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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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Unser Herr
worin Jesus als Gefangner herein gebracht ward;
vielleicht war er auch weiter davon entfernt, wie
Kaiphas; vielleicht nahm man diesen Umweg
(denn ein gerichtlicher Umweg wars auf alle
Fälle,) um Zeit zu gewinnen. Vermuthlich be-
gaben sich also gleich hernach, oder schon während
dieser Zeit, daß Jesus bei Hannas vorgebracht
wurde, die Oberpriester, die zum Theil mit bei der
Gefangennehmung Jesu zugegen gewesen waren,
nach Kaiphas, um dem theils bis dahin Bericht
abzustatten, theils weitere Maasregeln zur Prü-
fung und Entscheidung vorzulegen. Gewis wars
Furcht, welche die Feinde Jesu abhielt, ihn sogleich
als Gefangnen in des Hohenpriesters Pallast zu
bringen. Je mehr sie sich freuten, daß die Ver-
haftnehmung Jesu so ganz ohne Geräusch, so ganz
ihren Wünschen gemäs, ins Werk gerichtet war,
um desto weniger konnten sie wegen der Folgen ohne
Furcht sein, denn wie wenig waren sie noch ihrer
Sache gewis!

Zur Seite Jesu ging izt keiner mehr von de-
nen, die ihn sonst immer begleiteten, keiner von
denen, die noch vor einigen Stunden so hoch be-
theuert hatten, daß sie nie von seiner Seite wei-
chen, daß sie mit ihm leben und sterben wollten.
Alle seine Jünger waren geflohen. Nur ein ein-
ziger folgte ihm in einiger Entfernung, und ver-
schleiert. Dem nach oder zur Seite, gewis wieder
in eiuiger Entfernung, ging Petrus. Vielleicht
war sein Schwert schon verlohren gegangen, gewis
war es sein Muth, aber seine Liebe zu seinem Herrn
war doch nicht erkaltet, seine Anhänglichkeit an ihn

blieb

Unſer Herr
worin Jeſus als Gefangner herein gebracht ward;
vielleicht war er auch weiter davon entfernt, wie
Kaiphas; vielleicht nahm man dieſen Umweg
(denn ein gerichtlicher Umweg wars auf alle
Fälle,) um Zeit zu gewinnen. Vermuthlich be-
gaben ſich alſo gleich hernach, oder ſchon während
dieſer Zeit, daß Jeſus bei Hannas vorgebracht
wurde, die Oberprieſter, die zum Theil mit bei der
Gefangennehmung Jeſu zugegen geweſen waren,
nach Kaiphas, um dem theils bis dahin Bericht
abzuſtatten, theils weitere Maasregeln zur Prü-
fung und Entſcheidung vorzulegen. Gewis wars
Furcht, welche die Feinde Jeſu abhielt, ihn ſogleich
als Gefangnen in des Hohenprieſters Pallaſt zu
bringen. Je mehr ſie ſich freuten, daß die Ver-
haftnehmung Jeſu ſo ganz ohne Geräuſch, ſo ganz
ihren Wünſchen gemäs, ins Werk gerichtet war,
um deſto weniger konnten ſie wegen der Folgen ohne
Furcht ſein, denn wie wenig waren ſie noch ihrer
Sache gewis!

Zur Seite Jeſu ging izt keiner mehr von de-
nen, die ihn ſonſt immer begleiteten, keiner von
denen, die noch vor einigen Stunden ſo hoch be-
theuert hatten, daß ſie nie von ſeiner Seite wei-
chen, daß ſie mit ihm leben und ſterben wollten.
Alle ſeine Jünger waren geflohen. Nur ein ein-
ziger folgte ihm in einiger Entfernung, und ver-
ſchleiert. Dem nach oder zur Seite, gewis wieder
in eiuiger Entfernung, ging Petrus. Vielleicht
war ſein Schwert ſchon verlohren gegangen, gewis
war es ſein Muth, aber ſeine Liebe zu ſeinem Herrn
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[72/0086] Unſer Herr worin Jeſus als Gefangner herein gebracht ward; vielleicht war er auch weiter davon entfernt, wie Kaiphas; vielleicht nahm man dieſen Umweg (denn ein gerichtlicher Umweg wars auf alle Fälle,) um Zeit zu gewinnen. Vermuthlich be- gaben ſich alſo gleich hernach, oder ſchon während dieſer Zeit, daß Jeſus bei Hannas vorgebracht wurde, die Oberprieſter, die zum Theil mit bei der Gefangennehmung Jeſu zugegen geweſen waren, nach Kaiphas, um dem theils bis dahin Bericht abzuſtatten, theils weitere Maasregeln zur Prü- fung und Entſcheidung vorzulegen. Gewis wars Furcht, welche die Feinde Jeſu abhielt, ihn ſogleich als Gefangnen in des Hohenprieſters Pallaſt zu bringen. Je mehr ſie ſich freuten, daß die Ver- haftnehmung Jeſu ſo ganz ohne Geräuſch, ſo ganz ihren Wünſchen gemäs, ins Werk gerichtet war, um deſto weniger konnten ſie wegen der Folgen ohne Furcht ſein, denn wie wenig waren ſie noch ihrer Sache gewis! Zur Seite Jeſu ging izt keiner mehr von de- nen, die ihn ſonſt immer begleiteten, keiner von denen, die noch vor einigen Stunden ſo hoch be- theuert hatten, daß ſie nie von ſeiner Seite wei- chen, daß ſie mit ihm leben und ſterben wollten. Alle ſeine Jünger waren geflohen. Nur ein ein- ziger folgte ihm in einiger Entfernung, und ver- ſchleiert. Dem nach oder zur Seite, gewis wieder in eiuiger Entfernung, ging Petrus. Vielleicht war ſein Schwert ſchon verlohren gegangen, gewis war es ſein Muth, aber ſeine Liebe zu ſeinem Herrn war doch nicht erkaltet, ſeine Anhänglichkeit an ihn blieb

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/86>, abgerufen am 21.11.2024.