Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

Bild:
<< vorherige Seite
der vier Haupt-Leidenschafften.

8. Es ist bekant/ daß man dem Menschen
drey Bäuche zuschreibet. Jn dem Kopffe herr-
schet der Ehrgeitz/ im Hertzen der Geldgeitz/
und im Unterleibe die Wollust. Aus dieser
Anmerckung sind der alten Philosophen ihre vier
Cardinal-Tngenden entstanden/ die Klugheit/
die im Kopffe dem Ehrgeitz/ die Tapfferkeit/
die dem zaghafften Geldgeitz in der Brust/ und
die Mäßigkeit/ die der unmäßigen Wollust im
Unterleibe/ Widerstand thun solte. Diese drey
Tugenden zusammen werden mit dem Nahmen
der Gerechtigkeit/ (von uns aber/ als nur er-
wehnet/ mit bessern Fug mit dem Nahmen ver-
nünfftiger Liebe) beleget.

9. Wir werden zwar zu seiner Zeit weisen/
daß die drey Haupt-Laster bey allen Menschen/
von waserley Condition sie sind/ angetroffen wer-
den/ und bey denenselben bald dieses bald jenes
herrschet/ nichts desto weniger weiset es die Er-
fahrung/ daß bey der Jugend die Wollust/ bey
dem männlichen Alter der Ehrgeitz/ und bey
hohen Alter der Geldgeitz sich am meisten bli-
cken läst/ und die stärcksten Versuchungen und
Gelegenheit zu sündigen giebt. Die vernünff-
tige Liebe
hat bey keinem Alter nichts besonders/
weil in keinem Alter dieselbige zur Haupt-passion
natürlicher Weise wird.

10. Die Menschen werden ihren Ständen
nach eingetheilet in den Lehr-Stand/ Wehrstand/
Nehrstand. Der Nehrstand leidet das meiste

von
L 2
der vier Haupt-Leidenſchafften.

8. Es iſt bekant/ daß man dem Menſchen
drey Baͤuche zuſchreibet. Jn dem Kopffe herr-
ſchet der Ehrgeitz/ im Hertzen der Geldgeitz/
und im Unterleibe die Wolluſt. Aus dieſer
Anmerckung ſind der alten Philoſophen ihre vier
Cardinal-Tngenden entſtanden/ die Klugheit/
die im Kopffe dem Ehrgeitz/ die Tapfferkeit/
die dem zaghafften Geldgeitz in der Bruſt/ und
die Maͤßigkeit/ die der unmaͤßigen Wolluſt im
Unterleibe/ Widerſtand thun ſolte. Dieſe drey
Tugenden zuſammen werden mit dem Nahmen
der Gerechtigkeit/ (von uns aber/ als nur er-
wehnet/ mit beſſern Fug mit dem Nahmen ver-
nuͤnfftiger Liebe) beleget.

9. Wir werden zwar zu ſeiner Zeit weiſen/
daß die drey Haupt-Laſter bey allen Menſchen/
von waſerley Condition ſie ſind/ angetroffen wer-
den/ und bey denenſelben bald dieſes bald jenes
herrſchet/ nichts deſto weniger weiſet es die Er-
fahrung/ daß bey der Jugend die Wolluſt/ bey
dem maͤnnlichen Alter der Ehrgeitz/ und bey
hohen Alter der Geldgeitz ſich am meiſten bli-
cken laͤſt/ und die ſtaͤrckſten Verſuchungen und
Gelegenheit zu ſuͤndigen giebt. Die vernuͤnff-
tige Liebe
hat bey keinem Alter nichts beſonders/
weil in keinem Alter dieſelbige zur Haupt-paſſion
natuͤrlicher Weiſe wird.

10. Die Menſchen werden ihren Staͤnden
nach eingetheilet in den Lehr-Stand/ Wehꝛſtand/
Nehrſtand. Der Nehrſtand leidet das meiſte

