Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.verrathen von seinem Jünger. hat, daher, als erhellte ein Bliz alle Werke seinerFinsternis, so redet noch einmal der Herr dem Judas in die, izt gewis nicht mehr fühllose, izt gewis schon bewegte, izt vielleicht schon gegen die Verzweifelung ansträubende, gesunkne Sele. Mein Freund! so spricht er zu ihm -- nicht in dem Tone der Vertraulichkeit, vielmehr in dem Ausdruk der Bestürzung, der auch den andern bestürzt machen soll; mit einer gewissen fremden, entfernenden Art, (wie dort iener Hausherr zu dem unbilligen, pochenden Miethling sprach,) mein Freund! warum bist du kommen? Das war so viel, als: wer bist du, was willst du? hier bei mir? in der Nacht? in solcher Gesellschaft, als worin ich bin, und worin du kommst? -- Judas, mußt er auch vor dieser Frage verstummen, hätt er auch vor Schaam oder Angst vergehn, hätt er auch niedersinken mögen vor Dem, der so lange und so thätig sein Freund gewesen, und zu dem er izt auf die hinterlistigste Feindesart gekommen war, er konnte doch izt nicht mehr von seinem wei- tern, izt auch nur noch kurzen, Vorhaben, abstehen. Die, hinter ihm auf Jesum laurende, Wache, laurte gewis auch auf ieden seiner Schritte und iedes seiner Worte. Er mußte also den Gruß der Hölle an den Gesandten des Himmels; er mußte den Kuß des Satans an den Sohn Gottes überbringen. Dies Allerabscheulich- ste, was, ihm selbst verborgen, in seiner That lag, dekt ihm Jesus, der Erbarmer gegen Erbar- mungslose, in seiner Antwort noch nicht ganz auf, sondern nur das, was ieder Mensch Unmensch- liches
verrathen von ſeinem Jünger. hat, daher, als erhellte ein Bliz alle Werke ſeinerFinſternis, ſo redet noch einmal der Herr dem Judas in die, izt gewis nicht mehr fühlloſe, izt gewis ſchon bewegte, izt vielleicht ſchon gegen die Verzweifelung anſträubende, geſunkne Sele. Mein Freund! ſo ſpricht er zu ihm — nicht in dem Tone der Vertraulichkeit, vielmehr in dem Ausdruk der Beſtürzung, der auch den andern beſtürzt machen ſoll; mit einer gewiſſen fremden, entfernenden Art, (wie dort iener Hausherr zu dem unbilligen, pochenden Miethling ſprach,) mein Freund! warum biſt du kommen? Das war ſo viel, als: wer biſt du, was willſt du? hier bei mir? in der Nacht? in ſolcher Geſellſchaft, als worin ich bin, und worin du kommſt? — Judas, mußt er auch vor dieſer Frage verſtummen, hätt er auch vor Schaam oder Angſt vergehn, hätt er auch niederſinken mögen vor Dem, der ſo lange und ſo thätig ſein Freund geweſen, und zu dem er izt auf die hinterliſtigſte Feindesart gekommen war, er konnte doch izt nicht mehr von ſeinem wei- tern, izt auch nur noch kurzen, Vorhaben, abſtehen. Die, hinter ihm auf Jeſum laurende, Wache, laurte gewis auch auf ieden ſeiner Schritte und iedes ſeiner Worte. Er mußte alſo den Gruß der Hölle an den Geſandten des Himmels; er mußte den Kuß des Satans an den Sohn Gottes überbringen. Dies Allerabſcheulich- ſte, was, ihm ſelbſt verborgen, in ſeiner That lag, dekt ihm Jeſus, der Erbarmer gegen Erbar- mungsloſe, in ſeiner Antwort noch nicht ganz auf, ſondern nur das, was ieder Menſch Unmenſch- liches
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verrathen von ſeinem Jünger.
hat, daher, als erhellte ein Bliz alle Werke ſeiner
Finſternis, ſo redet noch einmal der Herr dem
Judas in die, izt gewis nicht mehr fühlloſe, izt
gewis ſchon bewegte, izt vielleicht ſchon gegen
die Verzweifelung anſträubende, geſunkne Sele.
Mein Freund! ſo ſpricht er zu ihm — nicht in
dem Tone der Vertraulichkeit, vielmehr in dem
Ausdruk der Beſtürzung, der auch den andern
beſtürzt machen ſoll; mit einer gewiſſen fremden,
entfernenden Art, (wie dort iener Hausherr zu
dem unbilligen, pochenden Miethling ſprach,) mein
Freund! warum biſt du kommen? Das war
ſo viel, als: wer biſt du, was willſt du? hier bei
mir? in der Nacht? in ſolcher Geſellſchaft, als
worin ich bin, und worin du kommſt? — Judas,
mußt er auch vor dieſer Frage verſtummen, hätt
er auch vor Schaam oder Angſt vergehn, hätt er
auch niederſinken mögen vor Dem, der ſo lange
und ſo thätig ſein Freund geweſen, und zu dem
er izt auf die hinterliſtigſte Feindesart gekommen
war, er konnte doch izt nicht mehr von ſeinem wei-
tern, izt auch nur noch kurzen, Vorhaben, abſtehen.
Die, hinter ihm auf Jeſum laurende, Wache,
laurte gewis auch auf ieden ſeiner Schritte und
iedes ſeiner Worte. Er mußte alſo den Gruß
der Hölle an den Geſandten des Himmels;
er mußte den Kuß des Satans an den Sohn
Gottes überbringen. Dies Allerabſcheulich-
ſte, was, ihm ſelbſt verborgen, in ſeiner That
lag, dekt ihm Jeſus, der Erbarmer gegen Erbar-
mungsloſe, in ſeiner Antwort noch nicht ganz auf,
ſondern nur das, was ieder Menſch Unmenſch-
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