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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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kommen alle wahre Tugenden.
Schwachheiten umbgeben/ ihren Witz/ Ge-
dächtnüs
und Erfindung nützlich anwendet.
Ja weil die Warheit alleine bey der vernünffti-
gen Liebe anzutreffen ist/ die Untersuchung aber
derselben ohne Judicio, Gedächtnis und Inge-
nio
nicht seyn kan/ gleichwohl aber dieselbe haupt-
sächlich bemühet ist/ die Vielfältigkeit der Jrrthü-
mer von der eintzigen Warheit abzusondern; Als
ist auch gar leicht hieraus abzunehmen/ daß die
vernünfftige Liebe diese drey Kräffte allemahl in
einer gemäßigten Harmonie gebrauche.

6. Vernünfftige Liebe ist verschwiegen/
iedoch mehr in anderer Leute/ als in ihren eige-
nen Dingen. Das Judicium lehret ihr solches/
weil sie sonst mit unzeitiger Plauderey leichte ih-
rem Freunde schaden könte. Jedoch macht sie
nicht aus allen Dingen ein Geheimnis/ weil
auch ihr Freund eben/ weil er tugendhafft ist/ nie-
mand zu schaden/ und dannenhero wenig actio-
nes
zu verbergen trachtet. Die Leutseligkeit
erfodert solche Verschwiegenheit/ damit durch die
Plauderey der Feind nicht Ursach nehme ihren
Freunde zu schaden. Die Warhafftigkeit er-
fodert solches/ wenn sie stille zu schweigen verspro-
chen. Manchmahl will es auch die Bescheiden-
heit
haben/ (denn wir verstehen durch die Ver-
schwiegenheit überhaupt eine Tugend/ die
schweiget/ da sie schweigen soll/
) daß man z. e.
das grosse Maul nicht alleine hat in der Gesell-
schafft/ oder die Verträglichkeit/ damit man

durch
M

kommen alle wahre Tugenden.
Schwachheiten umbgeben/ ihren Witz/ Ge-
daͤchtnuͤs
und Erfindung nuͤtzlich anwendet.
Ja weil die Warheit alleine bey der vernuͤnffti-
gen Liebe anzutreffen iſt/ die Unterſuchung aber
derſelben ohne Judicio, Gedaͤchtnis und Inge-
nio
nicht ſeyn kan/ gleichwohl aber dieſelbe haupt-
ſaͤchlich bemuͤhet iſt/ die Vielfaͤltigkeit der Jrrthuͤ-
mer von der eintzigen Warheit abzuſondern; Als
iſt auch gar leicht hieraus abzunehmen/ daß die
vernuͤnfftige Liebe dieſe drey Kraͤffte allemahl in
einer gemaͤßigten Harmonie gebrauche.

6. Vernuͤnfftige Liebe iſt verſchwiegen/
iedoch mehr in anderer Leute/ als in ihren eige-
nen Dingen. Das Judicium lehret ihr ſolches/
weil ſie ſonſt mit unzeitiger Plauderey leichte ih-
rem Freunde ſchaden koͤnte. Jedoch macht ſie
nicht aus allen Dingen ein Geheimnis/ weil
auch ihr Freund eben/ weil er tugendhafft iſt/ nie-
mand zu ſchaden/ und dannenhero wenig actio-
nes
zu verbergen trachtet. Die Leutſeligkeit
erfodert ſolche Verſchwiegenheit/ damit durch die
Plauderey der Feind nicht Urſach nehme ihren
Freunde zu ſchaden. Die Warhafftigkeit er-
fodert ſolches/ wenn ſie ſtille zu ſchweigen verſpro-
chen. Manchmahl will es auch die Beſcheiden-
heit
haben/ (denn wir verſtehen durch die Ver-
ſchwiegenheit uͤberhaupt eine Tugend/ die
ſchweiget/ da ſie ſchweigen ſoll/
) daß man z. e.
das groſſe Maul nicht alleine hat in der Geſell-
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[177/0189] kommen alle wahre Tugenden. Schwachheiten umbgeben/ ihren Witz/ Ge- daͤchtnuͤs und Erfindung nuͤtzlich anwendet. Ja weil die Warheit alleine bey der vernuͤnffti- gen Liebe anzutreffen iſt/ die Unterſuchung aber derſelben ohne Judicio, Gedaͤchtnis und Inge- nio nicht ſeyn kan/ gleichwohl aber dieſelbe haupt- ſaͤchlich bemuͤhet iſt/ die Vielfaͤltigkeit der Jrrthuͤ- mer von der eintzigen Warheit abzuſondern; Als iſt auch gar leicht hieraus abzunehmen/ daß die vernuͤnfftige Liebe dieſe drey Kraͤffte allemahl in einer gemaͤßigten Harmonie gebrauche. 6. Vernuͤnfftige Liebe iſt verſchwiegen/ iedoch mehr in anderer Leute/ als in ihren eige- nen Dingen. Das Judicium lehret ihr ſolches/ weil ſie ſonſt mit unzeitiger Plauderey leichte ih- rem Freunde ſchaden koͤnte. Jedoch macht ſie nicht aus allen Dingen ein Geheimnis/ weil auch ihr Freund eben/ weil er tugendhafft iſt/ nie- mand zu ſchaden/ und dannenhero wenig actio- nes zu verbergen trachtet. Die Leutſeligkeit erfodert ſolche Verſchwiegenheit/ damit durch die Plauderey der Feind nicht Urſach nehme ihren Freunde zu ſchaden. Die Warhafftigkeit er- fodert ſolches/ wenn ſie ſtille zu ſchweigen verſpro- chen. Manchmahl will es auch die Beſcheiden- heit haben/ (denn wir verſtehen durch die Ver- ſchwiegenheit uͤberhaupt eine Tugend/ die ſchweiget/ da ſie ſchweigen ſoll/) daß man z. e. das groſſe Maul nicht alleine hat in der Geſell- ſchafft/ oder die Vertraͤglichkeit/ damit man durch M

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/189>, abgerufen am 24.11.2024.