von
L 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0175" n="163"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">der vier Haupt-Leiden&#x017F;chafften.</hi> </fw><lb/>
        <p>8. Es i&#x017F;t bekant/ daß man dem Men&#x017F;chen<lb/><hi rendition="#fr">drey Ba&#x0364;uche</hi> zu&#x017F;chreibet. Jn dem <hi rendition="#fr">Kopffe</hi> herr-<lb/>
&#x017F;chet der <hi rendition="#fr">Ehrgeitz/</hi> im <hi rendition="#fr">Hertzen</hi> der <hi rendition="#fr">Geldgeitz/</hi><lb/>
und im <hi rendition="#fr">Unterleibe</hi> die <hi rendition="#fr">Wollu&#x017F;t.</hi> Aus die&#x017F;er<lb/>
Anmerckung &#x017F;ind der alten Philo&#x017F;ophen ihre <hi rendition="#fr">vier</hi><lb/><hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Cardinal</hi></hi>-<hi rendition="#fr">Tngenden</hi> ent&#x017F;tanden/ die <hi rendition="#fr">Klugheit/</hi><lb/>
die im Kopffe dem <hi rendition="#fr">Ehrgeitz/</hi> die <hi rendition="#fr">Tapfferkeit/</hi><lb/>
die dem zaghafften <hi rendition="#fr">Geldgeitz</hi> in der Bru&#x017F;t/ und<lb/>
die <hi rendition="#fr">Ma&#x0364;ßigkeit/</hi> die der unma&#x0364;ßigen <hi rendition="#fr">Wollu&#x017F;t</hi> im<lb/>
Unterleibe/ Wider&#x017F;tand thun &#x017F;olte. Die&#x017F;e drey<lb/>
Tugenden zu&#x017F;ammen werden mit dem Nahmen<lb/>
der <hi rendition="#fr">Gerechtigkeit/</hi> (von uns aber/ als nur er-<lb/>
wehnet/ mit be&#x017F;&#x017F;ern Fug mit dem Nahmen ver-<lb/>
nu&#x0364;nfftiger Liebe) beleget.</p><lb/>
        <p>9. Wir werden zwar zu &#x017F;einer Zeit wei&#x017F;en/<lb/>
daß die drey Haupt-La&#x017F;ter bey allen Men&#x017F;chen/<lb/>
von wa&#x017F;erley <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Condition</hi></hi> &#x017F;ie &#x017F;ind/ angetroffen wer-<lb/>
den/ und bey denen&#x017F;elben bald die&#x017F;es bald jenes<lb/>
herr&#x017F;chet/ nichts de&#x017F;to weniger wei&#x017F;et es die Er-<lb/>
fahrung/ daß bey der <hi rendition="#fr">Jugend</hi> die <hi rendition="#fr">Wollu&#x017F;t/</hi> bey<lb/>
dem <hi rendition="#fr">ma&#x0364;nnlichen Alter</hi> der <hi rendition="#fr">Ehrgeitz/</hi> und bey<lb/><hi rendition="#fr">hohen Alter</hi> der <hi rendition="#fr">Geldgeitz</hi> &#x017F;ich am mei&#x017F;ten bli-<lb/>
cken la&#x0364;&#x017F;t/ und die &#x017F;ta&#x0364;rck&#x017F;ten Ver&#x017F;uchungen und<lb/>
Gelegenheit zu &#x017F;u&#x0364;ndigen giebt. Die <hi rendition="#fr">vernu&#x0364;nff-<lb/>
tige Liebe</hi> hat bey keinem Alter nichts be&#x017F;onders/<lb/>
weil in keinem Alter die&#x017F;elbige zur Haupt-<hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">pa&#x017F;&#x017F;ion</hi></hi><lb/>
natu&#x0364;rlicher Wei&#x017F;e wird.</p><lb/>
        <p>10. Die Men&#x017F;chen werden ihren Sta&#x0364;nden<lb/>
nach eingetheilet in den Lehr-Stand/ Weh&#xA75B;&#x017F;tand/<lb/>
Nehr&#x017F;tand. Der <hi rendition="#fr">Nehr&#x017F;tand</hi> leidet das mei&#x017F;te<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 2</fw><fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0175] der vier Haupt-Leidenſchafften. 8. Es iſt bekant/ daß man dem Menſchen drey Baͤuche zuſchreibet. Jn dem Kopffe herr- ſchet der Ehrgeitz/ im Hertzen der Geldgeitz/ und im Unterleibe die Wolluſt. Aus dieſer Anmerckung ſind der alten Philoſophen ihre vier Cardinal-Tngenden entſtanden/ die Klugheit/ die im Kopffe dem Ehrgeitz/ die Tapfferkeit/ die dem zaghafften Geldgeitz in der Bruſt/ und die Maͤßigkeit/ die der unmaͤßigen Wolluſt im Unterleibe/ Widerſtand thun ſolte. Dieſe drey Tugenden zuſammen werden mit dem Nahmen der Gerechtigkeit/ (von uns aber/ als nur er- wehnet/ mit beſſern Fug mit dem Nahmen ver- nuͤnfftiger Liebe) beleget. 9. Wir werden zwar zu ſeiner Zeit weiſen/ daß die drey Haupt-Laſter bey allen Menſchen/ von waſerley Condition ſie ſind/ angetroffen wer- den/ und bey denenſelben bald dieſes bald jenes herrſchet/ nichts deſto weniger weiſet es die Er- fahrung/ daß bey der Jugend die Wolluſt/ bey dem maͤnnlichen Alter der Ehrgeitz/ und bey hohen Alter der Geldgeitz ſich am meiſten bli- cken laͤſt/ und die ſtaͤrckſten Verſuchungen und Gelegenheit zu ſuͤndigen giebt. Die vernuͤnff- tige Liebe hat bey keinem Alter nichts beſonders/ weil in keinem Alter dieſelbige zur Haupt-paſſion natuͤrlicher Weiſe wird. 10. Die Menſchen werden ihren Staͤnden nach eingetheilet in den Lehr-Stand/ Wehꝛſtand/ Nehrſtand. Der Nehrſtand leidet das meiſte von L 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/175
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/175>, abgerufen am 21.11.2024.