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Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812.

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Die Gerste.

Die große früh gesäete Gerste ist hart gegen den Frost, und wenn gleich
ihre Blattspitzen gelb werden, so schadet es ihr wenig. Bei trockner Witterung
bekommt sie zumal auf sandigern Boden, gelbe Blätter, aber hierdurch wird
sie nicht zerstört, wenn sie nur beim Hervortreten der Aehren Feuchtigkeit hat,
denn dies ist der entscheidende Zeitpunkt für sie. Wird sie aber wegen zu gro-
ßer Feuchtigkeit gelb, was in Sinken leicht geschieht, so ist sie verloren.

Sie hat in großen Wirthschaften, früh gesäet, das Unangenehme, daß
sie dann fast gleichzeitig mit dem Rocken reift. Und obgleich die Gefahr des
Abfallens bei ihr nicht so groß wie bei der kleinen Gerste ist, so muß man doch
bei trocknem Wetter mit den Mähern, vom Rocken ab, zu ihr übergehen.
Dies kann ein Grund seyn, sie auf lehmigern Boden nicht so früh, sondern
erst Anfangs Mays zu säen, auf sandigerm aber kleine Gerste zu bauen.

Der Scheffel wiegt, wenn sie einigermaaßen ausgewachsen ist, etliche und
70 Pfd. Ich habe sie auch schon von 84 Pfd. gehabt. Sie pflegt dann auch
in ihrem Marktpreise dem Rocken oft gleich zu kommen, zuweilen zu übersteigen.

Die Himmelsgerste, die vierzeilige nackte Gerste.
§. 93.

Die Botaniker halten sie für eine Abart der gemeinen vierzeiligen Gerste,
und glauben, daß sie in selbige zurückarte. Ich bezweifle das, wenn es
gleich zuweilen den Anschein hat. Es kommen nämlich oft Körner darunter,
die völlig das Ansehn der kleinen Gerste haben. Dies sind aber unvollkom-
men ausgewachsene Körner, die ihre Schaale nicht abwerfen, und die entwe-
der gar nicht auflaufen und aufkommen, oder wieder Himmelsgerste geben.
Da es indessen überhaupt bei unsern kultivirten Pflanzen so zweifelhaft ist,
was Spezies und was Varietät genannt werden solle, so mag auch dies un-
entschieden bleiben.

Sie zeichnet sich von der kleinen Gerste dadurch aus, daß sie sich weit
stärker bestaudet nnd mehrere Halme treibt, wenn sie auch auf gleichem Bo-
den und gleich entfernt stehet. Ihr Halm wird ungleich dicker, auch als der,
der großen Gerste. Die Aehre ist länger als die der vierzeiligen, und ent-
hält mehrere Körner. Ein Hauptmerkmal aber ist, daß sie die Grannen oder

Die Gerſte.

Die große fruͤh geſaͤete Gerſte iſt hart gegen den Froſt, und wenn gleich
ihre Blattſpitzen gelb werden, ſo ſchadet es ihr wenig. Bei trockner Witterung
bekommt ſie zumal auf ſandigern Boden, gelbe Blaͤtter, aber hierdurch wird
ſie nicht zerſtoͤrt, wenn ſie nur beim Hervortreten der Aehren Feuchtigkeit hat,
denn dies iſt der entſcheidende Zeitpunkt fuͤr ſie. Wird ſie aber wegen zu gro-
ßer Feuchtigkeit gelb, was in Sinken leicht geſchieht, ſo iſt ſie verloren.

Sie hat in großen Wirthſchaften, fruͤh geſaͤet, das Unangenehme, daß
ſie dann faſt gleichzeitig mit dem Rocken reift. Und obgleich die Gefahr des
Abfallens bei ihr nicht ſo groß wie bei der kleinen Gerſte iſt, ſo muß man doch
bei trocknem Wetter mit den Maͤhern, vom Rocken ab, zu ihr uͤbergehen.
Dies kann ein Grund ſeyn, ſie auf lehmigern Boden nicht ſo fruͤh, ſondern
erſt Anfangs Mays zu ſaͤen, auf ſandigerm aber kleine Gerſte zu bauen.

Der Scheffel wiegt, wenn ſie einigermaaßen ausgewachſen iſt, etliche und
70 Pfd. Ich habe ſie auch ſchon von 84 Pfd. gehabt. Sie pflegt dann auch
in ihrem Marktpreiſe dem Rocken oft gleich zu kommen, zuweilen zu uͤberſteigen.

Die Himmelsgerſte, die vierzeilige nackte Gerſte.
§. 93.

