Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.kommen alle wahre Tugenden. Ruhe. Wo ein ruhig Gemüth ist/ müssen auchruhige Gedancken seyn. Die Gedancken kön- nen nicht ruhig seyn/ wenn nicht eine vollkomme- ne harmonie zwischen denen Kräfften des Ver- standes ist. Denn wo eine Ungleichheit unter ih- nen wäre/ und eine Krafft die andere überträffe/ so könte keine Ruhe seyn/ weil es eben so gewiß ist/ daß/ wo Ungleichheit ist/ auch Unruhe sey; als es gewiß ist/ daß eine gerade und ungerade Zahl ohnmöglich in der Vereinigung eine gerade machen können. 3. Diese drey Kräffte haben wir genennet 4. Diese drey Kräffte sind bey dem Ver- nichts
kommen alle wahre Tugenden. Ruhe. Wo ein ruhig Gemuͤth iſt/ muͤſſen auchruhige Gedancken ſeyn. Die Gedancken koͤn- nen nicht ruhig ſeyn/ wenn nicht eine vollkomme- ne harmonie zwiſchen denen Kraͤfften des Ver- ſtandes iſt. Denn wo eine Ungleichheit unter ih- nen waͤre/ und eine Krafft die andere uͤbertraͤffe/ ſo koͤnte keine Ruhe ſeyn/ weil es eben ſo gewiß iſt/ daß/ wo Ungleichheit iſt/ auch Unruhe ſey; als es gewiß iſt/ daß eine gerade und ungerade Zahl ohnmoͤglich in der Vereinigung eine gerade machen koͤnnen. 3. Dieſe drey Kraͤffte haben wir genennet 4. Dieſe drey Kraͤffte ſind bey dem Ver- nichts
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kommen alle wahre Tugenden.
Ruhe. Wo ein ruhig Gemuͤth iſt/ muͤſſen auch
ruhige Gedancken ſeyn. Die Gedancken koͤn-
nen nicht ruhig ſeyn/ wenn nicht eine vollkomme-
ne harmonie zwiſchen denen Kraͤfften des Ver-
ſtandes iſt. Denn wo eine Ungleichheit unter ih-
nen waͤre/ und eine Krafft die andere uͤbertraͤffe/
ſo koͤnte keine Ruhe ſeyn/ weil es eben ſo gewiß
iſt/ daß/ wo Ungleichheit iſt/ auch Unruhe ſey;
als es gewiß iſt/ daß eine gerade und ungerade
Zahl ohnmoͤglich in der Vereinigung eine gerade
machen koͤnnen.
3. Dieſe drey Kraͤffte haben wir genennet
Gedaͤchtnuͤs/ Ingenium, Judicium. Das Ge-
daͤchtnuͤs ſtellet uns eine abweſende Sache in
der Geſtalt und Ordnung vor/ als wir ſolche ge-
genwaͤrtig empfunden haben. Das Judicium
unterſcheidet nicht allein gegenwaͤrtige von an-
dern oder von Natur vermiſchte Dinge/ ſondern
es verhindert auch/ daß der Menſch nichts zu einer
andern Sache vorbringe oder ſetze/ die ſich nicht
wohl dazu ſchicke. Das Ingenium leichtert den
Menſchen/ daß er geſchickt iſt etwas zu erfinden/
und das/ was er in ſeinem Gedaͤchtnuͤs hat/ zu-
ſammen zu ſetzen/ oder das/ was in gegenwaͤrti-
gen Dingen einander gleich iſt/ bald anzumer-
cken.
4. Dieſe drey Kraͤffte ſind bey dem Ver-
ſtande eines Menſchen/ der vernuͤnfftig liebet/
deswegen in gleicher Harmonie, weil die ver-
nuͤnfftige Liebe ſich in keine Dinge miſchet/ die ſie
nichts
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