Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.der drey Haupt-Laster. wird/ und also nicht wohl ad punctum gebrachtwerden kan; auch zum Gebrauch des Mensch- lichen Geschlechts solches nicht eben nöthig ist/ in Ansehen ohne dem die genauen subtilitäten des Verstandes in allen Disciplinen/ in gemei- nen Leben und Wandel nichts nützen/ und allbe- reit ein gemeines Sprichwort worden/ daß ein punct, ein Haar/ ein Augenblick u. s. w. in der Sitten-Lehre eine ziemliche Grösse/ Länge und Breite zu lasse; Gleichwohl aber in der Lehre von der Erkäntniß sein selbst/ damit einer den andern verstehen könne/ eine gewisse hypothesis angenommen werden muß; Als stehet zwar ei- nem jeden frey/ disfals eine proportion zu nehmen welche er wil; Jch habe mich aber bisher bey der proportion, die die Juristen in Eintheilung der Erbschafften gebraucht und die auch sonsten nicht unbekant ist/ nicht übel befun- den. Nemlich bey der proportion zwischen 1. und 12. dergestalt/ daß ich bey Erkäntniß meiner selbst/ und aller andern Menschen/ der gering- sten passion, die wir oben bewiesen haben/ daß es allemahl vernünfftige Liebe sey/ eine (1) Untze/ der höchsten aber/ es sey nun Ehrgeitz/ Geldgeitz oder Wollust zwölff (12) Untzen gegeben/ daß also hernach bey Erkäntniß der beyden Mit- tel-passionum alles auff die proportion ankömmt/ die zwischen 1. und 12. ist; und auch in praxi in Suchung dieser proportion die gröste attention und Gemüths-Ruhe erfordert wird. 47. Und
der drey Haupt-Laſter. wird/ und alſo nicht wohl ad punctum gebrachtwerden kan; auch zum Gebrauch des Menſch- lichen Geſchlechts ſolches nicht eben noͤthig iſt/ in Anſehen ohne dem die genauen ſubtilitaͤten des Verſtandes in allen Diſciplinen/ in gemei- nen Leben und Wandel nichts nuͤtzen/ und allbe- reit ein gemeines Sprichwort worden/ daß ein punct, ein Haar/ ein Augenblick u. ſ. w. in der Sitten-Lehre eine ziemliche Groͤſſe/ Laͤnge und Breite zu laſſe; Gleichwohl aber in der Lehre von der Erkaͤntniß ſein ſelbſt/ damit einer den andern verſtehen koͤnne/ eine gewiſſe hypotheſis angenommen werden muß; Als ſtehet zwar ei- nem jeden frey/ disfals eine proportion zu nehmen welche er wil; Jch habe mich aber bisher bey der proportion, die die Juriſten in Eintheilung der Erbſchafften gebraucht und die auch ſonſten nicht unbekant iſt/ nicht uͤbel befun- den. Nemlich bey der proportion zwiſchen 1. und 12. dergeſtalt/ daß ich bey Erkaͤntniß meiner ſelbſt/ und aller andern Menſchen/ der gering- ſten paſſion, die wir oben bewieſen haben/ daß es allemahl vernuͤnfftige Liebe ſey/ eine (1) Untze/ der hoͤchſten aber/ es ſey nun Ehrgeitz/ Geldgeitz oder Wolluſt zwoͤlff (12) Untzen gegeben/ daß alſo hernach bey Erkaͤntniß der beyden Mit- tel-paſſionum alles auff die proportion ankoͤm̃t/ die zwiſchen 1. und 12. iſt; und auch in praxi in Suchung dieſer proportion die groͤſte attention und Gemuͤths-Ruhe erfordert wird. 47. Und
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der drey Haupt-Laſter.
wird/ und alſo nicht wohl ad punctum gebracht
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lichen Geſchlechts ſolches nicht eben noͤthig iſt/
in Anſehen ohne dem die genauen ſubtilitaͤten
des Verſtandes in allen Diſciplinen/ in gemei-
nen Leben und Wandel nichts nuͤtzen/ und allbe-
reit ein gemeines Sprichwort worden/ daß ein
punct, ein Haar/ ein Augenblick u. ſ. w. in der
Sitten-Lehre eine ziemliche Groͤſſe/ Laͤnge und
Breite zu laſſe; Gleichwohl aber in der Lehre
von der Erkaͤntniß ſein ſelbſt/ damit einer den
andern verſtehen koͤnne/ eine gewiſſe hypotheſis
angenommen werden muß; Als ſtehet zwar ei-
nem jeden frey/ disfals eine proportion zu
nehmen welche er wil; Jch habe mich aber
bisher bey der proportion, die die Juriſten in
Eintheilung der Erbſchafften gebraucht und die
auch ſonſten nicht unbekant iſt/ nicht uͤbel befun-
den. Nemlich bey der proportion zwiſchen 1.
und 12. dergeſtalt/ daß ich bey Erkaͤntniß meiner
ſelbſt/ und aller andern Menſchen/ der gering-
ſten paſſion, die wir oben bewieſen haben/ daß
es allemahl vernuͤnfftige Liebe ſey/ eine (1) Untze/
der hoͤchſten aber/ es ſey nun Ehrgeitz/ Geldgeitz
oder Wolluſt zwoͤlff (12) Untzen gegeben/ daß
alſo hernach bey Erkaͤntniß der beyden Mit-
tel-paſſionum alles auff die proportion
ankoͤm̃t/ die zwiſchen 1. und 12. iſt; und auch in
praxi in Suchung dieſer proportion die groͤſte
attention und Gemuͤths-Ruhe erfordert wird.
47. Und
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/377>, abgerufen am 26.06.2024. |