Die Botaniker halten ſie fuͤr eine Abart der gemeinen vierzeiligen Gerſte,
und glauben, daß ſie in ſelbige zuruͤckarte. Ich bezweifle das, wenn es
gleich zuweilen den Anſchein hat. Es kommen naͤmlich oft Koͤrner darunter,
die voͤllig das Anſehn der kleinen Gerſte haben. Dies ſind aber unvollkom-
men ausgewachſene Koͤrner, die ihre Schaale nicht abwerfen, und die entwe-
der gar nicht auflaufen und aufkommen, oder wieder Himmelsgerſte geben.
Da es indeſſen uͤberhaupt bei unſern kultivirten Pflanzen ſo zweifelhaft iſt,
was Spezies und was Varietaͤt genannt werden ſolle, ſo mag auch dies un-
entſchieden bleiben.

Sie zeichnet ſich von der kleinen Gerſte dadurch aus, daß ſie ſich weit
ſtaͤrker beſtaudet nnd mehrere Halme treibt, wenn ſie auch auf gleichem Bo-
den und gleich entfernt ſtehet. Ihr Halm wird ungleich dicker, auch als der,
der großen Gerſte. Die Aehre iſt laͤnger als die der vierzeiligen, und ent-
haͤlt mehrere Koͤrner. Ein Hauptmerkmal aber iſt, daß ſie die Grannen oder

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[85/0109] Die Gerſte. Die große fruͤh geſaͤete Gerſte iſt hart gegen den Froſt, und wenn gleich ihre Blattſpitzen gelb werden, ſo ſchadet es ihr wenig. Bei trockner Witterung bekommt ſie zumal auf ſandigern Boden, gelbe Blaͤtter, aber hierdurch wird ſie nicht zerſtoͤrt, wenn ſie nur beim Hervortreten der Aehren Feuchtigkeit hat, denn dies iſt der entſcheidende Zeitpunkt fuͤr ſie. Wird ſie aber wegen zu gro- ßer Feuchtigkeit gelb, was in Sinken leicht geſchieht, ſo iſt ſie verloren. Sie hat in großen Wirthſchaften, fruͤh geſaͤet, das Unangenehme, daß ſie dann faſt gleichzeitig mit dem Rocken reift. Und obgleich die Gefahr des Abfallens bei ihr nicht ſo groß wie bei der kleinen Gerſte iſt, ſo muß man doch bei trocknem Wetter mit den Maͤhern, vom Rocken ab, zu ihr uͤbergehen. Dies kann ein Grund ſeyn, ſie auf lehmigern Boden nicht ſo fruͤh, ſondern erſt Anfangs Mays zu ſaͤen, auf ſandigerm aber kleine Gerſte zu bauen. Der Scheffel wiegt, wenn ſie einigermaaßen ausgewachſen iſt, etliche und 70 Pfd. Ich habe ſie auch ſchon von 84 Pfd. gehabt. Sie pflegt dann auch in ihrem Marktpreiſe dem Rocken oft gleich zu kommen, zuweilen zu uͤberſteigen. Die Himmelsgerſte, die vierzeilige nackte Gerſte. §. 93. Die Botaniker halten ſie fuͤr eine Abart der gemeinen vierzeiligen Gerſte, und glauben, daß ſie in ſelbige zuruͤckarte. Ich bezweifle das, wenn es gleich zuweilen den Anſchein hat. Es kommen naͤmlich oft Koͤrner darunter, die voͤllig das Anſehn der kleinen Gerſte haben. Dies ſind aber unvollkom- men ausgewachſene Koͤrner, die ihre Schaale nicht abwerfen, und die entwe- der gar nicht auflaufen und aufkommen, oder wieder Himmelsgerſte geben. Da es indeſſen uͤberhaupt bei unſern kultivirten Pflanzen ſo zweifelhaft iſt, was Spezies und was Varietaͤt genannt werden ſolle, ſo mag auch dies un- entſchieden bleiben. Sie zeichnet ſich von der kleinen Gerſte dadurch aus, daß ſie ſich weit ſtaͤrker beſtaudet nnd mehrere Halme treibt, wenn ſie auch auf gleichem Bo- den und gleich entfernt ſtehet. Ihr Halm wird ungleich dicker, auch als der, der großen Gerſte. Die Aehre iſt laͤnger als die der vierzeiligen, und ent- haͤlt mehrere Koͤrner. Ein Hauptmerkmal aber iſt, daß ſie die Grannen oder

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Zitationshilfe: Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft04_1812/109>, abgerufen am 23.11.2024.