungen, die jenem ſchon analog
ſind. Iſt dieſes Verhaͤltniß nicht vorhanden, ſind einige jener Urſtoffe zwar da,
aber in geringerer Menge und in ſolchen Verbindungen, welche die Thaͤtigkeit des

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[339/0385] Der Fruchtwechſel. ſolle? So wie die Frage hier geſtellt war, mußte ſie bei laͤngern Beobachtungen und Verſuchen nothwendig dahin entſchieden werden: daß jede Pflanze nicht eines eigenthuͤmlichen Nahrungsſtoffes beduͤrfe, ſondern ihr eigener Organismus aus jeder Pflanzennahrung ihre beſondern Saͤfte bereite. Pflanzen von den ver- ſchiedenſten Eigenſchaften, die ſchaͤrfſten und giftigſten wachſen mit den mildeſten und zutraͤglichſten in demſelben Ballen Erde. Pflanzen der verſchiedenſten Art entziehen ſich nebeneinanderſtehend die Nahrung, welches ſie nicht thun wuͤrden, wenn ſie von ganz verſchiedenen Nahrungsſtoffen lebten. Auch beſtehen alle Pflanzen und alle verſchiedenen Theile und Saͤfte derſelben, wie man freilich erſt ſpaͤterhin entdeckte, aus denſelben Urſtoffen. Die Hauptbeſtandtheile aller ſind Kohlenſtoff, Sauerſtoff und Waſſerſtoff, denen ſich mehrentheils etwas Azot, je- doch nur bei wenigen in betraͤchtlicher Menge beimiſcht, wozu noch wenige Erde und einiges Kali, bei einzelnen auch Phosphor und Schwefel ſich hinzugeſellt. Dieſe Beſtandtheile finden ſie in jedem fruchtbaren Boden ſaͤmmtlich, in ſofern ſie ſolche nicht aus der Atmoſphaͤre erhalten. Die mannigfaltige quantitative Ver- bindung dieſer Stoffe, woraus die unendliche Verſchiedenheit der vegetabiliſchen Materien hervorgeht, bewirken die Pflanzen durch ihren eigenthuͤmlichen Organis- mus. Und hieraus ſchloſſen die meiſten, daß ein Boden, der Fruchtbarkeit genug fuͤr eine Pflanz beſitze, ſie auch fuͤr die andere haben muͤſſe, und daß etwa nur die phyſiſche Eigenſchaft des Bodens ihn der einen guͤnſtiger als der andern mache. §. 355. Allein wenn es auf Theorie und aprioriſches Raiſonnement hier ankommt, ſo iſt es ſchon genug fuͤr die entgegengeſetzte Meinung, daß die Pflanzen dieſe Ur- ſtoffe in verſchiedenem Verhaͤltniſſe haben und zuſammenſetzen muͤſſen. Hoͤchſt wahrſcheinlich haben ihre Wurzeln eine elektive Kraft und Sinn, wodurch ſie ſich die Urſtoffe gerade in dem Verhaͤltniſſe anziehen und auswaͤhlen, wie ſie ſolche ihrer Natur nach gebrauchen. Zu ihrem vorzuͤglichen Gedeihen iſt es aber noͤthig, daß ſie in ihrem Wirkungskreiſe dieſe Stoffe in einem angemeſſenen Verhaͤltniſſe ſchon antreffen, und vielleicht in ſolchen Verbindungen, die jenem ſchon analog ſind. Iſt dieſes Verhaͤltniß nicht vorhanden, ſind einige jener Urſtoffe zwar da, aber in geringerer Menge und in ſolchen Verbindungen, welche die Thaͤtigkeit des U u 2

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Zitationshilfe: Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft01_1809/385>, abgerufen am 26.11.2024.